Führungsstil im Job:Echt ist recht

Führungsstil im Job: Der Wunsch nach Authentizität macht weiblichen Führungskräften zu schaffen. Im Schutz der Rolle lassen sich berufliche Konflikte besser bewältigen.

Der Wunsch nach Authentizität macht weiblichen Führungskräften zu schaffen. Im Schutz der Rolle lassen sich berufliche Konflikte besser bewältigen.

(Foto: imago stock&people)

Keine Rolle spielen, einfach ich selber sein - viele Berufstätige wollen auch als Chefs möglichst authentisch bleiben. Doch vor allem Frauen scheitern daran.

Von Peter Modler

Es dauert nur ein paar Stunden, dann kommt die Frage garantiert. Geradezu rituell taucht sie auf, wenn in einem meiner Seminare eine Teilnehmerin lernen will, wie sie sich im Konflikt mit männlichen Gegenspielern behauptet. Gerade hat sie eine Methode erfolgreich eingesetzt, und es war ungewohnt, sich so zu verhalten. Darum fragt sie nun: "Aber wie authentisch bin ich noch, wenn ich das mache?"

Zur Person

Peter Modler war lange Jahre Manager und Unternehmer. Seit 1998 arbeitet er als Coach und Autor, zuletzt erschien von ihm "Die Manipulationsfalle".

Die Frage lautet nicht: Warum hat das jetzt gerade funktioniert? Oder: Auf welches Element kommt es dabei genau an? Sondern sie lautet: Bin ich noch authentisch? Offenheit, Aufrichtigkeit ist der Anspruch, und die große Sorge besteht darin, dass man bei einem veränderten Verhalten nicht mehr authentisch sein könnte.

Authentizität ist Konsens

Diese Sorge erfüllt nicht nur hoch reflektierte Führungskräfte. Eine 18-Jährige erzählte mir kürzlich, dass sie nach einer Lehre nun doch noch mit einem Tanz-Studium beginnen werde. Wir diskutierten die Veränderungen, die dieser berufliche Schritt mit sich bringt, aber das Allerwichtigste war für sie: "Hauptsache, ich bleibe authentisch." Zweifellos: Das Ziel, authentisch zu sein, ist Konsens.

Doch gerade für Menschen mit Führungsverantwortung ist hier Vorsicht angebracht. Immer wieder erlebe ich, dass Führungskräfte, die den Anspruch des unentwegt Authentischen mit sich herumtragen, im Berufsleben grandios scheitern. Das passiert meiner Erfahrung nach eher Frauen als Männern. Denn wenn Authentizität verstanden wird als Herzeigen der persönlichen Lebensverhältnisse, als Mitteilung privater Details, womöglich als Offenlegung der Seele, dann wird eine hochriskante Wette veranstaltet.

Wenn auf Offenheit mit brutaler Verletzung geantwortet wird

Im besten Fall lässt sich die berufliche Umgebung darauf ein, schätzt diese Offenheit und reagiert mit derselben freundlichen Zuwendung. Im schlechtesten Fall aber wird auf diese Äußerungen manipulativ geantwortet oder gar mit brutaler Verletzung. Das kommt im Berufsalltag leider ziemlich oft vor.

Der Wiener Philosoph Robert Pfaller hat das einmal so beschrieben: "Klar, die Rollenspiele des öffentlichen Lebens waren anstrengend, aber sie lohnen sich noch heute. Die Rolle sagt zu uns: ,Zeig nicht immer deine Befindlichkeiten . . .' Das ist ein viel milderer Imperativ, als wenn man sagt: 'Sei authentisch, und wenn dir jetzt nicht danach ist, höflich zu sein, häng das sofort raus.' Es ist diese Be-yourself-Ideologie, die uns das Leben versaut."

Im Job kommt nur ein Ausschnitt der privaten Person zum Einsatz

Der Konstanzer Historiker Sven Reichardt hat in einer kulturgeschichtlichen Untersuchung mit deutscher Gründlichkeit nachverfolgt, woher dieser geradezu fundamentalistische Gebrauch des "Authentischen" eigentlich kommt: aus der frühen Aufklärung und der Romantik, massiv befeuert durch die Alternativbewegung der Siebzigerjahre und schließlich aus der Therapieszene.

Ich-Botschaften, Carl Rogers, Themenzentrierte Interaktion - erinnern Sie sich? Mittlerweile ist der Terminus, mit einiger Verzögerung, aber am Ende machtvoll, im Personalerjargon der Wirtschaft angekommen.

Gerade weibliche Führungskräfte sind gefährdet

Das ändert nichts am grundlegend ambivalenten Charakter dieses Postulats, das gerade weibliche Führungskräfte den Kopf kosten kann.

Dem Anspruch nach totaler Authentizität steht am anderen Ende der Extreme in manchen Unternehmenskulturen ein beinhartes, rein funktionales Rollenverhalten gegenüber. Und dort kümmert es niemanden, ob dieses Verhalten als wahrhaftig und echt gilt.

Mehr Reflexion, weniger Reflexe

Oft klagen Frauen und Männer in Leitungspositionen darüber, dass ihre authentische Haltung weder von der Belegschaft gewürdigt noch von Kunden geschätzt oder Führungskollegen honoriert wird. Ihnen empfehle ich zunächst mehr Reflexion und weniger Reflexe. Denn wer mit dem grundsätzlichen Anspruch auf Selbstverwirklichung in durchschnittliche Betriebe kommt, kann nur enttäuscht werden.

Oft vergessen wir die simplen Feststellungen von Karl Marx, dass wir a) in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, und b) hier mit Arbeitskraft gehandelt wird.

Arbeit ist ein Geschäft, keine Selbsterfahrungsgruppe. Auch wenn das in manchen virtuell getriebenen Businesswirklichkeiten nicht gleich offensichtlich ist, gilt es auch dort. Und es trifft ebenso auf Führungskräfte zu: Sie verkaufen ihre Arbeitskraft. Nicht mehr und nicht weniger. Ihre Seelen verkaufen sie nicht.

Ein bewusster Umgang mit den Rollen schützt die Seele

Um aber diese Seele zu schützen, rate ich Führungskräften zu einem bewussten Umgang mit ihren Rollen. Denn im Zweifelsfall ist es den Mitarbeitern herzlich gleichgültig, was der Sohn der Oberärztin für Schulprobleme haben mag, wenn sie nur den OP-Plan professionell handhabt.

Der Vertriebschef erleichtert es dem Gekündigten am Ende gar nicht, wenn er seine Botschaft mit persönlicher Betroffenheit garniert. Und auch den Aufsichtsrat kümmert es nicht ernsthaft, dass die Managerin eine tiefe Liebe zur Oper hegt, wenn sie die Umstrukturierung nicht in den Griff bekommt.

Führungskräfte sollten erst einmal den Job machen, für den sie bezahlt werden. Und den machen sie selbstverständlich immer nur mit einem Ausschnitt ihrer Persönlichkeit. Sie werden auch nur für diesen Ausschnitt bezahlt. Ob sie dann immer mit dieser Selbstbeschränkung leben möchten, ist eine ganz andere Frage.

Im Ernstfall die Seele behüten

Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Die Führungskraft ist nämlich durchaus nicht für alles verantwortlich, was in ihrem Dunstkreis geschieht, sondern ebenfalls nur für die definierte Aufgabe. Die Bescheidung darauf kann sich als existenzieller Schutz erweisen. Denn im Ernstfall behütet die Seele von Führungskräften überhaupt niemand - außer sie selbst.

Darum bestimmen allein sie es, wann sie sich völlig zu Recht hinter ihre berufliche Rolle zurückziehen. Oder wann sie sich für tatsächlich persönliche Botschaften öffnen.

Die Rolle funktioniert wie eine Membran

Die eigene berufliche Rolle kann eine Führungskraft so oder so ausüben, und der Spielraum, der für die Eigenheiten ihrer Person bleiben, ist oft größer, als ihr anfänglich klar ist. Doch komplett abbilden wird sie ihre Person beruflich kaum können. Was oft überhaupt nicht schade ist.

Damit wird im besten Fall der reflektierte Einsatz der beruflichen Rolle zu einem wesentlichen Faktor für das innere Energiemanagement einer Führungskraft. Die Rolle kann dabei wie eine Art semipermeable Membran fungieren. Was zu welchem Zeitpunkt ans Herz gehen darf, entscheidet der Inhaber der Membran, nicht äußere Faktoren. Beim bewussten Wechsel zwischen Standbein (Rolle) und Spielbein (Authentizität) geht es letztlich um eine Authentizität im Schutz der Rolle. Die ist besser auszuhalten - und nebenbei auch produktiver für die ganze Firma.

Nächsten Samstag in der SZ: Wie definieren Personalverantwortliche den Begriff "Authentizität"? Und wie erreichen Führungskräfte Glaubwürdigkeit?

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