IT-Branche:Routine als Startkapital

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Für ältere IT-Experten ist die Selbstständigkeit als Berater häufig die einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit.

Von Lars Reppesgaard und Miriam Rössig

Sein halbes Leben hat Harald Fehsenfeld in einer festen Anstellung verbracht. 27 Jahre lang war er beim Spirituosenhersteller Eckes AG in Nieder-Olm beschäftigt, zuletzt als IT-Leiter. Als seine Abteilung im vergangenen Jahr ausgelagert wurde, wagte er den Sprung ins kalte Wasser: Vor ein paar Monaten hat sich der 55-Jährige als IT-Berater selbstständig gemacht.

Vom Jugendwahn geprägt: Leute ab 50 werden in der IT-Branche kaum eingestellt. (Foto: (Foto: ddp))

Dass sich IT-Experten gegen Ende ihres Berufslebens freiberuflich aufstellen, ist immer häufiger zu beobachten. Durch Offshoring und Outsourcing sind im letzten Jahr im Bereich der Informationstechnologie 70.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, schätzen Branchenkenner wie IBM-Deutschland-Chef Walter Raizner. Und wen die Kündigung gegen Ende seines Berufslebens erwischt, der hat nur wenig Chancen, wieder in einer Festanstellung Fuß zu fassen.

"In unseren Statistiken tauchen gute Leute ab 50 Jahren kaum noch auf, und sie werden auch kaum mehr eingestellt", sagt Werner Dostal vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Das gilt für Fachleute aus dem Bereich der Informationstechnologie ganz besonders. Die Branche sei mehr als andere vom Jugendwahn geprägt, kritisiert Stefan Symanek, der das IT-Jobvermittlungsportal Gulp betreibt, das selbstständige Fachspezialisten vermittelt.

Trotz erstklassiger Qualifikation erscheinen die alten IT-Profis vielen Personalleitern als unattraktive Bewerber. "Wenn sie 50 sind, müssen sie es geschafft haben und irgendwo oben sitzen", sagt Horst Kraume. Der 60-jährige Europa-Vertriebsverantwortliche des Softwareherstellers Saperion AG kennt die Vorurteile vieler Personalverantwortlicher. "Wer sich mit 50 noch bewirbt, bei dem fragt man sich, warum er es nicht geschafft hat."

Auch von der Bundesagentur für Arbeit haben arbeitslose IT-Routiniers wenig zu erwarten. Wenn zum Jahreswechsel Arbeits- und Sozialhilfe zusammengelegt werden, ist für Menschen wie Peter Teichreber der finanzielle Abstieg vorgezeichnet. 500 Bewerbungen hat er geschrieben - ohne Erfolg. Dabei wurde der 55-jährige Münchner, der bis vor einem Jahr für den französischen Thales-Konzern IT-Projekte betreute und derzeit eine SAP-Weiterbildung absolviert, oft wegen seiner Referenzen gelobt. Doch wenn er nun auf der Cebit oder der Systems mit Kollegen ins Gespräch kommt, bekommt er zu hören: "Aber in Ihrem Alter ist das Berufsleben doch eigentlich beendet." Maßgeschneiderte Förderprogramme für Menschen in seiner Situation gibt es nicht.

"Vor diesem Hintergrund machen sich viele selbstständig - freiwillig oder aus der Not heraus", sagt Arbeitsmarktforscher Dostal. "Das ist eine echte Alternative zur Arbeitslosigkeit." Allerdings sind dazu Ideen gefragt. Harald Fehsenfeld hat sich beispielsweise auf die mittelständischen Markenartikler eingestellt, die er aus seinem bisherigen Arbeitsleben in- und auswendig kennt und die er nun beraten will. Andere versuchen gezielt, junge Unternehmen als Mentoren mit Know-how zu unterstützen, beobachtet Eckhard Utpadel, Vorstand der Münchner Beteiligungsgesellschaft IT-Adventure. "50 Jahre ist dafür eigentlich noch kein Alter. Und die jüngeren Manager sind nach den schweren Zeiten, die sie hinter sich haben, bereiter denn je, die Erfahrungen der alten Hasen zu akzeptieren." Etliche von seinem Haus betreute Unternehmen setzten auf das Know-how von Routiniers, darunter die Projektsoftwarehersteller Iveto in Stuttgart und der Anbieter von Kommunikationssoftware SDMD aus Hamburg. Beruhigende Wirkung

Thomas Piehl, Investment Manager bei der Hamburger Kapitalbeteiligungsgesellschaft Maz Level One, betont allerdings, dass die Anforderungen an diese Mentoren hoch sind. "Hier sind weniger Entwickler als Manager gefragt. Im Idealfall hat man 25 Jahre bei IBM und zwölf Jahre anderswo gearbeitet und will jetzt nach der Entlassung etwas Neues machen", sagt Piehl. Ein solches Profil haben jedoch nur wenige IT-Experten.

Auch als Geschäftsführer in einem jungen Team fassen einige ältere IT-Fachleute wieder Fuß. "Wir haben diverse Leute, die inzwischen über 50 sind und die von uns betreute Unternehmen leiten", sagt Investment-Manager Piehl. Aber der Andrang sei groß. "Von 200 Arbeitslosen schafft es vielleicht einer auf eine solche Position." Der 51-jährige Eckhard Stock gehört dazu. Der ehemalige AMD- und Siemens-Manager arbeitet heute als zweiter Geschäftsführer neben dem Unternehmensgründer beim Hamburger Halbleiterhersteller ChipIng Microelectronics. "Das Engineering-Team ist vollständig. Was jetzt noch fehlt, ist der Aufbau strategischer und internationaler Vertriebsstrukturen und eine Verfeinerung des Marketingkonzeptes", beschreibt Stock seine neue Aufgabe.

Unter Arbeitsmarktexperten ist unstrittig, dass Firmen viele Chancen verspielen, wenn sie auf die Kompetenz der Routiniers verzichten - nicht nur, weil sie oft mehr Erfahrung und Fachwissen als jüngere Kollegen mitbringen. Auch charakterlich sind ältere IT-Profis oft Vorbilder, sagt Stefan Symanek. "Diese Menschen können zum Beispiel in Krisenzeiten beruhigend auf die Mannschaft einwirken." Aus diesem Grund glaubt er, dass sich die Gewichte langsam wieder zugunsten der Routiniers verschieben und sich die Einstellungen der Arbeitgeber ändern werden. "Wir haben schon jetzt einen Fachkräftemangel", sagt er. "Angesichts der demografischen Entwicklung kann sich niemand mehr den Jugendwahn leisten."

Kein Wunder also, dass auch Harald Fehsenfeld optimistisch in die Zukunft blickt. Aufträge hat er zwar bislang keine. "Aber das erste Jahr ist ein Klinkenputzjahr, damit habe ich gerechnet", sagt er. "Im zweiten Jahr geht es dann langsam los." Seine alten Kontakte helfen ihm, zu Tagungen und Messen eingeladen zu werden. Dort hält er Vorträge, um sich einen Namen zu machen. Sein Alter komme da gut an, meint der Berater. "Der Wind dreht sich gerade. Die Erfahrenen erleben eine Renaissance."

© SZ vom 18.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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