Hochbegabung:Zu schlau für die Karriere

A BEAUTIFUL MIND RECEIVES SIX GOLDEN GLOBE NOMINATIONS

Russell Crowe spielt im Film "A beautfiul mind" das Genie John Forbes Nash: Wie viele Hochbegabte hatte auch der berühmte Mathematiker keinen einfachen Berufsweg.

(Foto: REUTERS)
  • Hochbegabte werden im Job nur selten geschätzt und gefördert. Daher haben viele hochintelligente Menschen krumme Lebensläufe.
  • Einer Studie zufolge sind Hochbegabte oft motiviert, sie wollen gestalten - an Führung und Karriere haben sie hingegen oft wenig Interesse.
  • Experten raten Betroffenen, mit Chefs und Kollegen über ihre Begabung zu sprechen. In einer Bewerbung sollte diese jedoch nicht erwähnt werden.

Von Ina Reinsch

Verena Anders ist hochbegabt. Ihren Lebenslauf bezeichnet sie selbst als "mäandernd". Die 52-Jährige studierte zunächst auf Lehramt, brach wegen der schlechten Berufsaussichten ab und wechselte zu Innenarchitektur. Ihr erster Chef nach dem Studium war anfänglich von ihr begeistert, doch bald wurde sie zum Putzen der Materialsammlung degradiert, während der Praktikant das Projekt leitete. Sie kündigte, arbeitete als Galeristin, Kommunikationsdesignerin, Rezeptionskraft. "Ich wollte immer nur meine Arbeit machen - und das gut. Trotzdem hatte ich ständig das Gefühl, falsch zu sein, mich anpassen zu müssen", sagt sie. "Kollegen und Chefs fühlten sich bedroht."

Verena Anders Vita ist keine Seltenheit. Ein hoher Intelligenzquotient ist kein Garant für eine steile Karriere. Bisweilen ist das Gegenteil der Fall. Hochbegabte haben manchmal Probleme im Job, ecken an, überfordern Kollegen mit ihrem schnellen Denken. "Häufig verstoßen sie unbewusst gegen Verhaltensregeln, ignorieren Hierarchien, sind ungeduldig und stürmen los", sagt Heinz-Detlef Scheer, Psychologe und Coach für hochbegabte Erwachsene in Bremen. "Sie erkennen im Job sehr schnell, wo es hakt, und möchten etwas verändern, dabei werden sie als anmaßend oder überheblich wahrgenommen. Kollegen und Vorgesetzte befürchten, dass der Mitarbeiter eine Palastrevolution anzetteln will, sie bekämpfen ihn oder stellen ihn kalt."

Begabung verpflichtet zu nichts, sie ist nur ein Potenzial

Doch dieses Bild ist ebenso falsch wie die Erwartungen, die ihm zugrunde liegen. Hohe Begabung verpflichtet zu nichts. Sie ist lediglich ein Potenzial, eine Möglichkeit. Nicht jeder möchte sie nutzen, nicht jeder kann sie zur Entfaltung bringen. Die Gründe dafür sind vielfältig. "Häufig lernen bereits hochbegabte Kinder ungünstige Bewältigungsstrategien, die sie mit ins Erwachsenenalter nehmen", sagt Scheer. Wer viel fragt, wird als vorlaut oder altklug abgestempelt. "Da ist es für viele einfacher, sich dumm zu stellen, eine Strategie, die vor allem Mädchen wählen." Andere würden ihre eigene Person ignorieren, ein aufgesetztes Helfersyndrom entwickeln und alles und jeden verbessern wollen.

In der Schule langweilen sich besonders begabte Kinder nicht selten, schalten komplett ab oder werden gemobbt. Diese Erfahrung hat auch Michael Werner gemacht. Der 41-jährige Jurist, der in Wirklichkeit anders heißt, hat sich auf dem Gymnasium immer unwohl gefühlt, seine Noten waren alles andere als gut. "Alle dachten, dass ich faul sei", sagt er. Dabei war er einfach unterfordert. Die ultimative Kränkung erfuhr er, als er wegen schlechter Leistungen eine Klasse zurückgestuft wurde. An eine Hochbegabung dachte damals niemand.

Zahlreiche Hochbegabte weisen einen krummen Lebenslauf auf

So wundert es nicht, dass zahlreiche Hochbegabte einen krummen Lebenslauf vorzuweisen haben. Viele lernen auf dem zweiten Bildungsweg, haben mehrere Berufe ausprobiert oder satteln in der Lebensmitte noch einmal komplett um. Manche erkennen ihre Hochbegabung erst spät.

"Sie blicken dann mit einer Mischung aus Wehmut, Hoffnung und Aufbruch auf ihr Leben", sagt Dorothea Schlegel-Hentrich, Leiterin des Instituts für Hochbegabtencoaching in Bad Homburg. Oft mische sich auch Wut hinein. Auch Werner hat erst mit 39 Jahren von seiner besonderen Begabung erfahren, da war er schon lange an einer Depression erkrankt. "Ich empfinde Bedauern und Zorn, dass meine Hochbegabung nicht früher erkannt worden ist."

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oder mehr beträgt der Intelligenzquotient von Hochbegabten nach gängiger Definition. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung sind hochbegabt, bei 81 Millionen Einwohnern in Deutschland sind das rund 1,6 Millionen. Die meisten von ihnen kommen gut durchs Leben. "Viele wissen gar nicht, dass sie hochbegabt sind. Andere kennen ihr Potenzial, haben aber im Beruf keinerlei Probleme", sagt der Psychologe Heinz-Detlef Scheer. Tatsächlich sind nach dem Marburger Hochbegabtenprojekt, einer 1987 an der Uni Marburg begonnenen Studie, nur etwa ein Sechstel der Hochbegabten sogenannte Minderleister. Sie widersprechen damit dem Bild, das die Gesellschaft gemeinhin von Hochbegabten hat: hochmotivierte Spezialisten, die jede berufliche Hürde mühelos nehmen, sich in den Führungsetagen großer Unternehmen tummeln oder in der Wissenschaft Herausragendes zuwege bringen.

"Anderssein wird oft als störend wahrgenommen, nicht als bereichernd"

Mäandernde Lebensläufe waren vielen Personalern noch vor Jahren ein Graus. "Inzwischen hat sich aber einiges getan", sagt Schlegel-Hentrich. Glatte Biografien seien nicht mehr so wichtig. Dennoch seien hochbegabte Mitarbeiter eine Herausforderung für Unternehmen. "Anderssein wird leider oft als störend wahrgenommen, nicht als bereichernd, unangepasstes Verhalten sorgt häufig für Irritation.

Das zeigt auch eine Studie der Universität Bochum von 2013. Sie geht der Frage nach, ob sich Hochbegabte im Berufsleben von anderen Mitarbeitern unterscheiden. Die Forscher kamen zu erstaunlichen Ergebnissen: "Die Gestaltungsmotivation hochbegabter Erwachsener ist höher ausgeprägt als die anderer Mitarbeiter, ihre Führungsmotivation aber gleichzeitig gering", sagt Scheer. Er ist einer der Mitverfasser der Studie. "So wie sich hochbegabte Mitarbeiter verhalten, denken alle, die wollen Karriere machen. Sie wollen aber nur arbeiten." Das sei eines der großen Missverständnisse von Kollegen und Vorgesetzten im Umgang mit Hochbegabten.

Abweisende Reaktionen resultieren aus Unsicherheit

Kann es da helfen, die Hochbegabung im Job öffentlich zu machen? "Ja", sagt Scheer. "Es kann ein guter Schritt zum Abbau von Vorurteilen sein, den Kollegen zu erklären: Ich bin in vielem schneller und denke komplexer, bin aber nicht besser als ihr, nur anders." Bei der Bewerbung hält er aber eher Zurückhaltung für angebracht. "Personaler reagieren im besten Fall freundlich bis zurückhaltend, manchmal aber auch abweisend bis aggressiv."

Viele solcher Reaktionen resultieren aus Unsicherheit und Unwissenheit. Da erstaunt es nicht, dass sich deutsche Unternehmen kaum mit ihren hochbegabten Mitarbeitern beschäftigen. "Warum sollte man die fördern, die können doch alles?", lautet die Überzeugung vieler Personaler. Hochbegabtenförderung im Unternehmen würde vielfach als Luxusproblem betrachtet. "Dabei geht es gar nicht um Förderung", sagt Schlegel-Hentrich, "Hochbegabte müssten nur einfach so respektiert werden, wie sie sind. Sie haben ein enormes Potenzial, das Unternehmen nicht verschenken sollten." Nur leider schielten Unternehmen viel zu oft auf Angepasstheit.

Viele Hochbegabte gehen fast verschämt mit ihrer Begabung um

So muss man den Umgang vieler Hochbegabter mit ihrer eigenen Begabung fast schon als verschämt bezeichnen. "Hochbegabung ist ein Makel, der oft negative Reaktionen auslöst", sagt Schlegel-Hentrich. "Nun heb mal nicht ab!" oder "Bilde dir bloß nichts ein!", sind oft gehörte Antworten. Da schweigen vieler lieber.

Verena Anders hat dagegen die Flucht nach vorn angetreten. Als sie sich mit 51 Jahren testen ließ, veröffentlichte sie das Ergebnis kurzerhand auf ihrer Website. Anders arbeitet inzwischen in Fulda freiberuflich als Coach und unterstützt Menschen erfolgreich bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit, darunter auch Hochbegabte.

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