Ganztagsschule:Ganzer Tag, halbe Kraft

Die Schule am Nachmittag ist beliebt, vor allem an Grundschulen. Doch für gute Angebote fehlen Personal und Geld - bislang füllen Vereine, Eltern und Rentner die Lücke.

Birgit Taffertshofer

Ein Speisesaal in der Schule? Da kann sich Karin Rau inzwischen genüsslich zurücklehnen. Natürlich gibt es den an ihrer Grundschule, und dazu noch eine moderne Küche mit Vorratsraum. Jetzt müssen nur noch Möbel angeschafft werden und das Essgeschirr, dann könnte der Neubau der Joseph-von-Eichendorff-Schule in Wiesbaden mit neuem Leben erfüllt werden.

Ganztagsschule: Das Förderangebot für Schüler soll besser werden - auch am Nachmittag.

Das Förderangebot für Schüler soll besser werden - auch am Nachmittag.

(Foto: Foto: AP)

Und die Kinder hätten endlich eine warme Mahlzeit im Magen, bevor sie den Förderunterricht oder die Kurse am Nachmittag besuchen. Noch fehlt der Schulleiterin aber das Personal, um ein richtiges Ganztagsangebot aufzubauen. "All das große Getöne um die Bildung", sagt sie genervt, "und was kommt hinten dabei raus: nichts!" Vom Land Hessen und der Stadt Wiesbaden erhalte sie bisher jedenfalls nur Absagen.

Viele Schulleiter denken ähnlich wie die 59-jährige Rektorin aus Wiesbaden. Sie bleiben skeptisch, auch wenn Politiker jetzt darüber nachdenken, das durch den Schülerrückgang eingesparte Geld weiter ins Bildungssystem zu investieren und mehr Ganztagsangebote einzurichten. "Alle wollen Ganztagsschulen, aber ohne zusätzliches pädagogisches Personal funktioniert das nicht", warnt Stefan Appel, Vorsitzender des Ganztagsschulverbands.

Eine neue Studie, die im Auftrag von Bund und Ländern entstand, gibt ihm Recht. Viele der Schulen, die sich inzwischen offiziell Ganztagsschule nennen, sind von einem echten Ganztagsbetrieb offenbar noch weit entfernt.

Auf Betreiben der rot-grünen Bundesregierung sind seit 2003 fast 7000 Schulen beim Aufbau eines Ganztagsangebots unterstützt worden. Mit vier Milliarden Euro des Bundes wurden Mensen, Ruheräume und Turnhallen hochgezogen. Inzwischen nutzt fast jeder fünfte Schüler Angebote am Nachmittag, 2002 war dies nur jeder zehnte.

Qualität der Angebote lässt zu wünschen übrig

Zwar setzt sich nach der SPD nun auch die CDU-Bundesbildungsministerin Annette Schavan für eine Fortsetzung des Förderprogramms 2009 ein, doch allein die Länder legen fest, ob neue Lehrer und Sozialpädagogen für den Nachmittagsbetrieb eingestellt werden. "Die größte Herausforderung wird sein, die Angebote qualitativ hochwertig auszugestalten", sagt Eckhard Klieme, Bildungsforscher und Mitautor der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG).

Die Forscher verfolgen seit 2005 die Erfahrungen an bundesweit 373 Ganztagsschulen. Demnach nehmen Schüler aus allen Schichten verstärkt am Ganztagsangebot teil. Auch von Kindern, deren Mütter Hausfrauen sind, bleibt mehr als die Hälfte regelmäßig oder in losen Abständen am Nachmittag in der Schule. Am deutlichsten steigt das Interesse an Grundschulen.

Doch die Qualität der Angebote lässt oft noch zu wünschen übrig. Unbefriedigend sei vor allem die Verzahnung von Freizeit und Unterricht, sagt Klieme. Vormittag und Nachmittag stünden meist wie zwei separate Teile nebeneinander. Die befragten Schulleiter machen den Personalmangel dafür verantwortlich und fordern Pädagogen. Die Eltern verlangen flexiblere Angebote und eine stärkere individuelle Förderung.

"Mein Kind will ja lernen", sagt Judith Schäfer. Momentan müsse sie ihre achtjährige Tochter aber vertrösten. Das spannende Chemie-Projekt vom vergangenen Schuljahr wird wohl einmalig bleiben und die Chor-AG entfällt ebenfalls. Der Schulleiterin macht die berufstätige Mutter keinen Vorwurf. Sie weiß, dass Karin Rau das Bestmögliche versucht. Doch in einer Siedlung wie Wiesbaden-Schierstein, in der es - anders als in gewachsenen Gemeinden - kaum Vereine gibt und nur Eltern ehrenamtlich helfen, sind schnell Grenzen erreicht.

Ganztagsangebote sind je nach Bundesland unterschiedlich organisiert, und die Qualität variiert von Schule zu Schule. Die meisten Ganztagsschulen verstehen sich als offene Angebote. Die Schüler können, müssen aber nicht am Nachmittag bleiben.

Während die Lehrer in der Regel weiterhin mittags nach Hause gehen, sollen Vereine, Rentner oder Eltern Hausaufgabenbetreuung und Freizeitaktivitäten am Nachmittag anbieten. Experten sagen, eine Ganztagsschule benötige 30 Prozent mehr Personal als eine Halbtagsschule. Diese Vorgabe erfüllt keines der 16 Bundesländer.

Trotzdem gibt es auch erfolgreiche Ganztagsprojekte. Oft übernehmen dort Fördervereine oder Wohlfahrtsverbände die Organisation. Im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen ist es die Volkshochschule, die an 17 Grundschulen aktiv ist. Zwischen 7.30 und 17 Uhr stehen Betreuer für die Kinder bereit - was nur möglich sei, weil die Eltern einen erhöhten Betrag zahlten, betont VHS-Chef Rüdiger Krüger.

Viele Eltern nehmen das in Kauf. "Wir sind hier auf dem Land, aber unsere Gruppen laufen über", sagt Krüger. In diesem Schuljahr hätten sich 20 Prozent mehr Kinder als bisher angemeldet. Da die Räume nicht ausreichen, gab es jedoch einen Aufnahmestopp.

Oft schrecken hohe Kosten allerdings gerade jene Eltern ab, deren Kinder die Förderung besonders dringend brauchen. Schulleiterin Rau würde sich deshalb gleich eine verpflichtende Ganztagsschule für alle wünschen. Das passt nicht jedem. Manche Eltern sehen dadurch die Familien in Gefahr.

Laut der StEG-Studie ist diese Sorge aber unbegründet. Ganztagsschüler verbringen danach ähnlich viel Zeit mit ihren Eltern wie Halbtagsschüler. Entfallende Hausaufgaben wirkten sich oft sogar positiv auf das Familienleben aus. Auch Judith Schäfer wäre froh, wenn ihre Tochter nach der Schule schon alles erledigt hätte - momentan fehlt dafür aber noch die Hausaufgabenbetreuung.

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