Internate für Hochbegabte:Auf Wunderkinder eingestimmt

1. Hessischer Bläserklassentag

Wer ein Blasmusikinstrument hervorragend spielt, ist in einem auf Musik spezialisierten Landschulheim womöglich gut aufgehoben. Aspiranten müssen in der Regel an einer Aufnahmeprüfung teilnehmen.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Hochbegabte besuchen häufig spezielle Internate. Für musikalische und künstlerische Talente ist die Auswahl in Deutschland allerdings vergleichsweise gering.

Von Christine Demmer

Als Erste merken es die Eltern, wenn ihre Kinder ein außergewöhnliches musisches oder sportliches Talent an den Tag legen. Da gibt es welche, die, kaum dem Krabbelalter entwachsen, zur Geige greifen und sich das Instrument ganz allein erschließen. Andere sind nicht aus dem Reitstall fortzubewegen, spielen im Basketball locker Gleichaltrige an die Wand oder fahren bereits im Kindergartenalter gekonnt Ski.

Spätestens am Ende der Grundschulzeit fragen sich die Eltern, ob sie die Begabung ihres Kindes als selbstverständlich nehmen oder in einer eigens auf seine Fähigkeiten ausgerichteten Schule fördern lassen sollten. Zusammen mit anderen "Wunderkindern" dürfte es weniger Zusammenstöße mit Gleichaltrigen erleiden. Und wäre es nicht schade, das Talent brachliegen zu lassen? Sophie Weidlich, Internatsberaterin an der Schule Schloss Salem, weiß um den Konflikt, mit dem die Eltern kämpfen - besonders dann, wenn der Nachwuchs selbst auf ein Internat will. "Als Mutter würde ich wahrscheinlich nachgeben, "weil ich vermute, dass das Kind unglücklich werden würde, wenn es seine Passion nicht richtig ausleben könnte", sagt sie.

Will das Kind ins Landschulheim? Oder sind die Eltern die treibende Kraft? Das sind wichtige Fragen

Als Pädagogin sieht Weidlich das anders: "In vielen Fällen werden künstlerisch oder sportlich hochbegabte Kinder mehr von ihren Eltern angetrieben, als sie es selbst wollen." Deswegen hält sich die Beraterin mit pauschalen Ratschlägen zurück. Eine Entscheidungshilfe hat sie aber doch: "Es ist nicht ohne Risiko, die Entwicklung eines sehr jungen Menschen frühzeitig in eine bestimmte Richtung zu führen. Was ist, wenn sich eine hoffnungsvolle Balletttänzerin oder ein kleiner Beckenbauer in spe verletzt oder ein Sänger wegen Krankheit nicht mehr singen kann? Oder wenn das Kind die Lust verliert? Welche Alternativen hat das Kind dann?"

All diese Argumente sind bekannt in Landschulheimen, die sich auf die Förderung talentierter Kinder spezialisiert haben. Wobei das Spektrum der geförderten Fähigkeiten in Deutschland längst nicht so breit ist wie in anderen Ländern. Allein an Sportinternaten mangelt es hierzulande nicht, denn das Vereinsnetz ist groß und bis auf Dorfebene dicht geknüpft. Manche Sportverbände arbeiten auch mit Internaten zusammen. So gibt es mit der Internatsschule am Seilersee in Iserlohn (Nordrhein-Westfalen) das einzige Eishockey-Internat Deutschlands. Es bietet Mädchen und Jungen von der siebten Klasse an eine Schullaufbahn mit Sport satt plus Abiturabschluss. Die Kinder und Jugendlichen lernen nach dem Schulplan des Landes und werden neben dem Sport auch an andere Freizeitbeschäftigungen herangeführt.

Das Reiten steht im niedersächsischen Internat Solling ganz oben auf dem außerschulischen Lehrplan. Ein Gelände von 50 Hektar steht Mädchen und Jungen zur Verfügung, der internatseigene Reitstall ist von Pferdesportverbänden anerkannt. Die Schüler können ihr eigenes Pferd mitbringen oder eines der Schulpferde und -ponys reiten. Als Ausgleich stehen ebenso wie bei vielen anderen Internaten diverse andere Sportangebote zur Auswahl. Wer seinen Sprössling im Winter nur mit Mühe von den Brettern abschnallen kann und auf seine Entwicklung zum alpinen Spitzensportler hofft, sollte sich das Skiinternat Oberstdorf näher anschauen. Es wendet sich an Nachwuchsathleten der Disziplinen Langlauf, Skisprung, nordische Kombination, Ski alpin, Snowboardcross und Eiskunstlauf. Einfach anmelden kann man sein Kind hier nicht. Das Internat und die deutschen Wintersportverbände behalten sich das Recht vor, die Schülerinnen und Schüler auszuwählen. Sie leben gemeinsam im Internat, besuchen aber unterschiedliche Schulen in Oberstorf.

Jungen und Mädchen, die sich lieber mit Schwung Tonleitern widmen, als Abhänge hinauf- und herunterzusausen, werden im Musikinternat Belvedere in Weimar gefördert - und zur Hochschulreife gebracht. Hier leben circa 120 musikalisch besonders begabte Schülerinnen und Schüler von Klasse fünf an. Wenn sie ein Instrument beherrschen und die anspruchsvolle Eignungsprüfung bestehen, werden sie an der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar unterrichtet. Etwa die Hälfte der Musikgymnasiasten stammt aus Thüringen, die anderen kommen aus allen Teilen Deutschlands, einige auch aus dem Ausland. Was für junge Flötisten, Harfenisten, Oboisten, Posaunisten und Kontrabassisten interessant sein dürfte: Das Musikinternat Belvedere sucht händeringend nach Kindern und Jugendlichen, die diese Instrumente beherrschen. Wer dagegen moderne Musik im Verbund mit Tanz und Gesang bevorzugt, wird bei seiner Suche nach der passenden Ausbildung womöglich auf das Internat Schloss Hagerhof in Bad Honnef stoßen: Es unterhält eine eigene Musik- und Musicalschule.

Wessen Kind hingegen besser als für den Hausgebrauch malt, bildhauert oder exzeptionelles Talent für die Schauspielerei zeigt, wird in Deutschland kaum fündig werden. Manche Internate in England und in den USA stellen ihren Eleven Profibühnen und riesige Ateliers zur Verfügung. Warum gibt es das nicht in Deutschland? "Wir verstehen Bildung anders, umfassender, ganzheitlicher", sagt Ulrich Kindscher, Internatsberater aus München. "Die Angelsachsen spezialisieren sich sehr früh und sehr intensiv. Wir Deutschen konzentrieren uns bis zum Abitur mit elf bis 13 Fächern auf das Studium generale. An den normalen Schulen bleibt für die Förderung einer Spezialbegabung gar kein Raum."

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