Gut arbeiten:Unsinn Überstunde

Extralang am Abend, Sonderschichten am Wochenende, Einsatz von zu Hause: Wer so arbeitet, arbeitet sich kaputt. Den Schaden hat der Arbeitgeber.

Nicola Holzapfel

Arbeitswissenschaftler mögen keine Überstunden. Der Grund ist einfach: Überstunden belasten den Körper. Daher sind sie auch aus arbeitsorganisatorischer Sicht wenig sinnvoll. Wer lange arbeitet, arbeitet ineffizient. Schon ab der siebten Stunde fällt die Leistungsfähigkeit ab, die Fehleranfälligkeit nimmt zu. Bei der Wochenarbeitszeit ist nach 35 bis 38 Stunden Ende der Fahnenstange.

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(Foto: Foto: iStockphoto)

Wer dauerhaft mehr arbeitet, macht das auf Kosten seiner Gesundheit. Und das spürbar: Wie viele Untersuchungen zeigen, steigen die Beschwerden mit der Wochenarbeitszeit an. Rücken- und Magenschmerzen, Schlafstörungen und Herzprobleme nehmen zu. Die Leistungsfähigkeit leidet. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter dazu anhalten, möglichst lange zu arbeiten, schaden sich damit selber. Sie könnten mehr aus ihnen herausholen, wenn sie sie frühzeitig nach Hause schicken würden.

In der Realität nützen die Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft leider wenig. In vielen Büros gilt "je länger, desto besser".

Wie eine Umfrage des Hans-Böckler-Instituts zeigt, ändern sich die Arbeitszeiten in Deutschland dramatisch auf Kosten der Beschäftigten. Nur noch 13 Prozent haben einen Beruf, in dem die klassische Normalarbeitszeit von Montag bis Freitag gilt. Seit 1989 hat sich diese Quote halbiert. Stattdessen wird heute "flexibel" gearbeitet. 29 Prozent der Beschäftigten haben "überlange Wochenarbeitszeiten" von mehr als 42 Stunden. Bei 15 Prozent schwankt die Arbeitszeit um 20 Stunden und mehr die Woche. Sechs Prozent haben Schicht und Nachtdienste.

Friedhelm Nachreiner, Arbeitspsychologe an der Uni Oldenburg, hält diese Entwicklung für "sehr problematisch".

Natürlich sind flexible Arbeitszeiten nicht per se schlecht. Viele Beschäftigte wünschen sie sich sogar, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Doch selbst wenn sie ihre Arbeitszeit frei wählen können, bekommt ihnen genau das unter Umständen schlecht.

Zum einen besteht die Gefahr der Selbstausbeutung: Manche finden einfach kein Ende, vor allem wenn sie die Arbeit auch mit nach Hause nehmen. Zum anderen verträgt der Mensch es schlecht, mal sehr viel, mal wenig zu arbeiten. Wenn man über einen langen Zeitraum zu viel arbeitet, lässt sich das nicht einfach wieder mit etwas Freizeit ausgleichen. "Man ist dann schon zu ermüdet, um sich rasch wieder erholen zu können", sagt Nachreiner.

Ein unregelmäßiger Arbeitsrhythmus führt zu gesundheitlichen Beschwerden. Das gilt umso mehr, wenn er nicht selbst gewählt ist, sondern von außen vorgegeben wird. Wenn die Arbeitszeiten nicht mit dem sozialen Rhythmus übereinstimmen, werden sie vollends zur Belastung.

Unsinn Überstunde

Bei der Einführung von Arbeitszeitsystemen in Unternehmen kommt es daher darauf an, dass die Beschäftigten möglichst regelmäßige Schichten haben und die Arbeitszeiten soweit wie möglich dem biologischen und sozialen Rhythmus folgen.

Gut arbeiten: Gesundheitliche Beschwerden bei langen Arbeitszeiten.

Gesundheitliche Beschwerden bei langen Arbeitszeiten.

Nachreiner weiß aus Erfahrung, dass Unternehmen häufig ihre Mitarbeiter unnötig belasten. Bei einer besseren Einteilung und Planung kämen sie leichter mit den unregelmäßigen Zeiten zurecht. Geradezu "fatal" sei die Ad-hoc-Bestellung von Mitarbeitern wie sie in manchen Callcentern üblich ist. Auf der Webseite der Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologie (Gawo) gibt es eine Software, mit der Unternehmen prüfen können, inwieweit ihr Arbeitszeitsystem den gesetzlichen Vorgaben und arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. (Die Demo-Version kann zehn Tage lang kostenfrei eingesetzt werden.)

Die Gawo führt zurzeit auch eine Online-Umfrage zum Thema "Nutzbarkeit von Zeit" durch. Dahinter steht die Überlegung, dass nicht jede Stunde gleich viel wert ist. Momentan wird bei Arbeitszeitsystemen jede Überstunde am Ende eines langen Arbeitstages genauso vergolten wie eine Arbeitstunde am frühen Morgen, wenn sie den Beschäftigten weit weniger belastet. Dasselbe gilt natürlich für die verbliebene freie Zeit: Wer arbeitet, wenn andere schlafen und frei hat, wenn andere arbeiten, kann seine Freizeit weniger nutzen. Erste Auswertungen zeigen, dass Deutschland ganz klar eine "Abend- und Wochenendgesellschaft" ist. Diese Zeiten werden als sozial besonders wertvoll eingeschätzt.

Und was sollen die Beschäftigten tun, die bereits im Kreislauf flexibler und zu langer Arbeitszeiten stecken? Weniger arbeiten. "Die Arbeitszeiten auf ein eträgliches Maß reduzieren und häufiger mal Pausen machen", empfiehlt Nachreiner. Außerdem: "Versuchen, im Rhythmus zu bleiben, und die freie Zeit mit sozialen Aktivitäten ausfüllen."

Eines scheint auf jeden Fall keine Lösung: am Schlaf zu sparen. Zwar behauptet mancher Manager und Politiker mit wenigen Stunden auszukommen, auf Dauer geht das aber nicht gut. "Natürlich kann man seinen Schlaf zeitweise reduzieren. Aber die Frage ist, wie lange man das durchhält. Schlafmangel erhöht das Risiko von Fehlhandlungen", sagt Nachreiner.

Von vielen Arbeitswissenschaftlern gelobt wird dagegen die Siesta. Sie würde die Leistungsfähigkeit viel mehr unterstützen als die berühmte Tasse Kaffee. "Ein Napping zwischendurch kann sehr sinnvoll sein", sagt auch Nachreiner. Allerdings darf man danach nicht sofort wieder an seinen Arbeitsplatz hechten. Nach einem Nickerchen sollte man sich immerhin auch die Zeit nehmen, seinen Körper wieder wach werden zu lassen, um voll einsatzfähig zu sein.

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