Grafologie:Reine Schaumschlägerei

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Kann man die Persönlichkeit von Bewerbern an ihrer Handschrift erkennen? Noch immer erstellen Grafologen Gutachten im Auftrag von Firmen.

Von Martin Scheele

Rosemarie Gosemärker arbeitet seit 1990 als Grafologin. Sie erstellt Eignungsgutachten für Unternehmen und arbeitet in der Personalentwicklung mit.

SZ: Wer braucht noch Grafologen? Ist das nicht ein aussterbender Beruf?

Rosemarie Gosemärker: Davon kann keine Rede sein. Allerdings ist es richtig, dass die Grafologie mit Gegenwind zu kämpfen hat. Personalberater, die sich für modern halten, argumentieren dagegen, bleiben allerdings den Beweis der Gültigkeit ihrer Ansichten schuldig.

Aber die Grafologie spielt heute ein Nischendasein in deutschen Firmen.

Das sehe ich anders. Viele Unternehmen fordern noch immer grafologische Gutachten über Bewerber an. Ein Prozentsatz ist nicht zu ermitteln. Auch bei einem internen Wechsel wird der Rat eines Grafologen eingeholt. Außerdem wird ein strukturiertes Bewerbungsgespräch und manchmal noch ein weiterer Test eingesetzt. Das grafologische Gutachten ist dann das Zünglein an der Waage, oft aber auch neben dem Gespräch das einzige Kriterium. Das Vertrauen in die Aussagen des Gutachtens ist aus Erfahrung hoch.

Was kann man mit einer handschriftlichen Analyse alles herausfinden?

Für Betriebe ist es wichtig, über die Gesamtpersönlichkeit und die einzelnen Aspekte im Hinblick auf die Position unterrichtet zu werden. Die Grafologie erlaubt Aussagen über die Art des Denkens, etwa ob jemand analytisch, flexibel oder starr folgernd denkt. Zudem erfahren wir durch unsere Arbeit, welche Art die Willensausprägung hat, zum Beispiel, ob der Wille starr oder ausdauernd ist. Überdies bekommen wir Ergebnisse hinsichtlich seiner Einstellung zur Arbeit und wie er Arbeit durchführt, etwa rasch, mit Anfangselan oder mit allmählich zunehmender Intensität. Nicht zuletzt wird uns das zwischenmenschliche Verhalten deutlich, ob er offen oder abwartend distanziert ist. Aus all diesen Informationen kann sich der Auftraggeber ein Bild über die Eignung des Kandidaten machen.

Der Steakhouse-Unternehmer Eugen Block schwört auf grafologische Gutachten und behauptet, allein an der Unterschrift eines Bewerbers könne 60 Prozent des menschlichen Charakters erkannt werden. Glauben Sie das auch?

Es gibt keinen gläsernen Menschen. Über den Prozentsatz dessen, was der Grafologe aus der Handschrift erschließen kann, kann ich keine Aussage machen. Das hängt auch davon ab, wie differenziert die Person ist und wie viel Handschrift zur Verfügung steht. Die Unterschrift jedenfalls gibt nur bekannt, wie der Schrifturheber von außen wahrgenommen werden möchte. Sie kann weit von der Textschrift abweichen und lediglich eine Art Visitenkarte sein. Es kommt vor, dass eine Unterschrift den Menschen wahrhaftig zeigt, sie kann aber auch reine Schaumschlägerei sein.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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