Ingenieure und Informatiker:Professoren aus der Unterschicht

Ingenieure an der Uni kommen traditionell aus kleinen Verhältnissen. Doch die Unis fürchten um den nicht akademischen Nachwuchs - und hoffen auf die Frauen.

H. Horstkotte

Fast zwei Drittel der Spitzenvertreter an deutschen Uni-Fachbereichen für Ingenieure und Informatiker sind Aufsteiger. Weder Vater noch Mutter dieser Professoren haben studiert. Eine Stichprobe aller Fachvertreter an der großen Technischen Hochschule in Aachen hat das gerade wieder bestätigt, wie der Fachverband "4Ing" nicht ohne Stolz verkündet. Die Statistik soll offenbar die Stimmung aufhellen in Zeiten der Wirtschaftskrise und schwieriger Debatten über Diplom versus Bachelor und Master.

Ingenieure und Informatiker: Fast zwei Drittel der Ingenieure und Informatiker an deutschen Unis sind Aufsteiger.

Fast zwei Drittel der Ingenieure und Informatiker an deutschen Unis sind Aufsteiger.

(Foto: Foto: dpa)

Zehntausende Ingenieur-Stellen sind unbesetzt, laut Institut der Deutschen Wirtschaft gehen deshalb jährlich mehr als drei Milliarden Euro Wirtschaftswachstum verloren. Und der Nachwuchs aus nicht-akademischen Familien sei noch längst nicht ausgeschöpft, sagt der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann.

Das Aufsteiger-Profil der Ingenieurfächer - im Unterschied etwa zu Medizin und Jura - ist historisch bedingt. Der akademische Durchbruch gelang auf breiter Basis erst vor vierzig Jahren, als die Ingenieurschulen zu Fachhochschulen aufgewertet wurden. Bis dahin gab es lediglich ein Dutzend Technische Universitäten; für das Bildungsbürgertum und seine Kinder waren das keine Karriereschmieden.

Nachwuchssorgen

Ein in Fachkreisen viel zitiertes Gerücht geht so: Der Literaturwissenschaftler Ernst Robert Curtius habe 1920 einen Ruf nach Aachen abgelehnt, weil er vom Professor für Heizung und Lüftung nicht mit "Herr Kollege" angeredet werden wollte. Nach einer Studie des Deutschen Studentenwerkes gehören angehende Maschinenbauer und Elektrotechniker noch immer zu den Studenten mit der "niedrigsten" sozialen Herkunft.

Die Ingenieure plagen nun die Nachwuchssorgen: Waren von den Aachener Professoren der Geburtsjahrgänge 1930 bis 1934 etwa 80 Prozent Bildungsaufsteiger, sind es unter den Jüngeren, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre geboren wurden, weniger als ein Drittel. Der traditionelle Nachwuchs aus kleineren Verhältnissen ist geschrumpft. Der Elitenforscher Hartmann macht dafür vor allem die Umstellung des Bafög von einem echten Studierendengehalt auf ein (Teil-)Darlehen in der Regierungszeit Helmut Kohls verantwortlich: Abiturienten aus einkommensschwächeren Familien würden davor zurückschrecken, sich für ein Studium zu verschulden.

Hoffen auf Frauen und Zuwanderer

Um sich ihren Nachwuchs zu sichern, fordern die Ingenieur-Fachbereiche nun eine bessere Frauenförderung. Horst Hippler, Präsident der Uni Karlsruhe, sieht sich bereits als Vorreiter: Er habe bereits einmal eine Berufungsliste verworfen, weil die Mutterschafts- und Erziehungszeit einer Bewerberin im Auswahlverfahren nicht gebührend berücksichtigt worden sei. Derzeit sind weniger als zehn Prozent der wichtigen Ingenieur-Professuren mit Frauen besetzt.

Ein weiteres unausgeschöpftes Reservoir sehen Ingenieure in den Zuwanderern. Bereits mehr als zehn Prozent der Ingenieur- und Informatikstudenten sind Ausländer, die eigens zum Studieren nach Deutschland kommen. Einige von ihnen bleiben an den Hochschulen und sind mittlerweile sogar selbst Lehrstuhlinhaber, zum Beispiel für Bergbau an der TU Clausthal-Zellerfeld oder für künstliche Intelligenz an der Universität Siegen. Darüber hinaus setzen die Ingenieure darauf, dass in den kommenden Jahren noch mehr Kinder und Enkel der ehemaligen "Gastarbeiter" für ein technisches Studium gewonnen werden können.

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