Islamunterricht in Deutschland:Erste Stunde: Islam

In Nordrhein-Westfalen unterrichten Lehrer in diesem Schuljahr mit dem ersten Schulbuch für islamischen Glauben. Der Band ist ein Schritt auf dem Weg zu staatlichem Religionsunterricht für junge Muslime.

Julia Bönisch

"Saphir" ist arabisch und bedeutet Botschaft. "Saphir", so heißt auch das deutschlandweit erste Schulbuch für islamischen Religionsunterricht, das in diesem Schuljahr in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden soll. "Saphir" erklärt nicht nur die Botschaft des Koran, sondern sendet noch ein weiteres Signal: Muslimische Kinder in Deutschland haben ein Recht auf Religionsunterricht.

Islamunterricht, ddp

Islamunterricht: In Nordrhein-Westfalen nehmen nur drei Prozent der muslimischen Schüler daran teil.

(Foto: Foto: ddp)

Doch so einfach ist es leider nicht. Ungelöste rechtliche, organisatorische und auch gesellschaftliche Fragen sorgen dafür, dass muslimische Schüler eben keinen Religionsunterricht haben, sondern lediglich "Islamunterricht in deutscher Sprache". Der sperrige Name signalisiert den Unterschied zum "normalen" Religionsunterricht für Katholiken oder Protestanten.

Informierender Sachunterricht statt Religion

Denn der Islamunterricht ist laut Lehrplan kein Religionsunterricht im konfessionellen Verständnis, sondern lediglich informierender Sachunterricht. Er erklärt "den Islam, knüpft dabei am islamischen Glauben der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrerinnen und Lehrer an und trägt somit zur Identitätsbildung der Schülerinnen und Schüler bei", so heißt es in den Leitlinien.

Mit "Saphir" werden im bevölkerungsreichsten Bundesland in diesem Schuljahr fast 11.000 Schüler und 141 Lehrer arbeiten. Auf etwa 200 Seiten erklärt das im Münchner Kösel Verlag erschienene Buch mit Lesegeschichten, Kalligraphien moderner Künstler und islamischen Miniaturen die islamische Welt, informiert über Gottesvorstellungen, Engel und Dschinn, über den Propheten Muhammad als Vorbild für Muslime und über den Koran.

Schulversuch als Behelfskonstrukt

Eine der Herausgeberinnen ist Lamya Kaddor. Die 30-jährige Islamwissenschaftlerin unterrichtet an einer Dinslakener Hauptschule. "Das Buch behandelt hauptsächlich islamische Themen, die alters- und fachgerecht erarbeitet worden sind. Darüber hinaus ist es auch interreligiös ausgerichtet.", erklärt Kaddor. "Wir wollen das Wissen, das viele Kinder von zu Hause mitbringen, thematisieren und erweitern." Kaddor will "Saphir" auch als Signal verstanden wissen, dass die Zeit des Behelfskonstruktes Schulversuch abgelaufen ist. "Wir brauchen endlich ordentlichen islamischen Religionsunterricht in Deutschland."

Dafür kämpfen Muslime in Deutschland schon lange: 1978 stellten sie den ersten Antrag, doch es musste 30 Jahre dauern, bis es nun überhaupt vernünftige Lehrmaterialien gibt. "Das liegt zum einen an der komplizierten Organisationsstruktur der Muslime in Deutschland", erklärt der Islamwissenschaftler Bülent Ucar. Denn laut Grundgesetz muss der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt werden. Anders als christliche Religionsgemeinschaften sind die deutschen Muslime jedoch nicht zentral organisiert, sondern zersplittert - und können sich auf diese Grundsätze nicht einigen.

Auf der nächsten Seite: Zu wenig Ausbildungsstätten, zu wenig muslimische Abiturienten - woran der islamische Religionsunterricht noch scheitert.

Erste Stunde: Islam

Arbeit mit Provisorien

"Wir unterstützen den Wechsel vom informierenden Sachunterricht hin zu richtigem Religionsunterricht", bestätigt denn auch ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Bildungsministeriums. "Doch bisher haben uns dafür die Ansprechpartner gefehlt. Der Dialog mit den Verbänden ist manchmal etwas schwierig."

Doch Islamwissenschaftler Ucar, der als wissenschaftlicher Berater am Schulversuch in Nordrhein-Westfalen teilnahm und heute in Osnabrück Lehrer für Islamkunde ausbildet, macht noch einen weiteren Grund für die zögerliche Haltung aus: "Die Politiker haben lange einfach damit gerechnet, dass die Migranten in ihre Heimat zurückkehren würden und deshalb einfach keine Notwendigkeit für diesen Unterricht gesehen." Deshalb müssten die Lehrer seit Jahren mit Provisorien arbeiten und könnten längst nicht alle muslimischen Schüler unterrichten. "In Nordrhein-Westfalen nehmen nur drei Prozent der muslimischen Schüler am Islamunterricht teil. Das ist viel zu wenig."

Nur 150 Lehrer für 750.000 Schüler

Doch bisher fehlte es nicht nur an Unterrichtsmaterialien, sondern auch an qualifiziertem Personal. Auf die rund 750.000 muslimischen Schüler in Deutschland kommen derzeit nur 150 Lehrer. Ucar schätzt den Bedarf auf mindestens 3000. Doch bisher gibt es nur drei Studiengänge an den Universitäten in Münster, Osnabrück und Erlangen, die einfach nicht genug Islamlehrer ausbilden können.

Und selbst wenn es genügend Kapazitäten gäbe - auch die Nachwuchsfrage ist ungeklärt: Denn woher sollen die Islamlehrer kommen, wenn derzeit nur knapp drei Prozent aller muslimischen Schüler das Abitur schaffen, und diese wenigen oft nicht an die Universitäten gehen?

Andere Vorbehalte gegen die Islamkunde kommen sowohl von deutscher, als auch von muslimischer Seite: Die einen halten den Unterricht schlicht für überflüssig und nicht angebracht, da er mit der deutschen Kultur nichts gemein habe. Die anderen, Muslime selbst, warnen vor einem "Islam light", der an deutschen Schulen unterrichtet werde. Statt eines angeblichen "Euro-Islams" wünschen sie sich, die muslimische Ausbildung bliebe auch in muslimischer Hand.

Ausbildung auf dem Boden des Grundgesetzes

Befürworter dagegen sehen in dem Unterricht auch eine Möglichkeit, die Ausbildung junger Muslime im Sinne des Grundgesetzes zu gestalten und extremistischen Strömungen vorzubeugen. Auch Islamwissenschaftler Ucar und Lehrerin Kaddor sehen hier die Stärke des Islamunterrichtes. "Er vermittelt den Schülern Wissen über sich selbst und sorgt dafür, dass sie sich auch mit ihrer Heimat Deutschland identifizieren", glaubt Ucar.

Bis die muslimischen Schüler in Nordrhein-Westfalen tatsächlich mit ihrem neuen Lehrbuch arbeiten können, wird es allerdings etwas dauern. Denn noch hat der Münchner Kösel Verlag, in dessen Programm "Saphir" erscheint, das Buch nicht ausliefern können. Politische Gründe hat es dafür angeblich keine gegeben, lediglich ein Gutachter war erkrankt.

Spätestens ab dem 27. August soll "Saphir" in die Schulen kommen. Dann läuft der Unterricht zwar schon seit fast vier Wochen, aber nach einer Geduldsprobe von 30 Jahren ist diese Wartezeit vergleichsweise kurz.

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