Führungsspitzen:"Wir entwickeln Sie in den Markt"

Welche Worte wählt der Chef, wenn er entlassen muss? Harte Zeiten erfordern weiche Sätze: Einleuchtend, dass "Herr Meier, wir müssen Sie entlassen" zu grob ist.

H. Freiberger

Wie teilt man einem Mitarbeiter mit, dass man sich von ihm trennen will? Es ist davon auszugehen, dass sich diese Frage derzeit und in den nächsten Monaten viele Führungskräfte stellen. Eine Reihe von Detailfragen schließen sich daran an: Wie lädt man zu dem Gespräch ein? Lässt man die Sekretärin anrufen und einen Termin vereinbaren? Schaut man persönlich am Schreibtisch des Mitarbeiters vorbei und bittet zu einem unverbindlichen Termin? Aber was, wenn er nachfragt, worum es bei dem Termin geht? Verschickt man am besten vielleicht eine Mail? Wenn ja: Was schreibt man in die Betreffzeile? Entlassungsgespräch?

Führungsspitzen Kündigung Entlassung, ap

Entlassen: Welcher Arbeitnehmer wollte sich nicht immer schon entwickeln? Freiheit war gestern, heute ist der Markt.

(Foto: Foto: ap)

Das waren jetzt nur die Fragen, die sich vor dem Gespräch stellen. Sitzen sich Führungskraft und zu Entlassender dann gegenüber, kommen erst die eigentlich heiklen Fragen. Welche Worte wählt man? In welcher Tonlage sagt man es? Soll man möglichst emotionslos bleiben oder sein Mitleid bekunden? Braucht es im Entlassungsgespräch also ein Quantum Trost, oder macht das alles noch viel schlimmer? Was tun, wenn der Mitarbeiter anfängt zu weinen? Man sieht schon: Schwere Gespräche werden in den nächsten Monaten geführt werden in deutschen Betrieben.

Acht Stunden absitzen, jahrein, jahraus

Harte Zeiten erfordern weiche Formulierungen. Jedem leuchtet sofort ein, dass der Satz "Herr Meier, wir müssen Sie entlassen" zu grob ist. Kaum besser ist die Formulierung "Herr Meier, wir müssen Ihnen kündigen". Um den Abschied emotional leichter zu gestalten, haben Personalverantwortliche in Unternehmen deshalb schon vor Jahren einen Ausdruck gefunden, der zahllosen Beteiligten Leid ersparte: "Herr Meier, wir möchten Sie freisetzen."

Wollte man nicht immer schon frei sein von den Zwängen, die das Arbeitnehmerdasein mit sich bringt? Jeden Morgen zu einer festen Zeit erscheinen, acht Stunden absitzen, jahrein, jahraus, unterbrochen nur von zu kurzen Wochenenden und wenigen Tagen Urlaub. Der Verlust des Arbeitsplatzes als Akt der Freiheit. War es das, was Karl Marx mit der Befreiung des Proletariats gemeint hat? Und wusste nicht schon die Rocksängerin Janis Joplin, dass Freiheit ein anderes Wort dafür ist, dass man nichts mehr zu verlieren hat?

Nun ist das Wort "Freisetzung" bereits in der letzten Konjunkturkrise häufig angewandt worden, so dass es einen Teil seiner beruhigenden Wirkung eingebüßt hat. Bekäme ein Mitarbeiter heute von der Sekretärin seines Chefs eine E-Mail, in deren Betreffzeile "Freisetzung" stünde, wüsste er sofort, was die Stunde geschlagen hat.

Fürsorglich, optimistisch, nach vorne gewandt

Findige Personalentwickler sind deshalb noch einmal in sich gegangen und haben einen neuen Ausdruck kreiert, der dem Vorgang seinen Schrecken nimmt. Und so kann sich mancher Mitarbeiter darauf vorbereiten, dass sein Vorgesetzter bald auf ihn zukommt mit den Worten: "Herr Meier, wir möchten Sie in den Markt entwickeln." Entwickeln! In den Markt! Das hat etwas Fürsorgliches, Optimistisches, nach vorne Gewandtes.

Welcher Arbeitnehmer wollte sich nicht immer schon entwickeln? Freiheit war gestern, heute ist der Markt. Der Markt ist die Steigerung von Freiheit. Wer sich auf dem Markt befindet, braucht nicht mehr frei zu sein. Und geklärt ist damit auch die Frage, was man am besten in die Mail schreibt, mit der man zur Entlassung bittet: Marktentwicklungsgespräch.

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