Intendant Nikolaus Bachler:"Dazu ist man Chef"

Nikolaus Bachler beim Open Air "Oper für Alle" in München, 2011

Nikolaus Bachler beim Open Air "Oper für Alle" in München, 2011 Intendant der Bayerischen Straatsoper Nikolaus Bachler bei der Übertragung der Opernfestspiele "Oper für Alle" am Max-Joseph-Platz in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ein Intendant am Theater ist für alles verantwortlich - in künstlerischer wie auch in kaufmännischer Hinsicht. Andererseits bietet der Beruf viele Freiheiten. Ein Besuch bei Nikolaus Bachler, der die Münchner Staatsoper leitet.

Von Sarah Ehrmann

Nikolaus Bachlers Augen suchen nicht, sie finden. Er schaut nicht nach rechts und links, als er auf die Bühne tritt und sich seinen Weg durch die Chorsänger bahnt, die unruhig durcheinandereilen. Der Intendant dreht eine seiner Runden in der Münchner Staatsoper, wie er sie noch häufiger drehen wird an diesem Abend, und wie er sie laut seiner Mitarbeiter unermüdlich durchs Haus unternimmt. Mitten hindurch zwischen den wie von Mehltau bestäubten Sängern - weiße Gesichter mit Halbmasken, helle Sommerkleidung à la Thomas Mann, leinenbeschuht, struppiges Haar. Bachler dagegen: walnussfarbener Anzug, rostbraune Lederschuhe, wehende Haare.

Bachler wechselt ein paar Worte, berührt jemanden am Arm, zeigt auf die Schaufensterpuppen, die den Chor auffüllen, dann dreht er sich um: "Das Wichtigste ist, dass es nichts gibt, was der Intendant nicht weiß", sagt er. Das hier ist sein Theater, seine Staatsoper, das macht er unmissverständlich klar. "Ich muss alle Fäden in der Hand halten und allein entscheiden."

Der Bub aus der Steiermark wollte einst Papst werden und rebellierte in seinem musischen Elternhaus mit Wagnermusik gegen die Mutter, "für die der Tristan unnötig war und die Musik bei Mozart und Verdi aufhörte". Dass er heute zu den einflussreichsten Intendanten Deutschlands zählt, hält er selbst für Schicksal: "Einen klassischen Lebenslauf gibt es nicht für diese Laufbahn: Zum Metier geht man aus Neigung, die Vorbildung kommt aus dem Elternhaus, in wirklich zentrale Positionen kommt man aus Schicksal."

Begabung und Glück gehörten dazu, meint er, Charakter sowieso, aber der Unterschied zwischen Chefarzt, Intendant und Vorstand einer großen Bank sei letztlich relativ klein und die Voraussetzungen seien überall gleich: Authentizität und Aufrichtigkeit, Leidenschaft, psychologische Fähigkeiten, Stehvermögen. "Dann erst kommt die fachliche Qualifikation."

In Nikolaus Bachlers Alltag sind vor allem Konzentration, Belastbarkeit und Arbeitsökonomie gefordert, denn sein Terminplan ist getaktet wie bei einem Zahnarzt. Um sechs Uhr stehe er auf, ohne Wecker nach vier Stunden Schlaf, wie er sagt, dann arbeite er im Büro Organisations-Kram weg, bis der Rest des Teams am späten Vormittag eintrudelt. Am Nachmittag klopft es im 15-Minuten-Takt, eine Assistentin wartet mit den benötigten Unterlagen für den nächsten Termin.

14.30 Uhr: Radio-Interview, ein paar Fragen zur Kindheit in Österreich, ein paar zum Opernprogramm, ein paar zur Kirche. 15.15 Uhr: Bachler besucht die Premierenklasse zu "Rigoletto". Die Zehntklässler sitzen im Stuhlkreis und üben die Arien auf Deutsch ein. "Vom Rigoletto kann man viel lernen, oder?", fragt Bachler. Die Schüler nicken, kichern unsicher. "Viel Spaß noch, wir sehen uns nach der Generalprobe", sagt er und ist schon wieder draußen. "Manchmal ist man in meinem Job auch total fremdbestimmt, dann schicken einen die Mitarbeiter wie einen Roboter herum. Aber ich schöpfe meine Kraft eben aus der Arbeit, nicht aus freier Zeit."

Andererseits hat er in seinem Job auch die größtmögliche Freiheit: Er kann die Sänger einladen, die er will, den Spielplan so bestücken, wie er es für richtig hält, abgesehen von Besetzungs- und Planungszwängen. Er repräsentiert ein staatliches Opernhaus und darf doch mit einer Premiere anecken. "Das erwarten die Leute sogar." Er kann, ja soll, neue Formate entdecken - Live-Übertragungen ins Internet, die "Oper für alle", Sitzkissenkonzerte für die Kleinsten, Arbeit an den Schulen.

Können und Marketing

15.30 Uhr: Weil sich die Rigoletto-Klavierprobe verzögert, hat Bachler Zeit, eine Tasse Kaffee im Büro zu trinken. Schaut er aus dem Fenster, sieht er das Kopfsteinpflaster, das noch Wochen nach der Ring-Nackt-Fotoaktion von Spencer Tunick im Juni rot verfärbt war. "Natürlich ist es hier schön, ist ja auch mein Wohnzimmer", sagt er amüsiert. Dabei sieht das stylische Arbeitszimmer eher spartanisch als wohnlich aus: ein Schreibtisch, ein hartes halbrundes Sofa, zwei Stühle, im Regal vier CDs, an der Wand zwei Fotos von seinem Abschied vom Burgtheater. Wann Möbel geliefert würden, sei er mal gefragt worden, erzählt er. "Dabei sieht es bei mir zu Hause nicht anders aus, ich brauche Platz zum Denken."

Auch wenn Bachler sagt, Intendant werde man, indem man alles anders mache, als der Bühnenverein es empfehle, entspricht seine Vita - Schauspielausbildung am Max-Reinhard-Seminar in Wien, mit Mitte dreißig künstlerischer Direktor an den Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, Intendant der Wiener Festwochen, dann der Volksoper Wien, am Wiener Burgtheater, jetzt in München - ziemlich genau einer klassischen Intendanten-Karriere. Der Verein schreibt, wer den Beruf anstrebe, "sollte frühzeitig auf seine Person aufmerksam machen, Kontakte knüpfen und in Führungspositionen arbeiten, um seine Fähigkeiten herauszustellen".

Bachler kann gut auf sich aufmerksam machen. Sätze wie "Ich weiß es einfach, denn im Gegensatz zu Ihnen stand ich als Schauspieler auf der Bühne" oder "Dazu ist man Chef" gehen ihm leicht über die Lippen. Er nennt sich gern "Menschenverbinder", einen, der intuitiv passende Persönlichkeiten zusammenbringt. Zu sich nach Hause lade er manchmal in den Salon ein, wie einst im 19. Jahrhundert: Literaten, Schauspieler, Firmenchefs, Sänger - jeder führe dann etwas vor.

Die Oper betrachtet er als Familie, und auch wenn er nicht der Vater sein wolle, müsse er diese Rolle ausüben. "Einer muss die Entscheidungen treffen, und ich lehne die Macht nicht ab." Gerade hat er nach Querelen mit seinem bisherigen Generalmusikdirektor Kent Nagano den 40 Jahre alten Kirill Petrenko für die neue Spielzeit als dessen Nachfolger geholt. "Ich mag junge Leute um mich, alt bin ich selbst", sagt Bachler. Der Patriarch, der ungern über sein eigenes Alter spricht, erweitert seine Familie.

15.50 Uhr: Bachler öffnet die samtbeschlagenen Türen zum Zuschauerraum des Nationaltheaters. Was jetzt kommt, nennt er "das ganz gewöhnliche Gewurschtl". Auf der Bühne rumort es, Chorsänger und Statisten stehen sich auf den Füßen, die Bühnenarbeiter werkeln mit Vorhängen und Holztribünen. Noch wenige Tage bis zur Rigoletto-Premiere. Die Nerven sind angespannt. "Mein größter Trumpf ist meine Intuition, mein untrügliches Bauchgefühl", erzählt Bachler, während er sich durch die Reihen mit den hochgeklappten Stühlen zu den Technikern am Tonpult durcharbeitet.

"Ich weiß, wann ich Dinge laufen lassen muss und wann sie zerstörerisch werden." Ob ihm der vor zwei Jahren verstorbene Theaterregisseur Christoph Schlingensief fehle, wurde Bachler an diesem Tag bei einem seiner Termine gefragt: "Mir fehlt jeder kreative Querdenker, mir fehlen Grüber, Strehler, Tabori, Schlingensief", antwortete er. "Irgendwann werde ich mir auch fehlen, weil ich dann tot bin."

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