Gesundheitsberufe an der Universität:Krankenpfleger sollen studieren

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Medizinisch begrenzt und ohne wissenschaftlichen Hintergrund arbeiten viele Pflegekräfte in Deutschland. Jetzt fordert der Wissenschaftsrat, dass angehende Krankenpfleger, Physio- oder Ergotherapeuten an Hochschulen studieren. Etliche Ärztekammern sind gegen den "Gesundheitscampus".

Werner Bartens

Hörsaal statt Bettpfanne, Bachelor-Seminar statt Rückenschule. So lässt sich überspitzt zusammenfassen, was der Wissenschaftsrat in seiner am Freitag verabschiedeten Stellungnahme fordert: Ob Krankenpfleger, Altenpfleger, Physio-, Logo- oder Ergotherapeut, Hebamme oder Entbindungspfleger, sie alle sollen zukünftig an Hochschulen ausgebildet werden.

Die Bochumer Universität vor der Sanierung 2005. In Bochum gibt es bereits eine Art Gesundheitscampus, auf dem Pflegekräfte, Hebammen, Physio-, Ergo- und Logotherapeuten einen Bachelorabschluss anstreben. (Foto: dpa/dpaweb)

Nicht jeder, der einen dieser Berufe anstrebt, soll an der Universität studieren, aber "zehn bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrganges" könnten sich demnach akademisch qualifizieren und mit einem Bachelor-Abschluss das Studium beenden. Idealerweise auf einem "Gesundheitscampus", auf dem die Ausbildung interdisziplinär auch mit Medizinstudenten geteilt wird.

Wir stehen vor neuen Herausforderungen im Gesundheitswesen, darauf müssen wir reagieren", sagt Hans-Jochen Heinze, Chefarzt der Neurologie am Uniklinikum Magdeburg und Vorsitzender des Medizinausschusses im Wissenschaftsrat. "Es gibt immer mehr alte und immer mehr chronische Patienten. Da sind neue, komplexere Fähigkeiten gefragt."

Wissenschaftlicher Hintergrund in der Pflege ist längst überfällig

Bei einem Patienten mit Alzheimer müsse beispielsweise nicht ständig die Diagnose geändert oder die Therapie umgeworfen werden. Aber die Physio- und Ergotherapeuten bemerken vielleicht am deutlichsten, dass die Behandlung an den Krankheitsverlauf angepasst werden sollte.

Die Pflege muss frühzeitig erkennen, ob die Hygienemaßnahmen und die Prophylaxe gegen das Wundliegen verstärkt werden sollten. "Es geht weniger darum, neue handwerkliche Techniken zu erlernen, sondern das bisherige Können evidenzbasiert zu prüfen, in den aktuellen Stand des Wissens einzubetten und im Team zu diskutieren und dann weiterzugeben", sagt Hans-Jochen Heinze.

Unter dem Schlagwort evidenzbasierte Medizin versuchen Ärzte seit etwa 20 Jahren, die Grundlagen ihres Handelns kritisch zu hinterfragen und Diagnostik wie Therapie wissenschaftlich zu begründen. Das sei, so der Wissenschaftsrat, auch in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen längst überfällig.

"In der Pflege sollte ich ja nicht nur lernen, wie ich ein Medikament verabreiche, sondern auch warum, wieso diesem Patienten und nicht jenem und warum zu diesem Zeitpunkt", sagt Anne Friedrichs, Wissenschaftsratsmitglied und Präsidentin der Hochschule für Gesundheit in Bochum. "Dazu muss man aber verstehen, wie Forschungsergebnisse zustande kommen, muss sie bewerten und in die Praxis umsetzen können."

Akademisierung nutzt auch der klassischen Ausbildung

Würden die Gesundheitsberufe zunehmend akademisiert, käme das mittelfristig auch der klassischen Ausbildung zum Pfleger oder Physiotherapeuten an den Berufsfachschulen zugute, ist Friedrichs überzeugt: "Dann würden sich weitere Sub-Disziplinen und Forschungsrichtungen entwickeln und beispielsweise untersuchen, wann Physiotherapie besonders wirksam ist und welche logotherapeutischen Anwendungen verändert werden sollten."

Diese Erkenntnisse bereicherten wiederum die Lerninhalte an Berufsfachschulen. In Bochum gibt es bereits eine Art Gesundheitscampus, auf dem Pflegekräfte, Hebammen, Physio-, Ergo- und Logotherapeuten einen Bachelor anstreben und teilweise in gemeinsamen Modulen unterrichtet werden.

Dass sich die Ausbildung auch mit der von Medizinstudenten überschneidet und beispielsweise gemeinsame Fallbesprechungen stattfinden, wird aber bisher nur in wenigen Modellprojekten praktiziert - verbindlich ist dieses interdisziplinäre Lernen längst noch nicht.

Bisher ist für angehende Ärzte ein Krankenpflegepraktikum vorgeschrieben; dies ist der intensivste Kontakt mit anderen Gesundheitsberufen. In dieser Zeit schlüpfen Medizinstudenten für ein paar Wochen in die Rolle von Krankenschwestern oder -pflegern, machen im Schichtdienst Betten, waschen Patienten, füttern und betreuen sie.

Danach übernehmen sie aber gleich wieder das ärztliche Rollenbild. "Das ist mit unserer Empfehlung nicht gemeint", sagt Heinze. "Es geht nicht darum, sich Kompetenzen streitig zu machen oder Aufgaben wegzunehmen, sondern von Beginn an auf gleicher Höhe im Team zu Entscheidungen zu kommen." Wenn in einem Betreuer-Team von fünf bis zehn Pflegekräften und Therapeuten einer akademisch qualifiziert ist, könne das schon ausreichen und für die optimale Krankenbetreuung sehr dienlich sein.

Die Widerstände der Ärzteschaft gegen jede Art von Veränderung sind traditionell ähnlich groß wie beim Militär oder in der Katholischen Kirche. Doch auch unter Medizinern gibt es Befürworter.

"Natürlich brauchen wir nach wie vor die vielen tüchtigen Mitarbeiter, die sich in der klassischen Pflege engagieren", sagt Hartwig Bauer, langjähriger Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. "Aber es ist sinnvoll, auch in der Pflege Führungskräfte auszubilden, neue Teamformen auszubauen und eine vernünftigere Arbeitsteilung anzustreben. Dazu könnte die Akademisierung sicherlich etwas beitragen."

Widerstand der Ärztekammern

Allerdings sind nicht alle Ärzte so offen für den Bruch mit der medizinischen Tradition und Folklore, in der die Schwester willig die Weisungen des Arztes entgegennimmt, Türen bei der Visite öffnet, Betten wechselt und trotz wüster Schmähungen des Essens weiterhin mit Engelsgeduld Schmelzkäseecken an Graubrot serviert. "Es gibt die ziemlich rigide Haltung etlicher Ärztekammern, wonach die Akademisierung der Pflegeberufe unnötig ist", sagt Hartwig Bauer.

Ein wiederkehrendes Argument dagegen sei, dass die Weiterbildung der Ärzte behindert wäre, wenn besser ausgebildete Pflegekräfte und die Mitglieder anderer Gesundheitsfachberufe ursprünglich ärztliche Aufgaben übernehmen. "Das ist doch Unsinn, gerade bei Routineaufgaben", sagt Bauer. "Wenn ein Arzt 150mal eine Bauchdecke zugenäht hat, hält sich der Weiterbildungsaspekt für ihn sicher in Grenzen."

In nur wenigen Ländern sind die Aufgaben der Pflegekräfte medizinisch so begrenzt wie in Deutschland. In Großbritannien gibt es längst den "surgical care practitioner", der bei Operationen assistiert, schon mal den Wundverschluss macht und auf der Intensivstation therapeutische Aufgaben übernimmt. Auch in der Schweiz werden den Pflegekräften etliche Aufgaben wie die Gabe von Spritzen zugetraut, die in Deutschland traditionell von Ärzten übernommen werden.

Die aktuelle Debatte darüber, ob Rettungssanitäter nicht auch ursprünglich ärztliche Aufgaben am Unfallort übernehmen dürfen, zeigt, dass die Diskussion endlich auch in Deutschland angekommen ist.

"Pflege braucht Eliten"

Für die Patienten hätte naheliegende Vorteile, wenn eine feste Quote der Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen akademisch ausgebildet wäre. "Im Krankenhaus will ich doch nicht nur gutes Essen und freundliche Krankenschwestern haben", sagt Anne Friedrichs. "Ich will neben den Ärzten auch in den anderen Bereichen Fachleute, die gar nicht gut genug sein können, damit ich schnell wieder gesund werde und bald nach Hause kann."

Wenn die auf diese Weise ausgebildeten Teams tatsächlich besser kommunizieren und sich abstimmen, wäre das zweifellos zum Nutzen der Patienten. "Pflege braucht Eliten", sagt Friedrichs.

Hans-Jochen Heinze unterstreicht einen weiteren Punkt, von dem die Patienten profitieren würden: "Wenn bisher vom medizinischen Fortschritt die Rede war, wurden doch zumeist nur die letzten molekularen Entwicklungen oder neue Formen der Bildgebung betont - der Mensch wurde auf immer kleinere Teilaspekte reduziert. Mit unseren Empfehlungen wird hingegen endlich der ganzheitliche Umgang mit dem Menschen betont - und wir würdigen die Pflege."

© SZ vom 14.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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