Gehalt:Warum Online-Gehaltsvergleiche unzuverlässig sind

Wie hoch sollte mein Verdienst sein? Gehaltsportale im Netz bieten Arbeitnehmern vermeintlich Orientierung. Doch die Angaben der einzelnen Anbieter gehen oft weit auseinander.

Von Christine Demmer

Tim ist Teamleiter in einem Chemiekonzern und will vor der nächsten Gehaltsrunde wissen, wie gut er im Vergleich zu seinen Kollegen verdient. Jana hat gerade ihr Biologie-Examen gemacht. Sie fragt sich, mit welchem Einstiegsgehalt sie rechnen kann. Cem arbeitet im Vertrieb. Er möchte die Stelle wechseln und ist sich nicht schlüssig, was er sagen soll, wenn er nach seinem Einkommenswunsch gefragt wird. "Überleg' Dir, was Du haben willst," rät ihm ein Freund, "und dann schlag zehn Prozent drauf. Runtergehen kannst Du immer noch."

Aber was, fragt sich Cem, wenn er sich wegen übertriebener Forderungen ins Aus schießt? Oder wenn er zu wenig angibt und sich damit lächerlich macht? Tim, Jana, Cem und viele andere wünschen sich einen Maßstab. Eine Balancierstange, mit der sie auf dem schmalen Grat zwischen zu niedrigen und abstrus hohen Gehaltsansprüchen die Waage halten können.

Was die Sache schwierig macht: Kaum jemand spricht außerhalb der Familie darüber, wie viel er oder sie verdient. Tarifverträge markieren nur die untere Einkommensgrenze. Mit freiwilligen Zulagen und leistungsabhängigen Boni stocken die Arbeitgeber auf, wenn sie gute Leute gewinnen oder behalten wollen. Für die demnächst anstehenden Gehaltsverhandlungen müssten Tim, Jana und Cem also wissen, wie viel Geld sie dem Arbeitgeber wert sind. Das aber ist unmöglich, denn sie kennen ja nur ihre Seite.

Erstaunlich unterschiedliche Ergebnisse

Um wenigstens ein Gefühl dafür zu bekommen, was realistisch ist, machen sie es wie alle anderen: Sie vergleichen ihre Gehälter im Internet - und sind am Ende nicht viel klüger als zuvor. Denn obwohl alle Einkommensrechner und Vergleichsportale behaupten, ihrer Statistik lägen Zigtausende von Gehaltsangaben zugrunde, kommen sie für ein und denselben Beruf auf erstaunlich unterschiedliche Ergebnisse.

Warum das so ist, erklärt Julia Zmitko, oberste Datenverarbeiterin der Managementberatung Kienbaum in Frankfurt: "Die Unterschiede ergeben sich vor allem aus der Datenherkunft und der Berechnungsmethodik." Anders als die Berechnung ist die Datenherkunft bei keinem Anbieter ein Geheimnis. Wie aber steht es um die Datenwahrheit? Kienbaum bekommt die Gehaltsdaten von Unternehmen, nicht von den Berufstätigen selbst. Und verkauft die Auswertung zurück an die Unternehmen, nicht aber an Arbeitnehmer.

Die Beratungsfirma analysiert dazu die Geschäftsberichte von etwa 2500 privaten und öffentlichen Unternehmen, etwa 3500 weitere Unternehmen, gemischt nach Branchen und Größe, füllen regelmäßig Formulare aus. Nicht nur das lässt auf die oberen Einkommensklassen schließen. "Wir arbeiten bewusst nicht mit vom Arbeitnehmer selbst gelieferten Daten", sagt Zmitko, "weil man nicht sicher sein kann, ob dieser die richtigen Zahlen angibt." Die Sozialwirtin weiß: Im Schutz der Anonymität wird gerne mal geschwindelt.

Vertriebsleiter ist nicht gleich Vertriebsleiter

Außerdem steckten hinter gleichen Berufsbezeichnungen nicht immer die gleiche Rolle und Verantwortung, sagt Zmitko. Einen 54-jährigen Vertriebsleiter in einem Milliardenunternehmen mit einem Jahresgehalt von 220 000 Euro in einen Topf zu werfen mit dem 24-jährigen Vertriebsleiter eines Start-ups mit 40 000 Euro brutto im Jahr, ergibt ein Durchschnittseinkommen von 130 000 Euro. Das ist Mischobst, aber keine valide Aussage.

"In öffentlichen Statistiken", sagt Zmitko, "offenbart sich für den Leser nicht immer, was tatsächlich hinter einer Zahl steckt. Deshalb fragen wir sehr viele Details ab." Zum Beispiel, ob sich die Angaben auf einen Konzern oder eine Tochtergesellschaft beziehen, wie groß die Führungsspanne ist, um welche Branche es sich genau handelt und wo der Gehaltsempfänger arbeitet. Das alles habe einen großen Einfluss auf die Vergütung.

Was die promovierte Datenmanagerin Zmitko als "öffentliche Statistiken" in Zweifel zieht, lebt von der Datenquelle Internetnutzer. Wer sein Gehalt kostenlos mit dem anderer vergleichen will, muss bei vielen Portalen zuvor eintippen, was er selbst verdient. Mit diesen Angaben füttern die Jobbörse Stepstone, die private Gehaltsberatung PersonalMarkt (personalmarkt.de) und das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (lohnspiegel.de) ihre Computer. Wobei es auch hier Unterschiede gibt. Während Stepstone 50 000 registrierte Nutzer befragt, kann bei PersonalMarkt jeder mitmachen.

Wie viel verdient eine Sekretärin München realistischerweise?

Tim Böger ist Geschäftsführer von PersonalMarkt und spricht von etwa zwei Millionen Datenspendern. "Hinzu kommen Angaben von unseren Firmenkunden und aus Medienkooperationen", sagt Böger, "damit verfügen wir über eine der größten Gehaltsdatenbanken Deutschlands, gleich nach dem Statistischen Bundesamt." Alle Daten seien natürlich qualitätsgesichert, fügt er ohne nähere Erklärung hinzu. Vermutlich meint er eine Plausibilitätsprüfung nach dem Muster: Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Vollzeit arbeitende Sekretärin in München weniger als 1000 Euro im Monat verdient?

Eine dritte Variante, die Online-Befragung aller Webseiten-Besucher mit freiwilliger Teilnahme, bildet die Datenbasis des Lohnspiegels. Von jährlich etwa 1,5 Millionen Vergleichssuchenden machten etwa 12 000 mit, sagt Heiner Dribbusch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in Düsseldorf. Energisch tritt er dem Verdacht entgegen, dass die Gehälter auf der Gewerkschaftsseite aus politischen Gründen bevorzugt nach unten abgerundet werden: "Die meisten sind gar nicht Mitglied einer Gewerkschaft."

Abgefragt wird nur das Grobgerüst: Welchen Beruf man ausübt, in welcher Branche man tätig ist und was man verdient. "Wir bieten derzeit einen Lohn- und Gehalts-Check zu insgesamt 375 Berufen", sagt Dribbusch. Für mehr fehle eine sichere Datenbasis. Überhaupt: Wer als Arbeitnehmer auf Nummer sicher gehen wolle, möge sich mehrere Gehaltsvergleiche heraussuchen und nebeneinander legen. Aber der Wissenschaftler warnt: "Viele Angebote sind nicht eins zu eins zu vergleichen."

Recht originell bestückt der internationale Personalvermittler Michael Page seine Datenbank. Ausgewertet werden die Gehaltsdaten, die die Berater in Gesprächen mit Kandidaten und Kunden sammeln. Bei vermittelten Arbeitnehmern sind das die Gehälter laut Arbeitsvertrag, bei Bewerbern wird deren derzeitiges Gehalt notiert. Und nur diese beiden Gruppen haben Zugang zu den kompletten Übersichten.

Hin und wieder macht die Personalvermittlung mit Zahlen zu einzelnen Berufen oder Branchen auf sich aufmerksam. Wobei es bei dem Geschäftsmodell egal ist, ob die Gehälter signifikant gestiegen oder gesunken sind: Mal freut sich der Arbeitgeber, mal der Arbeitnehmer. Michael Page lebt von beiden.

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