Gerichtsentscheid zu Bewerbungen:Die Angst der Arbeitgeber vor dem Donnerstag

Mehr Frauen, mehr Ältere, mehr Migranten - Unternehmen predigen gern Vielfalt beim Personal. Die Realität sieht anders aus. Es gibt kaum eine Handhabe für Bewerber, die sich diskriminiert fühlen. Das könnten die EU-Richter jetzt ändern.

Daniela Kuhr

Wenn eine gut ausgebildete Frau sich erfolglos auf eine Stellenanzeige bewirbt, kann die Absage viele Gründe haben: Vielleicht waren die anderen Bewerber qualifizierter? Vielleicht waren sie sympathischer? Flexibler? Oder vielleicht auch einfach nur Männer?

Womöglich wollte der Arbeitgeber schlicht keine Frau für den Job. Dann könnte die erfolglose Bewerberin zwar Schadenersatz verlangen, denn sie wäre wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden. Das Problem ist nur: Der Arbeitgeber wäre wohl kaum so dumm, ihr diesen Grund mitzuteilen. Sie stünde also vor der großen Frage: Wie soll sie die Diskriminierung belegen?

Eine Antwort darauf könnte an diesem Donnerstag der Europäische Gerichtshof (EuGH) geben. Dort ist ein Verfahren anhängig, das in der Wirtschaft bereits mit großer Nervosität beobachtet wird. Einige Arbeitgeber befürchten sogar, nach dem Richterspruch nicht länger frei entscheiden zu können, wen sie einstellen wollen und wen nicht. Vom "Ende der Privatautonomie" ist die Rede. Dabei ist der Auslöser der Aufregung eigentlich gar nicht so furchteinflößend. Es ist in diesem Fall eine "Sie": Galina Meister, Jahrgang 1961, gebürtige Russin.

Meister verfügt über einen russischen Abschluss als Systemtechnik-Ingenieurin, der mit einem deutschen Fachhochschul-Diplom zu vergleichen und offiziell anerkannt ist. Im Oktober 2006 bewarb sie sich auf die Stellenanzeige eines Unternehmens, das "eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/in" suchte. Wenige Tage später erhielt Meister eine Absage - ohne nähere Angabe der Gründe. Kurz danach jedoch veröffentlichte das Unternehmen erneut eine Stellenanzeige mit gleichem Inhalt im Internet. Meister bewarb sich wieder - und wurde wieder nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Auch diesmal enthielt die Absage keine Begründung. Da Meister sich sicher war, für die Stelle besonders gut geeignet zu sein, fragte sie nach, ob ein anderer Bewerber eingestellt worden sei und welche Qualifikation er habe. Eine Antwort erhielt sie nicht.

Die Ingenieurin fühlte sich diskriminiert - wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihres Alters. Und deshalb klagte sie nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, das im Fall von Benachteiligungen einen Anspruch auf Schadenersatz vorsieht. Voraussetzung ist aber, dass der Betroffene Indizien vortragen kann, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Gelingt ihm das, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat.

Doch Meister scheiterte bereits an der ersten Hürde. Weder das Arbeits- noch das Landesarbeitsgericht vermochten Hinweise zu erkennen, die eine Diskriminierung nahelegen. Dass die gebürtige Russin trotz ihrer Qualifikation nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, genügte nach Ansicht der Richter jedenfalls nicht. Auch müsse der Arbeitgeber ihr nicht mitteilen, wen er stattdessen eingestellt habe und warum.

Der Fall landete beim Bundesarbeitsgericht; das wiederum legte ihn dem EuGH in Luxemburg vor. Der dortige Generalanwalt Paolo Mengozzi hat Mitte Januar verkündet, wie das höchste EU-Gericht seiner Meinung nach entscheiden sollte. Und ebendieser Schlussantrag ist es, der die Wirtschaft so alarmiert hat.

Dabei hatte Mengozzi zunächst etwas durchaus Beruhigendes gesagt: Er stellte fest, dass das Gesetz tatsächlich keinen Auskunftsanspruch vorsieht. Doch dabei wollte er es nicht bewenden lassen. Denn das hätte zur Folge, dass Bewerber "vollständig vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig" wären. Dieser könne durch seine Weigerung, die gewünschten Informationen herauszugeben, "seine Entscheidungen mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit unangreifbar machen".

Deshalb schlug Mengozzi einen Kompromiss vor: Hat sich ein Bewerber auf eine Anzeige beworben und besaß er nachweislich die verlangte Qualifikation, dann hat er zwar kein Recht darauf zu erfahren, warum ein anderer zum Zug kam. Fragt er aber dennoch nach und erhält keine Antwort, kann dieses Schweigen unter Umständen ein Indiz dafür sein, dass er tatsächlich diskriminiert wurde. Der Arbeitgeber müsste dann also beweisen, dass es nicht so war - dass er vielmehr andere Gründe für die Ablehnung hatte als das Geschlecht, das Alter oder die Herkunft. Gelingt ihm das nicht, müsste er Schadensersatz zahlen.

In den meisten Fällen folgen die EuGH-Richter dem Vorschlag des Generalanwalts. Sollten sie es diesmal wieder tun, würden Bewerbungsprozesse in Zukunft "extrem zeit- und personalintensiv", meint Stefan Kursawe, Partner bei der Anwaltskanzlei Heisse Kursawe Eversheds. "Denn Arbeitgeber wären gezwungen, jeden passenden Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, auch wenn sie sich vielleicht schon längst für einen anderen Kandidaten entschieden haben." Er ist überzeugt: "Damit wäre auch Bewerbern kein Gefallen getan."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: