Harte Strafe für Eltern von Schulschwänzern:Sanktion: Führerscheinentzug

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Um Berlin-Neukölln - dem Stadtteil, in dem die berüchtigte Rütli-Schule steht - war es in den vergangenen Monaten ruhig geworden. Nun bringt die örtliche SPD den Bezirk zurück in die Schlagzeilen: Die Genossen wollen Eltern von Schulschwänzern hart bestrafen: mit Streichung des Kindergeldes und Führerscheinentzug.

Julia Bönisch

Über zu wenig Medienaufmerksamkeit konnte sich der Berliner Stadtteil Neukölln im vergangenen Jahr wahrlich nicht beschweren: Jugendgangs verwandelten den Bezirk in No-go Areas, hieß es, die Integration von Migrantenkindern sei gescheitert, im Problemkiez lebten die Menschen in Parallelgesellschaften. Zum schlechten Ruf Neuköllns trug auch die Rütli-Schule bei, deren Lehrer in einem Brandbrief auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machten: Die Pädagogen gingen nur noch mit Handy in den Unterricht, damit sie schnell Hilfe holen konnten, falls aggressive Schüler ausrasten.

Schulschwänzer: Die Berliner SPD will ihre Eltern mit dem Entzug des Führerscheins und der Streichung des Kindergeldes bestrafen. (Foto: Foto: dpa)

Vor der Rütli-Schule patrouilliert heute ein privater Wachschutz, der Kinder, Lehrer und Eltern vor Gewalttätern sichern soll. Im Projektunterricht entwerfen die Jugendlichen mittlerweile T-Shirts und Pullover, die als coole "Ghetto-Klamotten" bekannt sind und das Ansehen aufpoliert haben. Die Stadt pumpte viel Geld in eine Imagekampagne, Künstler und Kreative riefen Neukölln zum neuen Berliner Szeneviertel aus: Mit vereinten Kräften bemühte man sich, den Ruf als Schmuddel-Stadtteil der Nation wieder loszuwerden. Um Neukölln wurde es ruhig.

Kein Kindergeld aufs Konto

Nun aber lenkt die Neuköllner SPD den Blick der Öffentlichkeit mit einem Papier wieder auf ihren Stadtteil und seine Schulpolitik. Die "Groß-Pinnower Erklärung" der Kommunalpolitiker nimmt sich des Problems der Schwänzer an. Für Furore sorgen vor allem zwei Vorschläge der Genossen: Eltern von Schulverweigerern sollen künftig mit der Streichung des Kindergeldes und Führerscheinentzug bestraft werden.

"Kommt das Kind nicht in die Schule, dann kommt das Kindergeld nicht auf das Konto", heißt es in dem Papier, das die Neuköllner als Antrag auf dem bildungspolitischen Parteitag im September einbringen wollen. "In diesem Zusammenhang muss über weitere Sanktionsmodelle (zum Beispiel Führerscheinentzug) nachgedacht werden."

Landesweite Debatte

Mit den - vorsichtig ausgedrückt - ungewöhnlichen Forderungen möchten die Politiker eine landesweite Debatte anstoßen. "Wir wollen ein Umdenken initiieren", sagt SPD-Kreisvorsitzender Fritz Felgentreu. "Auf Bundesebene, im Familienrecht, tut sich gerade unheimlich viel. Diese Diskussion wollen wir voranbringen."

Mit ihrem Vorstoß kommen die Berliner Genossen außerdem gerade rechtzeitig zum Bildungsbericht, den die Kultusministerkonferenz (KMK) an diesem Donnerstag in Berlin vorstellt. Auch darin machen die Bildungsminister, so wurde vorab bekannt, auf das Problem der Schwänzer aufmerksam. Trotzdem will sich bei der KMK niemand zu den Neuköllner Ideen äußern.

Auf der nächsten Seite: Warum die Berliner Genossen glauben, mit der Streichung des Kindergeldes nicht die Schwächsten, nämlich die Kinder selbst zu treffen.

Fraglicher pädagogischer Effekt

Der Berliner Schulsenator Jürgen Zöllner, ebenfalls SPD, ist für Presseanfragen zu den Ideen seiner Parteikollegen auch nicht erreichbar. Sein Sprecher Kenneth Frisse jedoch schickt per Mail eine verklausulierte Stellungnahme an Journalisten: "Es ist unser Ziel, Kinder, Jugendliche und Familien in sozialbelasteten Quartieren wie zum Beispiel Neukölln zu stärken." Unabhängig von der Prüfung der einzelnen Vorschläge müsse man im Auge behalten, dass in all den genannten Handlungsfeldern bereits Maßnahmen von Land und Bezirken im Gange seien, etwa die Stärkung der Grundschulen, der Jugendsozialarbeit an den Schulen oder Fort- und Weiterbildung für Pädagogen. "Bei der Bewertung dieser neuen Vorschläge muss man berücksichtigen, wie sie sich auf die sorgfältige Umsetzung und Wirkung dieser Maßnahmen auswirken."

Einzig die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht sich zu einer Äußerung in der Lage. "Führerscheinentzug und Streichung des Kindergeldes - da ist der pädagogische Effekt wirklich sehr fraglich", sagt Martina Schmerr, Schulreferentin der GEW. "Jeder Lehrer weiß, dass Zwangsmaßnahmen nicht helfen. Die Schule muss solche Angebote machen, dass Jugendliche freiwillig kommen."

Unterrichts-Abstinenz führt auf die schiefe Bahn

Das allerdings gelingt gerade den Hauptschulen immer seltener. Zuverlässige Zahlen über Schwänzer gibt es nicht, doch beim Deutschen Jugendinstitut, das im Auftrag der Bundesregierung zur Schulmüdigkeit forscht, schätzt man, dass zwischen fünf und 15 Prozent eines Altersjahrgangs schwänzen.

Der Neuköllner Kreisvorsitzende Felgentreu glaubt, dass die Quote in Berlin noch weitaus höher liegt. "An den Hauptschulen schwänzen zwischen 20 und 50 Prozent." Die Unterrichts-Abstinenz führe viele Jugendliche auf die schiefe Bahn. "Ausnahmslos alle jugendlichen Intensivtäter Berlins haben ihre kriminelle Karriere als Schulschwänzer begonnen."

Deshalb glaubt er sich mit seinen Ideen auf dem richtigen Weg. Dass er mit einer Streichung des Kindergeldes nur die Schwächsten, nämlich die Kinder selbst treffe, hält er ebenfalls für falsch. "In den Familien, von denen hier die Rede ist, kommt dieses Geld sowieso nicht bei den Kindern an."

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