Glücksspiel und Moral:Münze um Münze

Glücksspiel

Das Geschäft mit den blinkenden Spielautomaten läuft bestens - auch für Spielsalonbetreiber Toni Cammer.

(Foto: Salome Kegler/dpa)

Milliarden Euro werfen Spieler und Spielsüchtige jedes Jahr in Deutschlands Automaten. Einer, der daran gut verdient, ist Spielhallenbesitzer Toni Cammer. Besuch bei jemandem, der sich nicht allzu viele Gedanken macht.

Von Matthias Kohlmaier

Ein paar Klischees gibt es, die haften an den zugehörigen Berufsgruppen wie Kaugummi. Uni-Professoren lieben abgewetzte Sakkos mit Flicken auf den Ärmeln. Bibliothekarinnen haben die Haare zum Dutt hochgedreht. Und Casinobesitzer tragen protzige goldene Rolex-Uhren.

Toni Cammer hat keine goldene Rolex, weder am Arm noch zu Hause in irgendeiner Schublade. Für das, was er betreibt, dürfte Spielhölle auch der treffendere Begriff sein: ein etwas heruntergekommener zweistöckiger Flachbau in einem Gewerbegebiet im Münchner Umland. Von Glanz und Gloria aus dem 007-Streifen "Casino Royale" ist nichts zu sehen, an der Bar werden keine Martinis aus langstieligen Gläsern getrunken, sondern meist Augustiner Helles. Hier gibt es kein "Rien ne va plus", kullernde Roulettekugeln und smarte Black-Jack-Croupiers mit Weste und passender Fliege.

"Zwischen Ausbeutung und Selbstverwirklichung: Wie arbeiten wir in Zukunft?" Diese Frage hat unsere Leser in der achten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur aktuellen Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

In Cammers Laden stehen stattdessen Dutzende hektisch - für manchen Gast wohl: verführerisch - blinkende Glücksspielautomaten. Solche, bei denen der Spieler nach Münzeinwurf auf die dreifache Sieben hofft, oder wenigstens auf ein paar identische Fruchtsymbole. Im Keller gibt es Billard- und Kickertische, im ersten Stockwerk stehen ein paar Zimmer zur Verfügung für "privatere Runden", wie der Besitzer es nennt. Laufen die Poker- und Schafkopfpartien dort oben immer legal ab? "Meistens", sagt Cammer, der unter anderem deshalb hier nicht seinen richtigen Namen lesen möchte.

Neubeginn mit Anfang 40

Toni Cammer ist Mitte 50, gelernter Maschinenschlosser, hat sich aber nach der Ausbildung jahrelang "so durchgeschlagen", wie er es beschreibt. Mal hier, mal dort gearbeitet; Stress gab es mit seinen Chefs nie, lange bleiben wollte er trotzdem nirgends. Mit seiner Frau ist er seit mehr als 30 Jahren zusammen, 25 glücklich verheiratet. "Wir wollten nie Kinder", sagt er. "Und dann fragst du dich mit Anfang 40 und so ganz ohne Verpflichtungen schon mal: Will ich nicht doch noch mal was Neues mit meinem Leben machen?"

Das Neue war dann die Spielothek, die Cammer kurz nach der Jahrtausendwende eröffnete. Ihm selbst gibt Glücksspiel bis heute wenig: "Ich mag's nicht gern, wenn ich die Dinge nicht beeinflussen kann." Aber er hat lange Zeit gern und häufig in verschiedenen Salons Billard gespielt, da "kannte man das Klientel und die Umgebung schon ein bisschen", sagt er. Die Entscheidung für eine Karriere im Glücksspielwesen fiel aus pragmatischen Gründen: "Wir haben uns gedacht: In der Zeitung steht ständig nur irgendwas von Krisen und Katastrophen. Sollen doch die Leute zu uns kommen und mal für ein paar Stunden den Ärger draußen lassen." Er investierte fast seine kompletten Ersparnisse, handelte bei der Bank einen halbwegs günstigen Kredit aus und war ein paar Monate später Chef seines eigenen Ladens.

"Das ist hier nicht Monte Carlo"

Zu dem Beruf, den er mittlerweile seit 13 Jahren hat, hat Cammer ein entspanntes Verhältnis: "Natürlich hat das Glücksspielwesen nicht den besten Ruf und natürlich ist das hier nicht Monte Carlo. Dafür kennen wir viele unserer Kunden seit Jahren, hier finden Sie ein bisschen Zerstreuung nach einem langen Arbeitstag", sagt er. Menschen einen Fluchtpunkt aus dem Alltag zu schaffen, das findet er nicht verwerflich.

Die Geschäfte laufen seit Jahren gut, mit den blinkenden Automaten hat er eine unternehmerisch weitsichtige Wahl getroffen. Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge ist der Anteil der Bevölkerung, der im zuletzt untersuchten Zeitraum, von 2011 bis 2013, an Geldspielautomaten gespielt hat, deutlich gestiegen - von 2,9 auf 3,4 Prozent. Nach BZgA-Angaben gehen die Umsätze der staatlich konzessionierten Glücksspiele zurück, der gewerbliche Geldspielautomaten-Markt nimmt dagegen kontinuierlich zu. Besonders bei jungen Männern im Alter von 18 bis 20 Jahren wird das Zocken an Automaten immer beliebter. Mehr als jeder Siebte in dieser Altergruppe hat laut BZgA Erfahrung mit derlei Glücksspielen.

"Ich zwinge ja niemanden, hierherzukommen"

Für den Unternehmer Cammer bedeutet die Entwicklung: Er ist seit 2011 schuldenfrei, drei Jahre früher als geplant. "Mit so einem großen Erfolg hätte ich nie gerechnet", sagt er. "Die Leute sind zufrieden bei uns und kommen wieder."

Wer sich aber in Cammers Spielothek umsieht, findet nicht viele zufriedene Durchschnittsbürger, die sich einen netten Abend machen wollen. Das Gros der Kunden sind Männer, aus allen Altersgruppen, glücklich sieht kaum einer aus. Sie stecken Münze um Münze in die Automaten, gesprochen wird wenig. Aus den Lautsprechern schmettert "The Final Countdown".

Karohemd zwischen Bierdunst und Münzgeklimper

"Am besten leben kann ich von den Kunden, die nicht genug kriegen können", sagt Toni Cammer in seinem Büro. Er meint: vom Zocken und vom Alkohol. Er sagt das ruhig und ohne geringschätzig zu klingen. Dieses Geschäft hat er sich mit Bedacht ausgesucht und will sich nicht dafür rechtfertigen: "Ich zwinge ja niemanden, hierherzukommen." Der Spielhallenbetreiber kann viele Geschichten über seine Gäste erzählen, über die Menschen, von denen er gut leben kann.

Da war der eine, der wochenlang quasi im Casino gewohnt hat. "Gewöhnlich sperren wir täglich eine Stunde zu, damit die Putzfrau einmal durchwischen kann. Aber der blieb ein paar Mal einfach sitzen." Rausgeworfen habe er den Mann freilich nicht, zahlende Kundschaft lässt man als Geschäftsmann ungern gehen. Irgendwann kam der Gast dann von einem auf den anderen Tag nicht mehr. "Ich habe mich schon gefragt, warum der wegbleibt", sagt Cammer. Vielleicht war er pleite? "Kann sein."

Warum manch langjähriger Kunde irgendwann nicht mehr kommt, darüber denkt Cammer nicht weiter nach. Oder will es nicht tun. Stattdessen ist er stolz darauf, schon mal einem volltrunkenen Stammgast die Autoschlüssel weggenommen zu haben. "Ehrensache" sei das für ihn gewesen, den Mann nicht mehr fahren zu lassen. Cammer, der mit seinen Jeans, dem Karohemd und der randlosen Brille optisch so gar nicht in diese Welt aus schlecht rasierten Männern mit gegeltem Haar, Bierdunst und Münzgeklimper passt, wirkt mitunter etwas naiv. Vielleicht ist es aber auch die Kaltschnäuzigkeit des Geschäftsmanns.

Zum Abschluss ein Klischee

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) geht für das Jahr 2012 davon aus, dass allein über Automaten mit Gewinnmöglichkeit ein Umsatz von mehr als 19 Milliarden Euro generiert wurde. Teil dieser Statistik sind auch die Menschen, die ihr Gehalt bei Toni Cammer verzocken; die draußen, im echten Leben, mit sich und mit dem Geld hadern, das sie bei ihm in der Spielhölle lassen.

"Na ja", sagt Cammer, "klar kommt hier immer mal wieder einer rein, der das nicht unter Kontrolle hat, was er tut". Und ja, er sehe das, wenn die Männer, die er oft "Jungs" nennt, mit betretenem Blick irgendwann gegen fünf Uhr morgens raus auf den Parkplatz schleichen. "Aber wenn ich anfange, mich zu fragen, wo genau die dann hinfahren, und ob die mehr Geld hiergelassen haben als sie eigentlich wollten, dann könnte ich den Laden auch gleich zumachen. Ich bin Unternehmer, nicht die Mutti von ein paar Halbstarken."

Cammer sagt das mit klarer Stimme. Er ist nicht der Typ für große Gefühlsausbrüche. Aber er schaut seinem Gegenüber zum ersten Mal während des fast zweistündigen Gesprächs für ein paar Sekunden nicht in die Augen.

Wenig später, draußen am Parkplatz, steht ein schwarzer Sportwagen. Die Kosten für vorgenommene Umbauten und Tuningmaßnahmen dürften mindestens dem Basiswert des Autos entsprechen. "Habe ich mir vor zwei Jahren gegönnt", sagt Toni Cammer. Also doch noch ein Klischee, das der Mann erfüllt.

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