Innere Kündigung:"Die Aussteiger sind mitten unter uns"

88 Prozent der Deutschen fühlen sich ihrer Firma gegenüber zu nichts verpflichtet. Dabei wäre es so simpel, sie von der inneren Kündigung abzuhalten.

Hartmut Volk

Kaum ein Unternehmen hat eine hohe Fluktuationsrate zu beklagen. Der Krankenstand ist so niedrig wie lange nicht mehr. Gehaltskürzungen, gestrichenes Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, Degradierung durch Umstruktierung, die Wegnahme des Firmenwagens - alles wird klaglos hingenommen. Der Schluss daraus müsste sein: Alle sind so zufrieden, dass das bisschen Verzicht kaum ins Gewicht fällt. Aber stimmt das tatsächlich? "Ich habe einen ganz anderen Eindruck", sagt Stefan Müller, Personalberater aus Stuttgart. "Die Aussteiger sind mitten unter uns."

Stress Burn Out innere Kündigung, iStock

Burn Out und Depressionen: Unangemessenes Führungsverhalten frustriert.

(Foto: Foto: iStock)

Müllers Einschätzung wird von Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts Gallup bestätigt. Dort wird jedes Jahr die Motivation der Arbeitnehmer in verschiedenen Ländern erfasst. Demnach verspüren momentan hierzulande 88 Prozent der Arbeitnehmer keine echte Verpflichtung mehr gegenüber ihrer Arbeit. 68 Prozent machen Dienst nach Vorschrift, 20 Prozent haben innerlich gekündigt.

In Existenzangst versetzt

Worin besteht das Problem? Gunter Dueck, Professor und Chef-Technologe bei IBM in Stuttgart, sagt: "Das System ist grausam geworden und funktioniert eigentlich nicht gut - das beunruhigt." Overprocessing, Bürokratie, Arbeitsüberlastung, Stress bis zum Burn-out und Demotivation seien die Namen für diesen großen Frust.

Kein Mensch ertrage es auf Dauer, permanent in Frage gestellt zu werden, sagt Personalberater Müller. Habe der "Mitarbeiter des Jahres" kurz nach seiner "Krönung" einen schwachen Monat und werde daraufhin von seinem Vorgesetzten auf subtile Weise in Existenzangst versetzt, löse das in manchen Fällen geradezu reflexartig die Flucht in den Dienst nach Vorschrift oder gleich in die innere Kündigung aus. Lieber also alles vermeiden, was zu sehr sichtbar macht, denn den darauf folgenden Druck halte man nicht mehr aus.

"Es gilt vor allem, die ganz alltägliche Demotivation zu vermeiden", sagt Thomas Weegen, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Coverdale Deutschland in München. Das sei Kraftnahrung für die Leistungslust. Im Kern sei Dienst nach Vorschrift und dessen Steigerung, die innere Kündigung, ein Demotivationsproblem. Und es hat einen Hauptauslöser: falsches Führungsverhalten. "Mitarbeiter", sagt Weegen, "ziehen sich weniger von einem Unternehmen als von ihren Vorgesetzten zurück." Das Problem zu entschärfen, verlange deshalb vor allem, in Schlüsselsituationen aufmerksamer und bedachter zu führen.

Kritik unter vier Augen

Es seien vor allem pauschale Schuldzuweisungen, die frustrierten und demotivierten. Die Gepflogenheit etwa, bei Problemen automatisch den Mitarbeitern den schwarzen Peter zuzuschieben. Oder ungeprüft die Sichtweise, Behauptungen oder Vorwürfe Dritter zu übernehmmen, ohne die Umstände auch aus der Mitarbeiterperspektive zu betrachten.

Statt vor versammelter Mannschaft solle Kritik möglichst unter vier Augen geübt werden, so Weegen weiter. Sie sollte im Ton ruhig, in der Sache maßvoll und stets fallorientiert sein. "Man sollte nie den ganzen Menschen kritisieren und immer nach Gründen für ein Misslingen fragen." Die Tendenz sollte versöhnlich sein, Ironie und Sarkasmus verböten sich von selbst. Kritik, erinnert Weegen, "soll Entwicklungshelfer sein, kein Baustein für innere Widerstände".

Auf der nächsten Seite: Warum das oberflächliche Lob mit der Floskelgießkanne für reichlich Frustration sorgt - und wie es richtig geht.

"Die Aussteiger sind mitten unter uns"

Leben an der kurzen Leine des Handys

Grundsätzlich müsse in der Zusammenarbeit von Vorgesetzen und Mitarbeitern gelten, "niemanden klein zu machen, bloßzustellen, Scherze auf Kosten anderer zu machen und abfällig über Abwesende zu reden". Das untergrabe Vertrauen und Glaubwürdigkeit, weil sich jeder automatisch frage: Wie mag er über mich in meiner Abwesenheit reden?

Geradezu extrem demotivierend wirke Taktieren, Messen mit zweierlei Maß und die verbreitete Verhaltensweise, Mitarbeiter aus Wettbewerbsgründen gegeneinander auszuspielen. Auch jemanden als hehres Vorbild zu preisen, kommt im Team schlecht an. So wichtig und lobens- und auch belohnenswert die überragende kreative Einzelleistung auch sei, nie, sagt Weegen, dürfe ein Vorgesetzter vergessen: "Auch die sorgfältig abgearbeitete Routine ist eine unverzichtbare Stütze des betrieblichen Erfolgs." Auch das oberflächliche Lob mit der Floskelgießkanne sorgt für reichlich Frustration. Zuverlässig verprellt es die Mitarbeiter, die aus sich heraus die überdurchschnittliche Leistung als selbstverständliche persönliche Norm ansehen. En passant vertreutes Lob könne sehr beleidigen und demotivieren, so Weegen. Ebenso die Untugend, während eines Gesprächs mit Mitarbeitern in Unterlagen zu wühlen, zu telefonieren oder sich sonstwie unaufmerksam zu zeigen.

Signale der Achtung und Aufmerksamkeit

Ein unterschätzter Demotivationsfaktor sei auch die um sich greifende Unsitte, Mitarbeitern keine Zeit zur Erholung und Regeneration zu lassen. Wer hohe Leistung wolle, müsse im Gegenzug auch das Privatleben respektieren und dürfe seinen Mitarbeitern kein Leben an der kurzen Leine des Handys zumuten, mahnt Weegen und fordert: "Beladen Sie Ihre Leistungsträger nicht mit dem Fluch, pausenlos und überall erreichbar sein zu müssen!"

Vermeintlich Altmodisches empfehle sich als wirkungsvolle Frustbremse, meint der Berater: Höflichkeit, die Wirkung symbolischer Gesten und der Charme der Contenance. Mit dem sprichwörtlichen Hut in der Hand kämen Vorgesetzte besser an und sorgten für aufgeschlossenere Mitarbeiter als die gruß- und blicklos Vorübereilenden. Dringlich legt der Personalexperte nahe: "Sagen Sie 'Bitte' und 'Danke'. Ergibt sich die Situation, halten Sie die Tür auf oder für die Ihnen Folgenden offen, und seien Sie sich im Sinne beispielgebenden Handelns auch nicht zu schade, ein herumliegendes Stück Papier aufzuheben."

Angst um den Arbeitsplatz mag zwar ausreichen, den Mitarbeiter nicht aus der Firma zu vergraulen. Es sind aber die kleinen Signale der Achtung und Aufmerksamkeit, die seine Motivation und Leistungsbereitschaft wachhalten.

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