Initiative für Frauen an Unis:Frauen sollen forscher forschen

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Als Mann mit Bart - so stellen sich Grundschüler einen Professor vor. Frauen an der Universität kommen in der Vorstellung der Kinder nicht vor. Und tatsächlich wird weiblicher Nachwuchs im akademischen Betrieb trotz vieler Meriten oft benachteiligt.

Von Johann Osel

Wenn Nadine Gatzert aus dem Bürofenster blickt, sieht sie verstreut über den Nürnberger Stadthimmel die Fassaden mehrerer Versicherungskonzerne. Einblicke in das Treiben dort lässt die Entfernung nicht zu; doch Gatzert weiß genau, was die Branche umtreibt, wie sie tickt. Wie viel Kapital ist nötig, um Garantien geben zu können? Wie wird eine Versicherung sicher? Damit beschäftigt sich ihr Lehrstuhl für Versicherungswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Da geht es um Formeln, die mit Mathematik, wie sie der Laie aus der Schule kennt, nichts zu tun haben - weil kaum Zahlen vorkommen, sondern Kolonnen an deutschen und griechischen Buchstaben, an Klammern und Wurzeln.

Für derlei "mathematisches Modellieren", so der Terminus, stellt man sich eher einen verschrobenen Mann vor, wahlweise glatzköpfig oder ergraut, in Schlips und Kragen. Nadine Gatzert passt da nicht ins Bild. Sie dürfte ein Vorbild sein für viele Studentinnen und Jung-Forscherinnen - und genau so soll es sein. Ihre Stelle wird durch das Professorinnenprogramm von Bund und Ländern gefördert. Davon erhofft sich die Politik einen Impuls für die ganze Wissenschaft.

Um die Chancengleichheit von Frau und Mann an Hochschulen ist es besser bestellt als noch vor Jahrzehnten - der Frauenanteil unter Professoren ist auf einen Höchststand gestiegen. Waren 1995 erst acht Prozent aller Lehrstühle in weiblicher Hand, so war es zuletzt schon fast ein Fünftel.

"Die meisten Hochschullehrer sind Männer"

"Es gibt zu wenige Professorinnen, die meisten Hochschullehrer sind Männer", stellte die langjährige Bildungsministerin Annette Schavan fest - sie meinte vor allem die Fächer, in denen die Quote deutlich unter 20 Prozent liegt, neben den Technikfächern sind das die Wirtschaftswissenschaften.

2007 legte die Politik das Programm auf und investierte zusammen mit den Ländern 150 Millionen Euro. Bis Ende 2012 wurden so 260 Stellen für Forscherinnen geschaffen, die Hochschulen konnten Gleichstellungskonzepte in den Wettbewerb einreichen und bis zu drei Professuren pro Standort ergattern. Nun ruft das Bundesministerium zu Bewerbungen für eine weitere Runde bis 2017 auf.

Angesprochen auf ein Balzverhalten von Kollegen, auf Probleme in der Männerdomäne Wissenschaft winkt Gatzert ab; da habe sie nie Unannehmlichkeiten erlebt, sei nicht gebremst worden. Die Professorin widerspricht im Auftreten dem Bild einer vermeintlich staubtrockenen Versicherungswirtschaft, ist eloquent und charmant. Dem Nicht-Fachmann, der angesichts der mathematischen Monster mit den Augen rollt, zeichnet sie geduldig auf ihrem Block etwa einen Zeitstrahl auf - um zu zeigen, was die Formeln bedeuten, wie sich die Risiken für Kapitalanlagen entwickeln können.

Sie war, als sie vor drei Jahren berufen wurde, 29 Jahre und damit die jüngste Professorin für Betriebswirtschaft im Land. Fachlich genießt sie Renommee, was ihr einen Platz unter den 200 besten Betriebswirten im Handelsblatt-Ranking einbrachte. Und Gatzert, die in Ulm und Los Angeles studierte und dann in Sankt Gallen Doktorarbeit und Habilitation verfasste, sagt auch klipp und klar: "Ich fühle mich nicht als Quotenfrau."

Sie hatte auch der Ruf an eine andere Uni ereilt, den sie ablehnte - und sich bewusst für Nürnberg entschieden, wo der Lehrstuhl wegen der Mittel des Programms die Uni-Kasse maßgeblich entlastet. Ihr Ziel: ein Beispiel geben, wie Frauen Karriere an Hochschulen machen können. "Gerade im wissenschaftlichen Bereich brauchen Frauen oft mehr Zuspruch, sie neigen dazu, sich zu unterschätzen, trauen sich weniger zu", sagt die 33-Jährige.

Am Ende geht es also um viel mehr als nur um die geförderten Professuren. So heißt es in einem Leitfaden des Ministeriums: "Neben den neuen Stellen selbst sind die strukturellen Wirkungen ein Erfolg des Programms. Sie zeigen die neue Qualität der Gleichstellungspolitik im Wissenschaftssystem." An den Hochschulen seien durch die erste Runde "eine breite Diskussion über die Gleichstellung in Gang gesetzt und Veränderungen in die Wege geleitet" worden. Mehr als die Hälfte aller staatlichen Hochschulen hatten in Runde eins Gleichstellungskonzepte eingereicht.

An der Uni Erlangen-Nürnberg hat das Präsidium "Zielvereinbarungen" mit den Fakultäten geschlossen, damit sie die Frauenanteile auf allen Ebenen durch "wirksame Maßnahmen" erhöhen. Da sich für Germanistik und Maschinenbau kaum vergleichbare Fix-Quoten erheben lassen, orientiert sich das Ziel am Status quo. Zu den Maßnahmen gehören Mentorinnen, spezielle Stipendien und Förderpreise; es wird bei Berufungen das Geschlecht der Bewerber berücksichtigt - oder es werden schon zuvor durch ein "Frauen-Headhunting" Wunschkandidatinnen ausgesucht.

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Das Erlanger Konzept wurde - wie unter anderem auch das der Unis Kassel, Siegen oder Rostock - beim Professorinnenprogramm belohnt. Wobei Präsident Karl-Dieter Grüske betont, dass das Programm zwar eine willkommene Förderung biete, "als politisches Instrument von oben" jedoch gar nicht so stark das Denken verändert hat. "Schon seit über zehn Jahren ist Gleichstellung für die Wissenschaft ein Dauerthema, viel ist in Bewegung gekommen", sagt Grüske, der sich als Vize-Präsident der Hochschulrektorenkonferenz stets auch den bundesweiten Trends widmet.

Bei allem Bemühen, bei allen Ankündigungen aus den Chef-Etagen der Universitäten: Die Entwicklung zu einer weiblicheren Wissenschaft wird aber wohl ihre Zeit brauchen. Ein Hindernis für Karrieren ist der Bruch nach der Doktorarbeit. Während der Frauenanteil bei den Promotionen bei 44 Prozent liegt, schrumpft er bei den Habilitationen zusammen. Laufbahnen enden dort oft mit der Geburt eines Kindes. Viele Forscherinnen stellen daher die Familie zurück.

Eine Studie des Bonner Centers of Excellence Women and Science zeigt, dass sich Frauen häufig entweder für Wissen- oder für Elternschaft entscheiden. Zwei Drittel der Befragten gaben an, Kinderlosigkeit oder den Aufschub der Familiengründung zugunsten ihres Jobs in Kauf genommen zu haben. Es gibt mitunter einen wenig schmeichelhaften Spottnamen an Hochschulen: "Frau Doktor Kinderlos".

Kinder als "Karrierebremse Nummer eins"

Nadine Gatzert hat keine Kinder, das allerdings nicht bewusst aufgeschoben, wie sie sagt - es habe sich einfach noch nicht ergeben. Würde sie Mutter, könnte sie wohl auf die Hilfe ihrer Uni bauen, die Krippenplätze und Tagesmütter anbietet. An vielen Hochschulen gibt es inzwischen eigene Kinderbetreuungen. Das generelle Problem einer Unterversorgung mit Plätzen trifft aber letztlich Wissenschaftlerinnen genauso wie andere berufstätige Mütter.

"Die Geburt eines Kindes ist für die meisten Wissenschaftlerinnen immer noch die Karrierebremse Nummer eins", heißt es in einer Analyse des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung. Die Autorinnen mahnen auf Basis von Befragungen zu besseren Angeboten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie - und dazu, die Männer bei der Erziehung in die Pflicht zu nehmen. "Gleichheit im Job und - am Wickeltisch. Kinderbetreuung durch beide Eltern ist für Wissenschaftlerinnen zentral", lautet der Titel der Veröffentlichung.

"Je mehr Professorinnen es gibt, desto stärker ist die Signalwirkung an die Gesellschaft", meint Nadine Gatzert. Im Bundesministerium rechnet man damit, dass durch die neue Runde Hunderte neue Stellen für Frauen entstehen - und damit Multiplikatorinnen für den Wandel des öffentlichen Bildes von Wissenschaft.

Ein weiter Weg: Als bei einem Experiment vor ein paar Jahren Grundschüler einen Professor zeichnen sollten, war auf fast jedem Blatt ein Mann mit Bart zu sehen - sogar dann, wenn ausdrücklich gesagt wurde, dass die Kinder auch eine Frau zeichnen können.

© SZ vom 18.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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