Gehälter:Wer hat, dem wird gegeben

Eine Studie zeigt: Wer gut verdient, konnte sich in den vergangenen Jahren über ein Gehaltsplus freuen. Die Lage der Geringverdiener dagegen hat sich weiter verschlechtert. Stark betroffen sind Frauen.

B. Taffertshofer

Die Schere zwischen niedrigen und hohen Löhnen klafft in Deutschland immer weiter auseinander. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung angefertigt hat. Die Bestverdiener haben demnach zwischen 1995 und 2006 ein reales - also um die Preissteigerung bereinigtes - Lohnplus von 3,5 Prozent verbucht.

Gehälter: Gehaltsunterschiede nach Branchen: Im Gastgewerbe arbeiten häufig Niedriglöhner, die öffentliche Verwaltung zählt dagegen zu den Gewinnern.

Gehaltsunterschiede nach Branchen: Im Gastgewerbe arbeiten häufig Niedriglöhner, die öffentliche Verwaltung zählt dagegen zu den Gewinnern.

(Foto: Foto: SZ-Grafik)

Die Realeinkommen der Geringverdiener sind dagegen um fast 14 Prozent gesunken: Betroffen ist ein Viertel aller Arbeitnehmer. Nicht nur Minijobber und Teilzeitkräfte, sondern auch Vollzeitbeschäftigte hätten immer weniger Geld in der Tasche. Zu den großen Verlierern gehören nach neuen Daten des Statistischen Bundesamtes auch Frauen. Sie haben im Jahr 2006 durchschnittlich ein Viertel weniger verdient als Männer.

Laut der IAQ-Studie ist das Lohnniveau insgesamt im vergangenen Jahrzehnt nur minimal gestiegen, wenn man die Inflation abzieht. "Zugleich hat eine massive Umverteilung von unten nach oben stattgefunden", sagte die Mitautorin und Volkswirtin Claudia Weinkopf der SZ. Gemeinsam mit ihren Kollegen Gerhard Bosch und Thorsten Kalina hat sie alle Arbeitnehmer nach ihrem Gehalt sortiert und in vier gleich große Gruppen aufgeteilt. Anschließend berechneten die Wissenschaftler, wie sich die Stundenlöhne zwischen 1995 und 2006 entwickelt haben.

Zehn Prozent Minus bei Vollzeitangestellten

Das Ergebnis: Das unterste Viertel der Beschäftigten verdient heute real 13,7 Prozent weniger. Bei Vollzeitangestellten in dieser Gruppe beträgt das Minus fast zehn Prozent, größer ist es bei Mini- und Teilzeitjobs. Die Einkünfte der Besserverdiener sind dagegen um mehr als zehn Prozent gestiegen.

22 Prozent der Beschäftigten verdienten laut IAQ ihr Geld 2006 im Niedriglohnsektor. Im Jahr 1995 waren dies nur 15 Prozent. Die 22 Prozent seien der höchste Wert innerhalb der Europäischen Union. "In keinem anderen europäischen Land ist der Niedriglohnsektor so stark gewachsen wie in Deutschland", betonte Claudia Weinkopf.

Deutschland liege inzwischen sogar vor Großbritannien, obwohl die angelsächsischen Staaten als typische Niedriglohnländer gelten. "Das deutsche Tarifsystem hat eine große Schwäche: Es gibt keine verbindliche Lohnuntergrenze", sagte Weinkopf. Seit der Wiedervereinigung erlaubten sich immer mehr Unternehmen, unter Tarif zu zahlen.

Sinkende Niedriglöhne trotz Aufschwung

Arbeiten und vom eigenen Einkommen nicht leben können - dieses Schicksal teilen in Deutschland auch Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) zufolge immer mehr Menschen. Bekamen Anfang 2005 noch insgesamt knapp 747.000 Menschen staatliche Zuschüsse zur Aufstockung ihres geringen Verdiensts, waren es Ende 2006 bereits 1,2 Millionen.

Arbeitsmarktforscher und Soziologen bezeichnen diese Gruppe als "Working Poor", also als "arbeitende Arme". Die Chancen für Betroffene, diesem Schicksal wieder zu entrinnen, sind jedoch gut. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) waren nach etwa einem Jahr 62 Prozent wieder unabhängig von staatlichen Leistungen.

Frauen im Nachteil

Einen Befund der Studie nehmen die IAQ-Wissenschaftler besonders ernst: Die Niedriglöhne seien sogar während des Konjunkturaufschwungs weiter gesunken - in Ostdeutschland um mehr als zehn Prozent. "Anders als Politiker behaupten, kommt der Aufschwung also bei vielen Menschen nicht an", sagt Weinkopf.

Die Forscher des IAQ gehen davon aus, dass sich der Trend zur größeren Lohnspreizung seit dem Jahr 2006 fortgesetzt hat. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin weist dies jedoch zurück: "Ich widerspreche der Annahme, dass auch im Aufschwung die Spreizung zugenommen hat", sagte DIW-Chef Klaus Zimmermann. Die Erhebung habe im Wesentlichen im Frühjahr 2006 stattgefunden - also gerade zu der Zeit, als sich die Beschäftigung erst aufbaute.

Darauf, dass sich die Arbeitsmarktsituation für Frauen kaum verbessert, deuten die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu den Verdienstunterschieden zwischen Frauen und Männern hin. Frauen verdienen demzufolge noch immer deutlich weniger als Männer in denselben Berufen. Im Jahr 2006 habe der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen mit 14,05 Euro knapp ein Viertel unter dem ihrer Kollegen gelegen, teilte die Behörde am Dienstag mit.

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Wer hat, dem wird gegeben

Anschluss verpasst

Die größten Unterschiede gab es bei unternehmensnahen Dienstleistungen, im Kredit- und Versicherungsgewerbe sowie im Verarbeitenden Gewerbe. Dagegen bestand nur ein geringer Lohnabstand im Bergbau, in den Branchen Verkehr und Nachrichtenübermittlung sowie im Gastgewerbe. Allerdings arbeiten in diesen Branchen auch nur wenig Frauen. In keinem Wirtschaftszweig verdienten Frauen im Schnitt mehr als Männer. Je älter die Beschäftigten sind, umso größer ist der Unterschied bei den Löhnen (Grafik).

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) appellierte an Politik und Wirtschaft, die Ungleichheiten zu beseitigen. "Wir müssen konsequent daran arbeiten, dass die Lohnlücke geschlossen wird", forderte sie. Frauen verpassten nach der Geburt ihrer Kinder "oft den Anschluss auf der Karriereleiter". Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Irmingard Schewe-Gerigk, forderte von der Bundesregierung, die Daten der Statistiker "als Inspiration für etwas mehr Tatendrang zu nehmen". Ohne ein Eingreifen des Staates werde es keine Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen geben. Für Unternehmen und Politik sei es "dringend an der Zeit, diese Signale zu hören", erklärte Schewe-Gerigk.

Die Politik müsse insgesamt gegen die Lohngefälle in Deutschland kämpfen, verlangen hingegen die Wissenschaftler des IQA. Die Arbeitsmarkt-Reformen der rot-grünen Regierung hätten den Druck erhöht, auch einen schlecht bezahlten Job anzunehmen, klagen die Forscher. Festangestellte könnten heute für unbegrenzte Zeit durch billige Leiharbeiter ersetzt werden. Und dann fördere der Staat auch noch die - meist niedrig entlohnten - Minijobs. "Das stellt das Grundprinzip des deutschen Sozialstaats infrage", sagt Weinkopf. Denn Niedriglöhner zahlten nur geringe Sozialabgaben und Minijobber gar keine.

Plädoyer für Mindestlohn

Die Wissenschaftler plädieren für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn, damit es auch in Branchen mit schwachen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden eine Untergrenze gibt. Die Privatisierung von staatlichen Dienstleistungen wie Post, Nahverkehr und Telekommunikation habe das Lohngefälle erhöht, sagt Weinkopf. In Deutschland könnten etwa private Telefonfirmen geringe Löhne zahlen und sich so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Ex-Staatsunternehmen Telekom verschaffen. In Frankreich müssten sich neue Anbieter dagegen an allgemein verbindliche Tarifverträge halten.

Wie hoch der Mindestlohn sein muss, darauf will sich Weinkopf nicht festlegen. Sie halte es aber für am besten, wie andere Staaten zunächst niedrig bei etwa 7,50 Euro pro Stunde einzusteigen und ihn erst nach und nach anzuheben. Im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hält man weniger für besser: "Ein Mindestlohn, der 5,50 bis sechs Euro pro Stunde überschreitet, würde den Weg zurück in den Arbeitsmarkt gefährden", sagt Ulrich Walwei, Vize-Direktor des IAB. Um extreme Lohnungleichheiten zu begrenzen, hält aber auch er Mindestgrenzen für nötig.

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