Herbstdepression im Job:Hello darkness, my old friend

Dunkelheit umgibt den Arbeitnehmer auf dem Weg ins Büro. Nachtschwarz ist es, wenn er Feierabend macht. Und dazwischen? Starrt er in den Nebel vor dem Fenster.

Von Johanna Bruckner

Job-Kolumne #endlichfreitag

Endlich Freitag. Hochgefühl! Ein letzter Gedanke an die verpatzte Präsentation am Montag, ein Erschauern im Rückblick auf das Get-together am Mittwochabend, schnell noch ein Papierkügelchen in Richtung des Kollegen im Polohemd geschnippt: Was Arbeitnehmer im Büro erleben und warum es immer wieder schön ist, wenn die Arbeitswoche rum ist - darum geht es in der Kolumne #endlichfreitag.

Sonnenaufgang: 7:38 Uhr. Sonnenuntergang: 16:24 Uhr. Das sagt die Smartphone-Wetter-App, und auf dem Handy-Display ist sie auch tatsächlich zu sehen, eine kleine gelbe Sonne. Die sucht die Arbeitnehmerin Ende November beim Blick aus dem Bürofenster allerdings vergeblich. Knapp neun Stunden soll die Sonne am Himmel stehen? Vor ihrer verglasten Arbeitszelle im zwanzigsten Stock eines Münchner Hochhauses hängt der Nebel. Grau und undurchdringlich.

Novemberwetter; Nebel

Sie sehen - nichts. Genauso wenig, wie die Autorin dieses Textes beim Blick aus ihrem Büro im 20. Stock eines Münchner Hochhauses.

(Foto: Johanna Bruckner)

Er lässt nicht nur jeden Lichtstrahl verschwinden, sondern auch Straßen, Autos, braun gewordene Grünanlagen, und ja, irgendwann auch die Lebensfreude. Ob der Nebel nun besser oder schlechter ist als die Dunkelheit, in der sie morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause fährt - es kümmert die Arbeitnehmerin nicht mehr. Ihre Gemütslage ist mittlerweile so trist wie die Farbenwelt vor ihrem Fenster.

Wie sangen schon Simon & Garfunkel?

"Hello darkness, my old friend ... I turned my collar to the cold an damp ..."

Zugegeben, in "Sound of Silence" geht es mehr um soziale Kälte als um das Novemberklima. Aber für melancholisches In-den-Nebel-Starren gibt es keinen besseren Soundtrack.

Klassische Herbstdepression, ergibt eine kurze Google-Recherche. Symptome: gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit, vermehrtes Schlafbedürfnis, vermehrtes Verlangen nach Süßem und Kohlehydraten. Für manchen mag sich das nach einer Charakterbeschreibung anhören - aber die Herbstdepression zählt zu den sogenannten "saisonal-affektiven Störungen" und steht damit im offiziellen Krankheitenkatalog ICD der Weltgesundheitsorganisation.

ICD steht im Übrigen für "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems". Diese Information nur für den Fall, dass Ihr Chef Sie auf Ihren Apathismus im Meeting anspricht, oder Sie beim Mittagsschläfchen über dem Schreibtisch ertappt. Wenn Sie dann hochschrecken und sich verschämt eine Schokoladenspur von der Wange rubbeln, sagen Sie: "ICD-10, schlagen Sie's nach!"

Spaß beiseite, so weit sollten Sie es natürlich nicht kommen lassen. Dann lieber gleich mit einem gehusteten "Erkältung, fiebrig" zu Hause bleiben. Dass der höhere Krankenstand im Herbst und Winter auch auf Wetterfühligkeit zurückzuführen ist, ist bislang zwar statistisch nicht bewiesen. Aber eine gewisse anekdotische Evidenz ist gegeben. In wie vielen Firmenfahrstühlen finden dieser Tage Dialoge wie dieser statt?

"Ich werde einfach nicht wach. Keine Chance"

Erdgeschoss.

Mitarbeiter eins stiert mit blutunterlaufenen Augen auf die sich schließende Aufzugtür. Er wimmert.

Mitarbeiter zwei (mit geschlossenen Augen): "I feel you, dude."

Vierter Stock.

Mitarbeiter zwei (gähnt, mit geschlossenen Augen): "Ich sag's Ihnen, das Wetter macht mich fertig. Ich werde einfach nicht wach. Keine Chance."

Siebter Stock.

Mitarbeiter zwei (fängt mit geschlossenen Augen an, in seinen Jackentaschen zu kramen): "Irgendwo hatte ich noch einen Pocket Coffee ..."

Zwölfter Stock.

Mitarbeiter zwei (zieht sich mit geschlossenen Augen die Wollmütze vom Kopf): "Dabei fahr' ich schon mit dem Fahrrad hierher. Man sollte meinen, nach fünfundzwanzig Minuten bei drei Grad und Sprühregen sei man wach. Aber ich könnt' grad wieder ins Bett gehen."

Dreizehnter Stock.

Mitarbeiter zwei (mit geschlossenen Augen): "Einfach liegen bleiben. Das wär's. Irgendwann die Tage mache ich das mal. Grippe, Sie verstehen!? (Lacht und knufft den neben ihm stehenden Mitarbeiter eins in die Seite.)

Sechzehnter Stock.

Mitarbeiter zwei (mit geschlossenen Augen): "Sie sagen mir, wenn wir im 18. sind, ja?"

Achtzehnter Stock.

(Die Aufzugtüren öffnen sich.)

Mitarbeiter eins (drückt seine Aktentasche an die Brust): "Ich kann das nicht. Unmöglich."

Mitarbeiter zwei (öffnet die Augen, blinzelt): "Ach, Sie sind's Chef! Dann mal los, wacher werden wir nicht mehr!"

Finnische Wachhaltestrategien mit Tücken

Was gegen schwere Augen und ein schweres Gemüt hilft, wissen die Finnen. Dort kommen im Kampf gegen die monatelange Dunkelheit spezielle Lichttherapielampen und Vitamin-D-Präparate zum Einsatz. Wobei Erstere im Job eher ungeeignet erscheinen - die Ähnlichkeit mit Mini-Solarien fürs Gesicht ist einfach zu groß. Wer will schon im Beruf (und auch sonst) den Ruf als Asi-Toaster-Type haben?

Ohnehin haben finnische Wachhaltestrategien durchaus ihre Tücken. So gab die Weltgesundheitsorganisation in dieser Woche bekannt, dass in Finnland so viele Jugendliche wie noch nie an Schlaflosigkeit leiden. Forschungsleiter Erkki Kronholm führt dies unter anderem auf den hohen Konsum von Energy Drinks und die Dauernutzung von Smartphones zurück.

Wer ständig dem hellen Licht von Bildschirmen ausgesetzt ist, hat demnach eine verminderte natürliche Melatonin-Produktion - und schläft schwerer ein.

Die Arbeitnehmerin, die nach siebeneinhalb Stunden PC-Lichtdusche mindestens so müde ist wie am Morgen, mag das kaum glauben. Genauso wenig wie folgende Aussage eines Kollegen: "Also ich bin bei Nebel ja produktiver. Ich gucke dann nicht ständig nach draußen und denke darüber nach, was ich alles verpasse."

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