Hochbegabung:Viel zu gescheit

Viele Eltern beauftragen Institute, die nach Talenten ihrer Kindern fahnden sollen. Mit dem Begabungschek wollen sie sich ihren Wunsch erfüllen, einen Mozart als Sprössling zu haben.

M. Hoffmeyer

Eigentlich wusste die Familie Engl aus dem Münchner Umland schon früh, wo die Begabungen ihres Sohnes Benjamin lagen: Der Sechsjährige war gut im Rechnen, liebte Musik und spielte gern Tennis. Trotzdem wollten sie ihren Eindruck sicherheitshalber professionell überprüfen lassen. "Wir hatten ein bisschen Angst, vielleicht eine Begabung zu übersehen", sagt der Musiklehrer Mathias Engl. "Außerdem ist man als Vater oder Mutter ja nicht objektiv - entweder denkt man, der eigene Sohn ist der Tollste, oder man ist überkritisch."

Hochbegabt, ap

Hochbegabter Dreijähriger beim Musikunterricht: Echte Begabungen zeigen sich nicht immer von selbst.

(Foto: Foto: ap)

Die Engls meldeten Benjamin deshalb zum "Begabungscheck" des privaten Youngworld-Instituts in München an. In einem sechsstündigen Test wurden Benjamins Fähigkeiten in ganz unterschiedlichen Bereichen geprüft. Der Junge machte nicht nur einen herkömmlichen IQ-Test, bei dem es um logisches Denken, sprachliche Fähigkeiten und räumliches Vorstellungsvermögen geht. Untersucht wurden außerdem sein praktisch-handwerkliches Geschick, seine Sportlichkeit, seine Musikalität, seine Kreativität und seine sozial-emotionale Kompetenz.

490 Euro für eine Analyse

Die Instituts-Pädagogin Melanie von Krafft legte nach einem Feedback-Gespräch und mehrtägiger Bedenkzeit eine ausführliche Analyse vor und gab Fördertipps, zum Beispiel, dass Benjamin ein Instrument lernen solle. Seine Eltern waren zufrieden, auch wenn der Begabungscheck eigentlich nichts Neues erbracht hatte. "Dass unser Sohn sportlich, mathematisch und musikalisch besonders begabt ist, war uns vorher schon klar", sagt Mathias Engl. Dennoch findet er die 490 Euro für die Analyse sinnvoll angelegt: "Es ist eine gute Orientierungshilfe. Und wenn Benjamin in Mathe mal schlechte Noten bekommen sollte, weiß ich wenigstens, dass es nicht an mangelnder Begabung liegt."

Das Youngworld-Institut bietet seine Begabungschecks für Sechs- bis Zwölfjährige seit zehn Jahren an. Das Interesse der Eltern sei in dieser Zeit kontinuierlich gestiegen, sagt Krafft. Die Eltern haben entweder wie die Engls einfach Angst, etwas zu versäumen, oder sie wollen abklären, ob ihr Grundschulkind nicht doch für eine höhere Schulform geeignet ist als von den Lehrern empfohlen. Eine Hauptschul-Empfehlung habe sie noch nie gegeben, sagt Krafft: "Meiner Erfahrung nach werden Kinder meist eher unterschätzt."

Geheimer Wunsch vieler Eltern

Das Orientierungsbedürfnis der Eltern ist groß und wird von zahlreichen Ratgebern zur Talenterkennung bedient. Uta Reimann-Höhn, auf Lernförderung spezialisierte Pädagogin, hat vor einem Jahr das Buch "Welche Talente und Begabungen hat Ihr Kind?" herausgebracht. Dass sowohl das Buchcover als auch der Internet-Auftritt von Youngworld mit dem Bild eines hingebungsvoll geigenden Kindes werben, ist wohl nicht nur Zufall, sondern auch ein Hinweis auf den geheimen Wunsch vieler Eltern, überraschend einen kleinen Mozart in ihrem Sprössling zu entdecken.

Reimann-Höhn gibt Eltern eine Reihe von Checklisten an die Hand, um aus eigenen Beobachtungen das Begabungsprofil ihres Kindes zu erschließen. Sie unterscheidet dabei sieben Bereiche, die weitgehend den Testgebieten bei Youngworld entsprechen. Sozial-emotionale, kreative und praktische Begabung stehen auch bei ihr gleichwertig neben den Bereichen Sprache, logischem und räumlichem Denken, die in IQ-Tests gemessen werden und die für den Schulerfolg am wichtigsten sind. Offensichtlich wollen viele Eltern sich gerade derjenigen Talente ihrer Kinder vergewissern, die in der Schule nur eine kleine oder gar keine Rolle spielen und schon deshalb leichter übersehen werden könnten.

Auf der nächsten Seite: Wie Talente verkümmern, wenn sie unentdeckt bleiben.

Viel zu gescheit

Verunsicherte Eltern

Ein Grund für den Wunsch, möglichst alle vorhandenen Begabungen zu fördern, mag die verbreitete Unsicherheit in einer sich rasch verändernden Arbeitswelt sein. Reimann-Höhn spricht das im Schlusswort ihres Buches an: Niemand könne heute sagen, "welche Fähigkeiten in zehn oder 20 Jahren von unseren Kindern verlangt werden".

Zeigen sich echte Begabungen, egal auf welchem Gebiet, aber nicht ohnehin von selbst? Das sei ein verbreiteter Irrtum, meint der Begabungsforscher Christian Fischer: "Talente können verkümmern, wenn sie unentdeckt bleiben." Allerdings bezweifelt er, dass es sinnvoll ist, etwa das kreative oder sozial-emotionale Potential eines Kindes zu testen: "Ich glaube nicht, dass man alle möglichen Begabungen verlässlich prüfen kann." Fischer ist Geschäftsführer des Internationalen Centrums für Begabungsforschung (ICBF) an der Universität Münster, das in Kooperation mit der niederländischen Universität Nijmegen unter anderem didaktische Ansätze für begabungsfördernden Unterricht entwickelt und Lehrer darin fortbildet.

Intelligenz- und Motivationstests

Als Nebenprodukt der Forschung werden hier auch Kinder auf Hochbegabung untersucht. Etwa 120 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren machen pro Jahr am ICBF einen Intelligenztest, viele von ihnen zusätzlich einen Motivationstest. Bei fast allen sind zuvor große Probleme aufgetreten, beispielsweise wegen Unterforderung in der Schule. Etwa vier Fünftel der Getesteten stellen sich tatsächlich als hochbegabt heraus. Sie bekommen vom ICBF neben einem entsprechenden Gutachten auch Hilfe bei der weiteren Förderung, etwa durch einen Lernstrategien-Kurs.

Das öffentliche Interesse am Thema Hochbegabung und zugleich die Zahl der darauf spezialisierten Beratungsstellen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Der Verein "Bildung und Begabung" führt inzwischen fast hundert Adressen von Schulen und Unis, psychologischen Praxen und anderen Anbietern auf. Hinzu kommen die schulpsychologischen Beratungsstellen, deren Diagnosen, im Unterschied zu denen des ICBF und vieler anderer Einrichtungen, nichts kosten.

Aufnahme an einer begehrten Privatschule

"Begabungstests bei privaten Anbietern machen zu lassen ist aus meiner Sicht wenig sinnvoll, wenn es so ein umfangreiches Netz aus kostenlosen staatlichen Angeboten gibt", findet die Leiterin der staatlichen Schulberatungsstelle München, Helga Ulbricht, die bis zu 150 Schüler pro Jahr auf Intelligenz und Motivation testet. Dabei geht es eher selten darum, eine Hochbegabung zu diagnostizieren, sondern meist um die Fragen, ob ein Kind schulreif ist oder welche höhere Schule es besuchen kann.

Ein großer Vorteil der schulpsychologischen Beratungsstellen gegenüber anderen Anbietern sei das Ansehen, das ihre Diagnosen bei den Lehrern genössen, meint die Psychologin: "Unsere Schriftstücke sind einfach mehr wert, wenn es zum Beispiel um die Aufnahme an einer begehrten Privatschule oder das Überspringen einer Klasse geht. Außerdem kennen wir uns in allen Wegen der schulischen Förderung einfach am besten aus." Ulbricht rät deshalb: "Statt viel Geld für Begabungstests auszugeben, sollten die Familien lieber Lernmaterial kaufen - oder einen schönen Ausflug machen!"

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