Glücksfall Arbeit:Ein souveränes Debüt

Warum eine Kölner Werbeagentur ganz bewusst eine 64-jährige Sekretärin eingestellt hat.

Von Christine Demmer

Achtzehn Jahre lang arbeitete Gisela Schmitz-Pranghe als Sekretärin in einem Kölner Verlag. Sie überlebte die Schreibmaschine, das "dass" mit scharfem S, zwei oder drei Branchenkrisen und ebenso viele Chefs. Sie las sich quer durch das Verlagsprogramm, sah neue Buch- und Zeitschriften-Ideen blühen, reifen und verdorren, kümmerte sich um hoffnungsvolle Autoren und wimmelte Möchtegern-Schriftsteller ab. Im Verlag fühlte sich Schmitz-Pranghe wohl und gebraucht. Daher war sie wie vom Donner gerührt, als ihr der Verlagschef genau 15 Monate vor ihrem 65.Geburtstag die Kündigung überreichte. Der Grund: "Strukturelle Veränderungen".

Gisela Schmitz-Pranghe

"Die hatten überhaupt keine Vorbehalte gegen mich": Gisela Schmitz-Pranghe mit Ingo Zang.

(Foto: Foto: oh)

Anders geplant

Nun hätte die Kölnerin ja vorzeitig die Rente beantragen können. Doch sie hatte mit ihrem Mann vereinbart, frühestens mit 67 Jahren aufzuhören, und darüber war der Verlagschef genau im Bilde. Deshalb nahm sie den unerwarteten Rausschmiss besonders übel: "Das macht meine ganze Lebensplanung kaputt." Weil die Sekretärin ahnte, dass sie mit 64 Jahren nicht mit Angeboten überhäuft werden würde, wandte sie sich gar nicht erst an das Arbeitsamt. Wer stellt schon eine Sekretärin kurz vor dem Ruhestand ein? Selbst wenn sie kerngesund ist und mindestens zehn Jahre jünger aussieht?

Da erinnerte sich Gisela Schmitz-Pranghe an Ingo Zang. Der war früher einmal Auszubildender und danach Vertriebsassistent im Verlag gewesen. Mit ihm war sie immer prima klar gekommen, und Zang, das wusste sie, hatte viele Kontakte in die Branche. Also fragte sie ihn gerade heraus: "Können Sie mich irgendwo unterbringen?" Zang, inzwischen Master of Business Administration (MBA) und 39 Jahre alt, musste nicht lange nachdenken. "Versuchen Sie es doch bei uns. Erst mal auf 400 Euro-Basis, und dann sehen wir weiter."

Mit "uns" meinte er die Kölner Werbeagentur MaCologne, bei der Zang als Gesellschafter und Geschäftsführer das Sagen hat. Gisela Schmitz-Pranghe zögerte nicht und schlug ein. So verschieden können die Sekretariate in einem Verlag und in einer Werbeagentur ja nicht sein, dachte sie sich. Außerdem reizte sie die neue Branche. Und mit den jungen Kollegen würde sie schon zurecht kommen.

Alles neu

Seit November 2003 teilt sich Gisela Schmitz-Pranghe mit einer Kollegin die Verwaltungsarbeit von MaCologne. Telefondienst, Buchhaltung, Korrespondenz und Korrekturlesen fallen ihr nicht schwer, denn die mittlerweile 65-Jährige ist erfahren in allen Sekretariatsarbeiten und interessiert sich brennend für alles Neue.

Obwohl die Allrounderin erheblich älter ist als die anderen Mitarbeiter, ist Ingo Zang davon überzeugt, mit der Seniorin einen guten Fang gemacht zu haben. "Man merkt, dass sie sich bei bestimmten Dingen etwas schwerer tut, zum Beispiel dauerte die Einarbeitung in unser neues Fakturierungssystem ein bisschen länger. Aber dafür bringt sie Ruhe, Kontinuität und eine hohe Leistungsverpflichtung in das Team hinein", sagt er. "Diese Werte werden gerade von älteren Mitarbeitern hoch gehalten. Die wollen unbedingt einen guten Job machen. Wenn sie nicht mehr im Arbeitsleben stehen, geht unheimlich viel verloren."

Außerdem, und hierüber regt sich Ingo Zang noch mehr auf, sei es eine Schande, wenn man Mittfünfzigern die Arbeit verweigere. "Wenn die Leute ihre Lebensarbeitszeit hinter sich haben und sagen, ich brauche das nicht mehr, ist es okay. Aber wer arbeiten will - sei es, weil er das Einkommen benötigt, sich sonst langweilt oder schlicht gebraucht werden will - , der sollte es auch dürfen." Ein blauäugiger Idealist ist der Agenturchef freilich nicht. "Es geht nicht an jedem Arbeitsplatz, und wir können auch nicht alle Älteren in Richtung modernes Design oder ähnliches qualifizieren. Aber es gibt viele andere Funktionen, in denen ältere Arbeitnehmer ihre besonderen Vorzüge einbringen könnten."

Keine Vorbehalte

Als Betriebswirt zielt Zang immer auf Win-Win-Situationen. Schmitz-Pranghe verdient in der Agentur etwas weniger als früher im Verlag. Außerdem erhält MaCologne einen Lohnkostenzuschuss vom Arbeitsamt. "Der variiert zwischen 30 und 50 Prozent des Gehaltes", sagt Zang, "und hängt von Alter und Qualifikation des Arbeitnehmers ab." Dafür kann der Chef die neue Mitarbeiterin flexibel einsetzen, sogar bei anspruchsvollen Lektoratsarbeiten für Kunden wie Alpro Soja, Thyssen Krupp oder Mercedes Benz. "Sie interessiert sich für Literatur und verfügt über eine klassische Allgemeinbildung", sagt er, "das ist heute selten geworden." Sie freut sich, wenn sie gebeten wird, einen Text zu lektorieren. Und wenn es mal eng wird, springt sie an anderen Plätzen ein.

So etwas imponiert auch den jungen Textern und Grafikern. "Die hatten überhaupt keine Vorbehalte gegen mich", sagt Gisela Schmitz-Pranghe. "Sie haben wohl einfach gedacht, schauen wir mal, was die so drauf hat.

Allerdings bin ich ihnen auch nicht mit Großmutter-Allüren gekommen." Die neue Mitarbeiterin habe nie "ihre Erfahrung raushängen lassen", meint Agenturchef Zang, sondern viel gefragt und um Erklärungen gebeten. "Gisela kann hier so lange arbeiten, wie sie will - meinetwegen auch über die 67 hinaus."

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