Guttenberg und die Wissenschaft:Gar nichts ist gutt

Für Wissenschaftler ist die Affäre Guttenberg längst nicht vorbei. Sie diskutieren über die Schwächen des Promotionsverfahrens - und fühlen sich von Kanzlerin Merkel benutzt.

Rudolf Neumaier

Das Guttenberg-Gewitter ist vorüber, das Grollen aber wird noch einige Zeit nachhallen, sowohl in der Politik als auch, noch deutlicher, in der Welt der Wissenschaft: Die Plagiatsaffäre hat Diskussionen ausgelöst. Es geht um das Standesethos im Allgemeinen und um das Verfahren bei der Vergabe von Doktortiteln im Besonderen.

Politischer Aschermittwoch - CSU

Wie ein Phantom: Für die Wissenschaft ist die Affäre Guttenberg noch nicht vorbei.

(Foto: dpa)

Wie vielfältig die Unmutsbekundungen aus der Wissenschaft ausfallen, zeigt sich in den Briefen, die der Bonner Mathematik-Professor Matthias Kreck erhalten hat. Kreck startete wenige Tage vor Guttenbergs Abgang mit sieben weiteren Hochschullehrern eine Initiative, in der Gelehrte aufgerufen waren, sich ihrer "Erklärung zu den Standards akademischer Prüfungen" anzuschließen. Etwa 3300 Zuschriften von Unterstützern sind eingegangen. Die Absender stammen aus allen denkbaren Fachrichtungen, Max-Planck-Direktoren sind ebenso darunter wie Fakultätsdekane, Lehrstuhlinhaber, Emeriti und Honorarprofessoren. Alle zusammen bilden eine beispiellose akademische Basisbewegung.

Aus manchen Einsendungen spricht blanker Frust: "Nach dem, was bei den Politikern sichtbar wird, frage ich mich, warum ich überhaupt noch zur Wahl gehen soll", schreibt ein Gelehrter. Den Wissenschaftlern geht es zum einen um das Ansehen wissenschaftlicher Forschung. Das hat nach ihrer Auffassung dadurch erheblichen Schaden erlitten, dass und wie der Plagiator Guttenberg von Vertretern der Union und der Bundesregierung verteidigt wurde. "Die Logik der Kanzlerin ist erschütternd. Hier werden nicht nur fundamentalste wissenschaftliche Standards nach unten verschoben, sondern auch essentielle gesellschaftliche Werte wie Ehrlichkeit beschädigt", schreibt ein Professor.

Manch einer spekuliert, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe vor der Demission Guttenbergs gezielt über Bande gespielt. Die Spekulationen beziehen sich auf ein YouTube-Video, das die Kanzlerin angeblich zeigt, wie sie am Tag von Guttenbergs Rücktritt dessen Abschieds-E-Mail empfing. In dem Film lächeln Merkel und Bundesbildungsministerin Annette Schavan nach einem Blick auf das Mobiltelefon einander komplizenhaft zu - als triumphierten sie über das Ende des politischen Parvenüs und potentiellen Widersachers der Kanzlerin.

Einige Wissenschaftler argwöhnen, die Strategin Merkel könnte bewusst mit dem Druck der akademischen Öffentlichkeit kalkuliert haben, der Guttenbergs Karriereende ja tatsächlich beschleunigte. Auch Matthias Kreck hält solche Vermutungen nicht für abwegig. "Wenn das so war", sagt er, "dann sind wir übel missbraucht worden. Dann stellte sich Frau Merkel nur zum Schein vor Guttenberg im Wissen, dass sie von seiner Popularität profitiere und wir Akademiker Guttenberg in ihrem Sinne attackieren."

"Unerträgliches Verhalten"

Gleichwohl richten sich viele der Mails, die Krecks Vorstoß unterstützen, nicht allein gegen die Politik und das "unerträglich freche und fortgesetzt verlogene Verhalten" Guttenbergs, wie ein Professor zürnt, der dazu anmerkt, "Fälle von Täuschungen sind mir bekannt, aber keine so dreisten und umfänglichen".

Auch Selbstkritik klingt an. "Ja, Guttenberg hat betrogen", schreibt ein anderer, "aber drücken wir selber bei anderem Betrug in den Wissenschaften nicht beide Augen zu?" Wer mit Professoren spricht, bekommt von schwarzen Schafen in eigenen Reihen zu hören, die von Kollegen oder gar von Studierenden abschreiben. Namen will dann aber niemand nennen.

Innere Reinigung durch öffentliche Transparenz - hier hat das Bekenntnis zur Läuterung trotz der Guttenberg-Affäre enge Grenzen. Flammende Aufrufe wie dieser klingen also bis auf weiteres wohlfeil: "Diese Aktion muss der Anfang dazu sein, dass sich Professoren und Studierende über die Situation der Hochschulen nach außen Gedanken machen." Zumal sie allenfalls zaghaft am System kratzen, das sich die Hochschulen weitgehend bereitwillig von der Politik oktroyieren ließen. "Wäre so etwas (die Guttenberg-Promotion, Anm. d. Red.) zu Zeiten, wo nicht Drittmitteleinwerbung und große Zahlen von Doktoranden Pflicht sind, auch passiert?", fragt ein Hochschullehrer. Ein anderer bemängelt selbstkritisch: "Wir Professoren haben uns einschneidende Veränderungen von außen vorgeben lassen, obwohl viele von uns vieles für einen Rückschritt halten."

Matthias Kreck und seine sieben Mitstreiter wollen die überwältigende Resonanz nicht verebben lassen. Die Erklärung und die Professoren-Unterschriften sollen zu einem Buch verarbeitet werden, das deutsche Politiker sowie die Präsidenten von Forschungseinrichtungen zum Lesen bekommen. Zudem wird erwogen, einen Kongress einzuberufen, der Lehren aus der Guttenberg-Affäre ziehen soll.

Ob sich die Politiker dann angesprochen fühlen? Kaum. Wenn sie handeln wie bisher, ignorieren sie die Erklärung und verweisen darauf, dass sie als ihre Verhandlungspartner in universitären Fragen die Hochschul- und Forschungsverbände sehen. Die wiederum ernten in den Zuschriften, die beim Mathematiker Kreck eingegangen sind, ebenfalls Kritik: Zu spät und nicht eindringlich genug hätten sie in der Guttenberg-Affäre protestiert.

"Die Universität macht sich zum Komplizen des Betrügers"

Einige diskussionswürdige Vorschläge zu einer Reform des Promotionswesens enthalten die Mails jedenfalls. Sie ließen sich durchaus zu einem einigermaßen verbindlichen Kodex verarbeiten.

Einigermaßen - diese Einschränkung muss man betonen, denn zu unterschiedlich sind und bleiben wohl auch die Erwartungen an Doktoranden in einzelnen Fächern. Wer wollte etwa von einem Mediziner erwarten, dass er mindestens drei Jahre in eine Dissertation investiert, wie es beispielsweise bei Historikern üblich ist?

Ein Vorschlag lautet, Promotionsstudiengänge vorzuschreiben, was den akademischen Betreuern die Kontrolle der Kandidaten erleichtern würde. Andere Vorschläge zielen darauf ab, die Begutachtung einer Doktorarbeit nicht vom Doktorvater, sondern von einem unabhängigen Gelehrten vornehmen zu lassen. Für unerlässlich halten es viele Hochschullehrer, die Bewertung einer Arbeit mit der Bestnote summa cum laude von einem externen Prüfer bestätigen zu lassen - was bereits an zahlreichen Hochschulen üblich ist, nicht aber an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Bayreuth, Guttenbergs Alma Mater.

Matthias Kreck stellt gar in Frage, ob Dissertationen bewertet werden müssen. In den USA verzichte man darauf. Dadurch wäre die disparate und schwer nachvollziehbare Notengebung der einzelnen Universitäten aufgehoben. Um den Wert einer Dissertation transparent zu machen, könnten Doktoranden jedoch verpflichtet werden, einer Veröffentlichung der Gutachten zuzustimmen. Die Logik dahinter: Wer öffentlich einen Doktortitel führt, muss auch ertragen, wenn seine Leistung wissenschaftlich und öffentlich analysiert wird.

In der Regel liegen solche Gutachten einige Wochen in den Fakultäten aus - Einsicht ist nur Professoren gewährt. Zumindest in dieser Frist sollten sie auch im Web zugänglich sein, sagt Rainer Hegselmann, Philosophie-Professor in Bayreuth. Hegselmann protestierte scharf gegen das Vorgehen seiner eigenen Universität: Er vermisst eine klare Verurteilung des Plagiats. Es sei für niemanden nachvollziehbar, dass bei Guttenbergs Arbeit "nicht auf absichtliche Täuschung und Betrug seitens des Doktoranden erkannt" wurde.

Die Universität habe dadurch den Schaden für Guttenberg offensichtlich minimiert und den Doktorgrad lediglich unter Berufung auf das Verwaltungsverfahrensgesetz aberkannt. Hegselmann schrieb dem Bayreuther Universitäts-Präsidenten: "Durch Finessen dieser Art macht sich die Universität faktisch zum Komplizen eines Betrügers."

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