Gesundheitswesen:Keine Lust auf den Knochenjob

Ärzte gehen gegen Honorarbeschluss auf die Barrikaden

Landflucht: Zwar steigt in Deutschland die Zahl der Ärzte, doch wegen des demografischen Wandels können sich Mediziner aussuchen, wo sie arbeiten wollen.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Unberechenbare Arbeitszeiten, aufwendige Hausbesuche und Gefahr der Verschuldung: Junge Mediziner schrecken vor einem Job als Landarzt zurück.

Von Anne-Ev Ustorf

Martin Gruber ist kein Landarzt vom alten Schlag. Der Chirurg studierte in München und Paris, arbeitete viele Jahre in einer New Yorker Klinik. Er ist herumgekommen in der Welt und dabei, sich in der Forschung einen Namen zu machen. Und doch ist da stets die Idee in seinem Hinterkopf, irgendwann in seine Heimat zurückzukehren, in ein Dorf mit knapp 3000 Einwohnern. Wie überall im ländlichen Österreich sind Ärzte dort rar. Ein Besuch bei der Familie überzeugt den Chirurgen schließlich.

Nun lebt Martin Gruber das Leben eines Landarztes, er führt eine eigene Praxis und setzt sich gelegentlich ins Auto, um Patienten aufzusuchen, die nicht zu ihm kommen können. Sein Einsatzgebiet: malerische Bergdörfer, urige Almhütten, mitunter sogar schneebedeckte Gipfel. Viele Ärzte regen sich über Gruber auf. Denn der "Bergdoktor", Titelheld der ZDF-Serie zur besten Sendezeit, ist eine krude Fiktion.

Mit dem wahren Leben eines Landarztes hat die Fernsehfigur Gruber wenig gemein: Statt Bergromantik und Gipfelabenteuer kennzeichnen heute lange Arbeitszeiten und große Einzugsgebiete den Arztalltag auf dem Land. Auf bis zu 700 Hausbesuche im Quartal kommen Landärzte häufig, weil die Hälfte der Patienten so alt ist, dass sie die weiten Wege zum Arzt nicht mehr bestreiten kann. Die Wochenarbeitszeit liegt weit über 55 Stunden, verteilt auf sieben Tage. In anderen Worten: Der Landarzt macht einen Knochenjob.

Das spricht sich herum. In Österreich können kaum noch junge Ärzte aufs Land gelockt werden, obwohl eine große Pensionierungswelle bevorsteht. In Deutschland ist der Ärztemangel auf dem Land genauso krass: Laut einer Studie des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung suchen in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt aktuell etwa 70 Prozent der Hausarztpraxen einen Nachfolger, ähnlich ist die Lage in Teilen Baden-Württembergs, Schleswig-Holsteins und Niedersachsens. Mitunter greifen Praxisbesitzer zu verzweifelten Maßnahmen, um Nachwuchs zu gewinnen: In Bayern suchte ein Internist aus Mittenwald jüngst mit einer großflächigen Werbetafel nach einem neuen Partner für seine Praxis, mit der Aufschrift "We need you - mir brauchn di".

Die Gründe für die Landflucht sind vielfältig. Zwar steigt in Deutschland die Anzahl der Mediziner, dennoch herrscht in ganz Europa Nachfrage nach Ärzten, auch aufgrund des demografischen Wandels. Also können sich junge Mediziner heute aussuchen, wo und wie sie arbeiten wollen.

"Da ist die Arbeitsüberlastung programmiert"

Viele gehen lieber für ein paar Jahre ins Ausland, als sich dort niederzulassen, wo gerade ein Praxissitz ausgeschrieben ist. Und immer weniger Ärzte wollen die Regionen um die Metropolen verlassen: Nicht nur Kulturangebote, sondern auch Arbeitsplätze für den Partner und ausreichend Kitaplätze binden viele junge Ärzte an die Städte. Auch die Work-Life-Balance ist ihnen zunehmend wichtig: Eine aktuelle Umfrage der Hessischen Ärztekammer unter 2241 jungen Medizinern ergab, dass für 40 Prozent geregelte Arbeitszeiten ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Arbeitsplatzes sind. Da ist der Landarztberuf mit seinen vielen Überstunden wenig attraktiv.

Und das wird vorerst wohl auch so bleiben. Heute sind die meisten Medizinstudenten weiblich und stehen irgendwann vor der großen Frage, wie sie Familie und Job vereinbaren können. Wie Anna-Lena Wagner, 30 Jahre alt, schwanger mit Zwillingen, angehende Allgemeinmedizinerin aus Hannover. Kurz hatte sie überlegt, nach ihrem Facharzt eine Hausarztpraxis im Emsland in der Nähe ihrer Eltern zu eröffnen. "Aber da ist die Arbeitsüberlastung programmiert", sagt sie. "In der Region meiner Eltern kommen auf 100 000 Bewohner nur 128 Mediziner. Ich müsste viele Hausbesuche machen, weil die Region so überaltert ist. Dazu noch der ganze Verwaltungsaufwand, der ja auch noch schlecht bezahlt ist. Wie soll ich das wuppen, mit kleinen Kindern?"

Wagner will sich nach ihrer Facharztausbildung in Hannover anstellen lassen, in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) oder in einer Facharztpraxis. "Dann kann ich Teilzeit machen und habe geregelte Arbeitszeiten. Eine eigene Praxis eröffnen könnte ich ja auch noch später, wenn meine Kinder größer sind."

Nachteilige Entwicklung für Patienten im ländlichen Raum

Mittlerweile wenden sich viele junge Ärzte ganz ab vom Thema Praxisübernahme. Nicht nur die Arbeitsbelastung, auch das unternehmerische Risiko erscheint ihnen zu hoch - sogar in den Städten. Denn die Investitionen für eine eigene Praxis sind enorm, und viele ärztliche Leistungen inzwischen schlecht vergütet, wie etwa Hausbesuche. Umso attraktiver sind MVZs in der Trägerschaft von Fachärzten oder privaten Trägern. Die meisten Ärzte sind dort fest angestellt, die leidigen Verwaltungsaufgaben liegen in den Händen eines Praxismanagers.

Gerade im Osten Deutschlands sind die MVZs auf dem Vormarsch und oftmals an Krankenhäuser angegliedert. Für die Patienten im ländlichen Raum ist diese Entwicklung nicht unbedingt von Vorteil: Sie müssen weit fahren und treffen dann nicht unbedingt immer denselben Arzt an. Menschen mit eingeschränkter Mobilität droht so die Gefahr, dass sie vorzeitig ins Altenheim müssen, um medizinisch ausreichend versorgt zu werden. Vielleicht macht diese bittere Realität einen Landarzt wie Martin Gruber - immer da, immer kompetent, immer zugewandt - so unwiderstehlich für viele Zuschauer. Manchmal mag Fernsehtherapie ja wirken. Doch bei akuten Schmerzen kann auch Bergdoktor Gruber nicht mehr helfen.

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