Glücksfall Arbeit:Drei Fliegen mit einer Klappe

Warum eine Großbäckerei einen sehbehinderten Arbeiter beschäftigt.

Von Christine Demmer

Seit seiner Geburt ist Andreas Spengler sehbehindert. Er verfügt lediglich über ein Fünftel der Sehkraft eines Normalsichtigen. Was bedeutet das? Sieht er die Dinge verschwommen, als Umrisse oder Schatten? "Naja", sagt der 28-Jährige, "so schlimm ist das gar nicht. Klar, beim Lesen muss ich mit den Augen nahe herangehen. Aber sonst kann ich damit gut umgehen. Ich finde meinen Weg."

Glücksfall Arbeit: Andreas Spengler (rechts) und Bernd Pappert

Andreas Spengler (rechts) und Bernd Pappert

(Foto: Foto: SZ)

Den Hauptschulabschluss machte Andreas Spengler in einer Behindertenschule: Sehschwache, gehörlose und gehbehinderte Kinder saßen Bank an Bank, lernten gemeinsam, mit ihren Handicaps zu leben, und tobten in den Pausen genauso wie alle anderen Kinder. Zu gern wäre Spengler nach der Schule Automechaniker geworden. "Das war mein Traumberuf." Doch im Berufsvorbereitungsjahr wurde ihm klar, dass ohne zwei gesunde Augen nicht daran zu denken war. Der Mechanikerberuf ist kleinteilig angelegt, und Zylinderköpfe oder Vergaserdichtungen mit einer dicken Lupe zu reparieren, macht auf Dauer keinen Spaß. Deswegen arbeitete Spengler zunächst in einer Werkstatt für Behinderte, die zum Antoniusheim in Fulda gehörte.

Dort wurde die Perspektiva GmbH, eine gemeinnützige Organisation, auf den jungen Mann aufmerksam. Ihre Strategie ist es, Behinderten einen Praktikumsplatz zu vermitteln, der später vielleicht in eine feste Arbeitsstelle mündet. Dahinter steht ein kluger Gedanke: Vor der Einstellung eines ihnen unbekannten Behinderten scheuen viele Arbeitgeber zurück, doch wenn sie ihn oder sie erst kennen gelernt haben, schwinden die Vorurteile meist von selbst. Wandel durch Annäherung, könnte man die Strategie nennen.

Bernd Pappert, Inhaber einer mittelgroßen Bäckerei in Fulda, hatte schon früher einmal Erfahrungen mit einer sehbehinderten Mitarbeiterin gemacht. "Gute Erfahrungen", sagt er. Natürlich könne man Behinderte nicht an jedem Arbeitsplatz einsetzen, aber mit ein wenig Organisationstalent und viel gutem Willen ließen sich auch Tätigkeiten finden, die Menschen mit körperlichen Schwächen gut ausüben könnten. So kam auch Andreas Spengler im Jahr 2001 als Praktikant zu Pappert.

"Die Perspektiva fragte an, ob wir Mitarbeiter suchten und einen Behinderten im Betrieb integrieren könnten", sagt Bäckerei-Chef Pappert. Schon lange wurmte ihn, dass seine gelernten Bäcker nach getaner Arbeit stets unter großem Gejammer die benutzten Backbleche sauber machten. Also engagierte er Andreas Spengler für die Arbeit an der Putzblechmaschine: Schmutzige Bleche herein, Maschine an, saubere Bleche heraus, in die Regale einräumen. Zwei bis drei Stunden dauert diese von den Bäckern ungeliebte, aber zwingend erforderliche Arbeit jeden Tag. Die nötigen Handgriffe hatte der Sehbehinderte schnell gelernt. Mehr noch: Er erwies sich als so zuverlässig und gewissenhaft, dass der Bäckerei-Chef das Praktikum im April 2004 in eine feste Vollzeitstelle umwandelte.

"Mit Andreas bin ich sehr zufrieden", sagt Pappert. Deshalb hat Andreas Spengler heute nicht nur mit den Backblechen zu tun, sondern er tütet auch Brötchen ein und übernimmt andere Helferaufgaben in der Backstube. Seine Kollegen haben nun mehr Zeit für Arbeitsgänge, die ihnen lieber sind; der Unternehmer kann seine Kräfte optimal auslasten; und Andreas Spengler fühlt sich nicht nur gut, sondern wird tatsächlich gebraucht. Das sind gleich drei Fliegen, erlegt mit einer Klappe.

In Watte gepackt wird Spengler deshalb noch lange nicht. Auch in einer Backstube gibt es Stoßzeiten und Stress, Hektik und harsche Worte. Diesen Druck kann Pappert kaum mildern, und das ist auch gut so, meint er. "Behinderte Menschen kann man durchaus einer gewissen Belastung aussetzen, das gehört nun mal zum Arbeitsleben. Und in dieses Leben wollen sie ja integriert werden. Behinderte wollen nicht mit Samthandschuhen angepackt werden. Sie wollen mit anpacken. Also: Warum lassen wir sie das nicht einfach tun?"

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