Geschlechter-Trennung im Unterricht:Gemischt lernt sich's besser

"Koedukation macht Mädchen dumm", titelte die Zeitschrift "Emma" einst. Experten sind da heute ganz anderer Meinung: Getrennter Unterricht von Jungen und Mädchen verbessert die Leistung nicht, sagen sie. Im Gegenteil. Er hat Nachteile - für beide Geschlechter.

Christian Weber

Kann etwas falsch sein, das US-Außenministerin Hillary Clinton, die sehr katholische deutsche Bildungsministerin Annette Schavan und die feministische Zeitschrift Emma zugleich fordern? "Koedukation macht Mädchen dumm", hatte das Magazin bereits 1989 getitelt und somit zu einem Phänomen beigetragen, das seit einigen Jahren auch in Deutschland vermehrt zu beobachten ist: die Überlegung, Mädchen und Jungen zumindest fächer- und zeitweise wieder getrennt zu unterrichten.

Zeugnisausgabe an einer bayerischen Grundschule

Koedukation macht Mädchen dumm? Von wegen, sagen Experten.

(Foto: DPA-SZ)

Wie alle Schulreformen soll auch die Trennung der Geschlechter - die Monoedukation - die Bildungschancen der Schüler erhöhen und Geschlechtsstereotype mindern: Mädchen dürften sich endlich mehr für Physik interessieren, Jungen könnten unbefangen Sprachen belegen. Wenig überraschend, dass gerade die besorgten Eltern die Einschulung ihrer Töchter in eine Mädchenschule erwägen.

Diese Eltern würden überrascht sein, wenn ihnen ein Überblicksartikel unter die Augen käme, den das Wissenschaftsmagazin Science am heutigen Freitag veröffentlicht (Bd. 333, S. 1706, 2011). "Die Pseudowissenschaft der Monoedukation" titelt das Blatt ungewohnt deutlich - so als ginge es um Homöopathie oder Esoterik. "Wir glauben, dass die nach Geschlechtern getrennte Erziehung schwer verfehlt ist, und häufig durch schwache, selektive oder missgedeutete wissenschaftliche Behauptungen gerechtfertigt wird", schimpft das renommierte Wissenschaftlerteam um die Psychologin Diane Halpern vom Claremont McKennna College in den USA. Es folgt eine recht rabiate Abrechnung mit fast allen Versprechen der Monoedukation.

Demnach fehle es an Belegen, dass die schulischen Leistungen in Single-Sex-Klassen besser wären. Das habe zuletzt eine umfassende Analyse des US-Bildungsministeriums ergeben, die von "zweifelhaften Ergebnissen" sprach. Ähnliches hätten große Studien aus Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland gezeigt, ebenso Daten aus den Pisa-Studien der OECD, an der auch Deutschland beteiligt war. Zwar zeigten einzelne Schulen oder Studien immer wieder positive Resultate, doch die würden sich auflösen, werden alle Störvariablen herausgerechnet.

So würden in nach Geschlechtern getrennten Lehranstalten häufig die ohnehin besseren Schüler aus bildungsbewussten Haushalten angemeldet. Und wer in diesen Schulen nicht mithalten kann, würde sie eher verlassen - und somit nicht den Notendurchschnitt der Abschlussklassen verschlechtern. Hinzu käme, dass die Einführung von getrenntem Unterricht in Schulen häufig zu einem anfänglichen Enthusiasmus bei Lehrern und Schülern führt, dessen positive Wirkungen in Studien gemessen würden. Doch schaue man länger hin, würde auch dieser Effekt nachlassen. "Der Reiz des Neuen, verzerrte Stichproben und Anekdoten erklären, wieso die Monoedukation in den Medien so gefeiert wird", schreiben die Autoren.

Keine unterschiedlichen Impulse nötig

Gereizt reagieren die Forscher auf angeblich neurowissenschaftlich fundierte Behauptungen, dass die Gehirne von Mädchen und Jungen zum Lernen unterschiedliche Impulse bräuchten, sodass sie nicht gleichzeitig vom selben Lehrer unterrichtet werden sollten. "Pseudowissenschaft", urteilen die Autoren und zitieren Standardwerke, die auf die geringen Geschlechtsunterschiede gerade bei kindlichen Gehirnen verweisen, keiner davon sei wichtig für das Lernen.

Selbst die Hoffnung, dass die Monoedukation zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen würde, halten die Forscher für falsch. Im Gegenteil: Gerade durch die Trennung von Mädchen und Jungen, würden diese lernen, dass man ausgerechnet Bildung offensichtlich nach Geschlecht organisieren sollte: Wer Sexismus mit Geschlechtertrennung heilen will, der handelt so wie jemand, der Rassismus mit Apartheid begegnen möchte.

Verlässliche Studien deuteten vielmehr darauf hin, dass die Monoedukation häufig die Sozialisation behindert: Jungen, die immer unter sich bleiben, würden aggressiver und entwickelten ein höheres Risiko für Verhaltensauffälligkeiten. Mädchen unter sich neigten dazu, Geschlechtsstereotypen auszubauen. Beide Geschlechter würden sich schwerer damit tun, das gemeinsame Zusammenleben zu lernen.

Solche Ergebnisse mögen die deutsche Öffentlichkeit überraschen, unter einschlägigen deutschsprachigen Forschern finden sie eher Zustimmung. Noch am kritischsten ist die Psychologin Ursula Kessels von der Universität Köln, die dem "an sich gut gemachten" Science-Artikel eine "etwas selektive Studien-Auswahl" vorwirft. So fehle zumindest eine wichtige, große britische Studie, die leichte Leistungssteigerungen in manchen Mädchenschularten festgestellt habe.

In einer eigenen Studie an einer Gesamtschule habe sie außerdem festgestellt, dass getrennter Unterricht Mädchen eher für Physik begeistern könnte. Außerdem widerspricht sie der Annahme, dass Monoedukation das Geschlecht betone, im Gegenteil: "Ein Mädchen in einer gemischten Gruppe empfindet die eigene Geschlechtsidentität viel deutlicher" - so wie man sich unter lauter Asiaten eher seines Deutschtums bewusst werde.

Diese Annahme lässt sich jedoch empirisch nicht festmachen", widerspricht die Erziehungswissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland von der Universität Hamburg, die der Monoedukation kritisch gegenübersteht. Getrennter Unterricht sei eine "Dramatisierung von Geschlecht" und unterschlage völlig, dass der Lernerfolg von vielen psychischen und sozialen Faktoren abhänge. Ähnlich wie Science sieht sie in der wissenschaftlichen Literatur keine Belege für bessere Leistungen in monoedukativen Klassen.

"Die Science-Studie entspricht völlig unseren Erkenntnissen", bestätigt Psychologin Christiane Spiel von der Universität Wien. Auch wenn es geschlechtsspezifische Benachteiligungen im Bildungsbereich gebe, fänden sich "derzeit keine robusten Befunde" zu Vorteilen der Monoedukation. Aber: "Es gibt Hinweise darauf, dass der Abschluss an einer monoedukativen Schule für Mädchen als weniger wertvoll erachtet wird, was sich in einem niedrigeren Lohnniveau niederschlägt."

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