G8: Stress in der Schule:"Die Lehrer stehen genauso unter Druck wie die Schüler"

Zehn Fächer am Tag, keine Zeit für Nachfragen, Französisch in der elften Stunde: Zwei Schülerinnen berichten vom Stress am achtjährigen Gymnasium.

T. Baier

Seit 2004 ist das Gymnasium in Bayern nur noch achtstufig (G8). Dadurch hat sich die Arbeitsbelastung für die Schüler deutlich erhöht. Tina Baier sprach mit den Münchner Gymnasiastinnen Julia Bär, 14, und Larissa Luderschmid, 17, über ihren Alltag.

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Der komprimierte Stoff des G8-Gymnasiums ist für Schüler und Lehrer eine Herausforderung.

(Foto: dpa)

SZ: Wie sieht eine normale Schulwoche bei euch aus?

Julia Bähr: Wir haben zweimal in der Woche nachmittags Unterricht. Einmal bis viertel nach fünf und einmal bis halb vier. Die Lehrer dürfen zwar am nächsten Tag keine Exen schreiben, aber wir müssen nach der Schule noch lernen, Vokabeln zum Beispiel. Viele meiner Mitschüler wohnen weit weg und sind erst um sechs oder halb sieben zu Hause.

Larissa Luderschmid: Auch werden am Nachmittag oft Hauptfächer unterrichtet. Wir haben zum Beispiel in der elften Stunde noch Französisch. Um diese Zeit können sich viele nicht mehr richtig konzentrieren.

Julia: Ja, weil es auch keine richtigen Pausen gibt. Wir haben zwar offiziell eine Stunde Mittagspause. Aber die meisten essen nur schnell und nutzen dann den Rest der Pause, um sich auf die Stunden am Nachmittag vorzubereiten.

SZ: Und wenn nachmittags kein Unterricht ist?

Julia: Dann geben die Lehrer mehr Hausaufgaben auf. Ich komme an solchen Tagen etwa um zwei Uhr nach Hause, esse zu Mittag - und dann geht es gleich los mit den Hausaufgaben. An einem Tag mit vielen Hauptfächern brauche ich etwa zwei Stunden. Und dann muss ich noch lernen: Manchmal, wenn ich am nächsten Tag nachmittags Unterricht habe, für zehn verschiedene Fächer. Danach lohnt es sich meist nicht mehr, noch irgendetwas zu unternehmen, mich zum Beispiel mit Freunden zu treffen.

Und dann auch noch Nachhilfe

Larissa: Das geht mir genauso. Ich habe früher dreimal die Woche Kampfsport gemacht, Montag, Mittwoch und Freitag. Das geht jetzt schon allein deswegen nicht mehr, weil ich montags und freitags Nachmittagsunterricht habe. Ich musste das aufgeben. Bei vielen meiner Klassenkameraden war es ähnlich. Viele haben ja am Nachmittag auch noch Nachhilfe...

Abitur G8 Gymnasium

In der elften Schulstunde Französisch - un danach noch Nachhilfe. Viele bayerische Schüler kämpfen mit der Stofffülle des G8-Gymnasiums.

(Foto: dpa)

SZ: Wie viele eurer Klassenkameraden?

Julia: Also wir sind eine kleine Klasse mit 25 Schülern. 20 nehmen Nachhilfe. Ich hatte noch nie Nachhilfe, aber ich überlege es mir jetzt gerade, weil ich Probleme in Mathe habe. In den G9-Klassen hat fast niemand Nachhilfe, weil die Lehrer da noch mehr Zeit haben, den Stoff zu erklären. Wir vom G8 haben dagegen oft das Gefühl, dass es eher stört, wenn wir nachfragen, weil wir etwas nicht richtig verstanden haben.

SZ: Warum?

Julia: Wer nachfragt, bekommt oft zu hören: Schau es dir erst noch mal in Ruhe zu Hause an und wenn du es dann immer noch nicht verstanden hast, kannst du noch mal kommen. Ich habe bei manchen Lehrern den Eindruck, sie sehen sich als Menschen, die uns etwas beibringen, aber nicht als Menschen, die uns helfen.

SZ: Liegt das am G8?

Julia: Ich glaube schon. Die Lehrer stehen genauso unter Druck wie die Schüler.

Larissa: Die Lehrer achten nicht so auf die Schwächeren, weil sie mit ihrem Stoff durchkommen müssen. Wir haben eigentlich jedes Jahr irgendein Fach, in dem wir den Stoff nicht schaffen.

Julia: Ja, wir auch. Das hat dann natürlich Folgen für das nächste Jahr, in dem wir dann noch mehr machen müssen.

Larissa: Wenn wir dann im nächsten Jahr einen neuen Lehrer hatten, mussten wir uns den fehlenden Stoff oft selbst in den Ferien aneignen.

SZ: Und am Wochenende?

Larissa: Da lerne ich für die Schulaufgaben und arbeite alles, was unter der Woche liegengeblieben ist, auf.

SZ: Seht ihr auch Vorteile vom G8?

Julia: Ehrlich gesagt, nicht. Ich habe das Gefühl, dass mir die Zeit, die ich am Ende durch die Verkürzung gewonnen habe, die ganze Schulzeit über genommen wird. Eigentlich habe ich nur in den Ferien das Gefühl, genug Zeit zum Beispiel für meine Freunde zu haben.

SZ: Wie ist die Stimmung bei Freundinnen und Freunden, die nächstes Jahr als erster G8-Jahrgang Abitur machen werden?

Larissa: Viele sind verunsichert, weil sie überhaupt nicht wissen, was in den Prüfungen verlangt wird. Die G9-er können sich beim Lernen aufs Abitur zumindest an den Prüfungsaufgaben der letzten Jahre orientieren. Bei uns wird alles anders sein. Zum Beispiel werden wir in fünf Fächern geprüft, dreimal schriftlich, zweimal mündlich. Beim G9 gibt es nur vier Prüfungen. Viele überlegen sich auch, ein Jahr ins Ausland zu gehen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen, weil die Unis nächstes Jahr überfüllt sein werden, wenn zwei Jahrgänge gleichzeitig anfangen zu studieren.

SZ: Und die Schüler aus dem letzten G9-Jahrgang?

Larissa: Viele denken, dass sie im Abitur besser abschneiden werden als die Schüler aus dem G8. Die sind froh, dass sie nicht im G8 sind.

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