Gleichberechtigung im Job:Frauen dürfen mehr Fehler machen

Genderforscher Michael Gümbel erklärt, welche Rolle das Geschlecht spielt, wenn es um psychische Belastungen am Arbeitsplatz geht.

Maria Holzmüller

Gleichberechtigung im Job sollte in Deutschland mittlerweile selbstverständlich sein. Doch wie sehr prägen Geschlechterrollen noch immer unseren Berufsalltag? Das wollten die Unternehmensberater und Genderforscher Michael Gümbel und Sonja Nielbock von der Organisationsberatung "Sujet" in einer qualitativen Studie herausfinden. In ihrem Forschungsprojekt "Gender/Stress" untersuchten sie geschlechtsspezifische psychische Belastungen im Job. Im Gespräch erläutert Gümbel, wieso das Geschlecht eine Rolle spielt, wenn es um Stress am Arbeitsplatz geht, warum es Männer im Finanzamt schwerer haben und was Unternehmen gegen festgefahrene Rollenvorstellungen tun können.

Gleichberechtigung im Job: Männer müssen Karriere machen um ihre Familie zu ernähren, Frauen dürfen auch mal überfordert sein. Geschlechterrollen prägen noch immer den Berufsalltag.

Männer müssen Karriere machen um ihre Familie zu ernähren, Frauen dürfen auch mal überfordert sein. Geschlechterrollen prägen noch immer den Berufsalltag.

(Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen stereotype Geschlechterrollen in unserem Berufsalltag?

Michael Gümbel: Sie prägen unsere Wahrnehmung. Wir haben eine Vorstellung davon, welche Kompetenzen speziell weiblich und welche speziell männlich sind. Wir erkennen Männer für andere Leistungen an als Frauen. Aus diesen Vorstellungen ergeben sich bestimmte Erwartungen, die mitunter Stress und psychische Belastungen auslösen.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie diese Stereotype in der Praxis untersucht?

Gümbel: Wir haben drei Unternehmen besucht und die dort herrschenden Geschlechterrollen in zahlreichen Interviews erforscht: Einen Einzelhandelsbetrieb, ein Finanzamt und ein IT-Unternehmen.

sueddeutsche.de: Welche Geschlechterrollen sind Ihnen aufgefallen?

Gümbel: Im Einzelhandel wurde von den Frauen unausgesprochenerweise erwartet, dass sie attraktiv sind, adrett gekleidet und freundlich im Umgang mit den Kunden. Bei den Männern spielte das Aussehen keine so große Rolle. Es wurde auch automatisch angenommen, dass Männer weniger begabt im Dekorieren seien. Für sie war das kein Nachteil, da sowieso angenommen wurde, dass sie lediglich kurz im Verkauf arbeiten würden, bevor sie weiter aufsteigen. Der Einzelhandel gilt als Frauenberuf, schon allein weil der Verdienst so gering ist, dass man damit keine Familie ernähren kann.

sueddeutsche.de: Inwiefern sorgen derartige Stereotype für psychische Belastung am Arbeitsplatz?

Gümbel: Männer, die den Beruf des Verkäufers gerne ausüben, weil er ihnen einfach Spaß macht, werden mit einer gewissen Skepsis betrachtet und müssen sich gewissermaßen dafür rechtfertigen, keine höhere Karriere anzustreben. Von den Frauen wiederum wird nicht erwartet, dass sie weiter aufsteigen wollen. Ob sie mit ihrem Verdienst eine Familie ernähren können, spielt keine Rolle. Bemerkenswert war auch die Reaktion der Kunden. Ging es um eine Reklamation, wendeten sie sich stets an den männlichen Mitarbeiter, weil sie davon ausgingen, dass er in der Hierarchie höher steht. Generell ergab unsere Untersuchung, dass solche stereotypen Eigenschaften als Selbstverständlichkeiten im Arbeitsalltag vorausgesetzt werden und die Anforderungen an die Mitarbeiter prägen. Das führt für beide Geschlechter zu spezifischem Stress.

sueddeutsche.de: Welche Stereotype waren im Finanzamt auffällig?

Gümbel: Dort war es so, dass die Frauen eher Fehler machen durften und auch mal aussprechen konnten, dass sie sich überfordert fühlten. Einerseits haben sie so schneller Unterstützung bekommen, gleichzeitig ging damit aber eine Abwertung ihrer Arbeit einher: "Du darfst Fehler machen, weil du eine Frau bist". Das bedeutet wiederum mehr Stress für die Männer. Von ihnen wurde erwartet, stets die Kontrolle zu haben. Sie durften sich keine Schwäche eingestehen.

sueddeutsche.de: Sind den Angestellten diese Geschlechterrollen bewusst?

Gümbel: Manche litten darunter, andere nahmen sie kaum wahr. Während unserer Untersuchung im Finanzamt gab es eine Diskussionsrunde, in der über schwierige Gespräche mit Steuerpflichtigen gesprochen wurde. Es wurde davon ausgegangen, dass die männlichen Sachbearbeiter besser damit umgehen können und sich am Ende auch durchsetzen. Da meldete sich ein Mann, der deutlich sagte: "Für uns sind diese schwierigen Gespräche genauso unangenehm wie für die Frauen." Das widerspricht natürlich dem Klischee, dass Männer solche Probleme nicht haben.

sueddeutsche.de: Haben Geschlechterrollen in Zeiten der geschlechtlichen Gleichstellung tatsächlich immer noch überall eine derartige Bedeutung?

Gümbel: Sie werden oft nicht wahrgenommen, aber sie spielen eine Rolle. Es gibt in unserer Arbeitswelt einen Egalitätsmythos. Sich einzugestehen, dass Geschlechterrollen noch immer eine Bedeutung im Berufsalltag haben, entspricht einem Tabu. In dem IT-Unternehmen, das wir besucht haben, waren anfangs alle Mitarbeiter entrüstet. "Bei uns spielt das Geschlecht überhaupt keine Rolle, es geht nur um Leistung", hieß es. Aber nach mehreren Gesprächen wurde klar, dass es auch dort festgefahrene Vorstellungen gab. So hatte der Aufgabenbereich des Backoffice, in dem überwiegend Frauen arbeiteten, ein geringeres Ansehen, als beispielsweise der Bereich der Technik, wo fast nur Männer tätig waren.

sueddeutsche.de: Wie sollten Unternehmen und auch Mitarbeiter mit dem Problem der Geschlechterstereotype umgehen?

Gümbel: Vor allem müssen sie anerkennen, dass es Geschlechterrollen gibt und das im Alltag geschlechtsspezifische Anforderungen gestellt werden und bestimmte Verhaltensweisen von den Mitarbeitern erwartet werden. Unternehmen können diese Erkenntnis dann konkret beim Arbeitsschutz aufgreifen. Psychische Belastungen können vermieden werden, indem beispielsweise deutlich gemacht wird, dass ein Fehler nicht gleich persönliches Versagen bedeutet und auch Männern zugestanden wird. Im Gegenzug sollte das Weiterbildungsangebot dahingehend angepasst werden, dass zum Beispiel besonders die Kompetenzen gestärkt und damit aufgewertet werden, die eher Frauen zugeschrieben werden. Arbeitsschutz-Maßnahmen, die Gender-Aspekte vernachlässigen, blenden wesentliche Stressfaktoren im Job einfach aus.

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