Führungsspitzen:Wimmelnde Wolke

Kann man die Belegschaft mit Bienen, Elchen oder Fischen vergleichen? Die Schwarmintelligenz der Kollegen kommt höchstens beim Gang zur Kantine zum Vorschein.

Hermann Unterstöger

Obwohl sie seit Jahrmillionen existiert und ausgeübt wird, war die Schwarmintelligenz bis vor kurzem für die meisten ein böhmisches Dorf. Was zum Beispiel die Bienen anging, diese Alt- und Großmeister der Schwarmintelligenz, so nannte sie zwar jeder, mit Anerkennung in der Stimme, irgendwie ganz schlaue Viecher, aber es war deutlich herauszuhören, dass es da immer um die einzelne Biene ging und nie um das Volk, den Schwarm, die Belegschaft. Dabei ist die Biene als solche ja keineswegs klug, wie schon Augustinus wusste, als er schrieb, dass man sich hüten müsse, von ihren staunenswerten Werken auf eine vernunftbegabte Seele, eine anima rationalis, zu schließen.

Führungsspitzen: Geschmeidig wie ein einziger Körper: Wer angesichts eines Vogelschwarms an die Belegschaft eines Unternehmens denkt, ist mit Betriebsblindheit geschlagen.

Geschmeidig wie ein einziger Körper: Wer angesichts eines Vogelschwarms an die Belegschaft eines Unternehmens denkt, ist mit Betriebsblindheit geschlagen.

(Foto: Foto: AFP)

Schwärmerische Diskussion

Die "Belegschaft", die oben wie von ungefähr in den Text gerutscht zu sein scheint, steht dort nicht grundlos herum. Spätestens seit Frank Schätzings Roman "Der Schwarm" wird in manchen Belegschaften die Frage diskutiert, ob man, da man nun mal ein Kollektiv sei, auch jener kollektiven Intelligenz teilhaftig sei, die man solchen Gemeinschaften nachsage. Wie nicht weiter verwunderlich, haftet diesen Diskussionen oft etwas leicht Schwärmerisches an - nicht weil es um den Schwarm und seine vermeintliche Klugheit geht, sondern weil dahinter eine Utopie steht.

Wenn nämlich, so denkt man, der Belegschaft allein aufgrund ihrer Schwarmbeschaffenheit eine Gruppenintelligenz zufliegt, die der Einzelintelligenz aller Schwarmmitglieder überlegen ist, dann verfügt die Belegschaft auch über eine Effektivität und Kampfkraft, die ihr sonst, bei Tarifauseinandersetzungen beispielsweise, meistens erst mühsam eingeredet werden muss.

"Selber Elch!"

Unter diesem Aspekt ist es vor einem Streik natürlich völlig kontraproduktiv, den Leuten das Fluchtverhalten der Elche als einen besonders brillanten Fall von Schwarmintelligenz vor Augen zu stellen. Wer das tut, wird sich vor Zwischenrufen wie "Davonlaufen? Wär' ja noch schöner!" oder "Selber Elch!" nicht retten können und muss von vorn anfangen. Dies ein Gratistipp für Gewerkschaftler und Betriebsräte.

Elch hin oder her: Es ist ohnedies ziemlich schwierig, die im Tierreich vorhandene Schwarmintelligenz auf menschliche Gemeinschaften zu übertragen. Nehmen wir nur die Fische, von deren Schwarmverhalten wir dank der Kunst wagemutiger Unterwasserfilmer ein sehr schönes, deutliches Bild haben.

Wimmelnde Wolke

Wie sich da Tausende, möglicherweise Millionen silberglänzende Fische zu einer wimmelnden Wolke zusammentun, wie das mal hierhin wogt, mal dorthin, wie es da bei all dem Gewoge zu keinerlei Karambolagen kommt, wie diese Wolke dann unvermittelt abdreht, so geschmeidig, als wäre sie ein einziger Körper, und dabei so scheinbar absichtslos, als folge sie einer Laune, einer raschen Eingebung!

Nein, wer darin seine eigene Belegschaft abgebildet sieht, der ist mit einer Betriebsblindheit eigener Art geschlagen: Nicht einmal auf dem Weg zur Kantine, wo sie noch am ehesten easy sind, brächten die Kollegen etwas zuwege, was diesem Tiefseeballett auch nur im entferntesten das - mit Verlaub - Wasser reichen könnte.

Welche Rolle spielt der Boss?

Was nie geklärt wurde, was aber bei Auseinandersetzungen des "Schwarms" mit den Bossen nicht ohne Belang ist, das ist die Frage der Zugehörigkeit: Sind die Führungskräfte Teil des Schwarms, oder umkreisen sie ihn nur, mit welchen Absichten auch immer. Da kommen wir, bei aller Schwarmintelligenz, keinen Schritt weiter.

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