Holocaust im Schulunterricht:Keine Zeit für Gefühle

Reine Wissensvermittlung: Für die meisten Schüler ist der Holocaust ein abgekoppeltes Kapitel der Geschichte, ohne Verbindung zur Gegenwart. Das liegt auch an den Unterrichtsmethoden.

Johann Osel

"Es ist wirklich schon zu lange her, das alles interessiert mich überhaupt nicht." Diese Aussage eines Amsterdamer Schülers, der zum Thema Holocaust befragt wurde, beunruhigt Morten Kjaerum. Sie sei vielleicht nicht repräsentativ für alle Jugendlichen in Europa, sagt der Direktor der Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA), aber sie werfe dringende Fragen auf über die Bedeutung der Vergangenheit in der Gegenwart.

Holocaust im Schulunterricht: Das Potential von Erinnerungsorten im Unterricht bleibt oft ungenutzt: Schüler beim Besuch des einstigen Konzentrationslagers Buchenwald.

Das Potential von Erinnerungsorten im Unterricht bleibt oft ungenutzt: Schüler beim Besuch des einstigen Konzentrationslagers Buchenwald.

(Foto: Foto: Getty)

An diesem Mittwoch, dem Holocaust-Gedenktag, treffen sich die EU-Bildungsminister zu einer Konferenz in Oswiecim (Auschwitz). Dort wird auch eine FRA-Studie vorgestellt, die der SZ vorliegt. Grundlage sind Befragungen der zuständigen Ministerien in den EU-Staaten und der Verantwortlichen von 22 Gedenkstätten sowie Diskussionen mit Lehrern und Schülern unter anderem in Berlin, Amsterdam, Prag und Krakau. Tendenz: Oft verkommt Holocaust-Bildung zu einer reinen Wissensvermittlung - anstelle einer weiterführenden Reflexion.

Vor allem werde es versäumt, die Auseinandersetzung mit der Geschichte auf die Gegenwart zu übertragen und so die generelle Frage der Menschenrechte zu thematisieren. "Es scheint fast so, als wäre das Lernen über den Holocaust abgekoppelt vom Lernen über die Geschichte und Gegenwart der Menschenrechte", sagt Kjaerum.

Nicht nur "passive Empfänger"

So sehe die Mehrheit der Lehrer und Schüler keinerlei Verbindungen zwischen den Bereichen. Die Schüler zeigten zwar fast ausnahmslos Interesse für die Holocaust-Thematik, bezweifelten aber, dass dies auch in der Gesamtheit ihrer Generation so sei. Häufig wurde gewünscht, nicht nur "passive Empfänger von Informationen" zu sein.

Eine besondere Rolle kommt hier den Gedenkstätten zu. Von den jährlich knapp 1,2 Millionen Auschwitz-Besuchern sind mehr als die Hälfte Jugendliche. In vielen Ländern ist laut FRA der Besuch einer Gedenkstätte fester Bestandteil des Unterrichts geworden. Andererseits ließen die Erinnerungsorte oft ihr Potential ungenutzt, um auch für die Schärfung des demokratischen Bewusstseins Impulse zu geben.

Weinende Schüler

In der Berliner Gruppe sprachen viele Schüler von einer emotionalen Betroffenheit beim Besuch, Mitschüler hätten zu weinen begonnen. Zugleich sei aber der Lehrer ungebremst mit den Fakten fortgefahren. Als Hemmschuh wurde von Lehrern fehlende finanzielle Hilfe für Gedenkstättenbesuche genannt, zudem zu wenig Material für die konkrete Vorbereitung solcher Besuche. Die FRA will daher bald ein Lehrer-Handbuch zum Holocaustunterricht herausgeben sowie einen Leitfaden für Gedenkstättenpersonal.

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