Führungsspitzen:Sprung aus dem Hamsterrad

Aufstieg oder Ausstieg: Die nahende Sommerruhe bringt endlich Zeit, sich Gedanken zu machen. Über unser chronisches Multitasking und den drohenden Burn-out.

Dagmar Deckstein

Während die Öffentlichkeit immer noch über die Aller-Letzt-Motive prominenter Rücktreter der vergangenen Wochen und Monate grübelt - Köhler, Koch, Rüttgers, Beust - beginnt sich die sommerliche Ferienruhe über das Land zu senken. Auch wenn unter der Hitzeglocke nach wie vor die noch unbeantwortete Frage hängt, was man vom neuen Trend des Bettel-Hinschmeißens zu halten hat, ob sich hier ein neuer, verantwortungsscheuer Charaktertyp manifestiert, oder ob wir es mit individuellen Befreiungsschlägen unter dem Schlachtruf der Work Life Balance zu tun haben, wie er schon lange aus den Personalentwicklungsabteilungen der Unternehmen schallt und auf taube Ohren stößt.

Laufrad befristete Verträge

Immer weiter: Die ruhigeren Tage des Sommers bieten endlich Gelegenheit, über den täglichen Bürowahnsinn nachzudenken.

(Foto: dpa)

Womit wir in den Zentren des Burnouts, des Workoholismus und der so kostenlosen wie folgenlosen Anti-Stress-Seminare gelandet wären, in den Unternehmen. Öffentlichkeitswirksame Rücktritte hielten sich dort zwar bisher in Grenzen, aber vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch im überhitzten Kosmos der effizienzgetriebenen, multimedial unterstützten Dauerpräsenz und -beschäftigtheit die große Aussteigerwelle heranrollt.

Wohl nicht von ungefähr häufen sich ausgerechnet in diesen Tagen, da das Ende der Wirtschaftskrise und der Beginn der Urlaubssaison zusammenfallen, Bücher- und Zeitschriftentitel, die zum Müßiggang im Offlinebetrieb ermuntern, die das Abschalten nervenzersägender Netzempfangsgeräte mit ihrem Daueraufmerksamkeitsgeheisch zum neuen Credo erheben. Und sei es im Dienste weiterer Leistungs- und Effizienzsteigerung, weil ständige Erreichbarkeit bis in die oberen Mahagoni-Etagen nur noch Müdigkeit und Entscheidungsschwäche produziert.

Es ist dies vielleicht auch gar nicht die schlechteste Zeit, innezuhalten und Revue passieren zu lassen, welch seltsame Formen das chronische Multitasking angenommen hat zwischen frühmorgendlichem E-Mail-Abruf auf dem Blackberry und spätabendlicher Telefonkonferenz mit Fernwest. Der ganz normale Bürowahnsinn im Kommunikationszeitalter kreiert dabei den größten Feind der Konzentration, die ständige Unterbrechung.

Die US-Wissenschaftlerin Gloria Mark hat einst den Alltag der Büroangestellten zweier Hightech-Firmen inmitten der nie endenden Informations- und Datenflut protokolliert. Die Realität sei noch "sehr viel schlimmer, als ich es mir je vorgestellt hätte", wunderte sich die Wissenschaftlerin. Aber da sollte sie erst mal bei uns oder bei Ihnen hereinschauen, oder?

Elf Minuten. Gerade mal so lange kann sich ein durchschnittlicher Büroarbeiter mit einer Aufgabe beschäftigen, bevor er unterbrochen wird. Dann dauert es etwa 25 Minuten, in denen weitere Störenfriede vorstellig werden, bis es in die nächsten elf Minuten am alten Thema weitergeht. Aber da das Gehirn mangels ausreichender Speicherkapazität nun auch noch mal acht Minuten braucht, bis es den verlorenen Faden wieder gefunden hat, ist schon wieder jede Menge Produktivität im Gezeitenstrom des ununterbrochenen Unterbrochenseins verpufft. Wie hält ein Mensch solch organisatorisches Kammerflimmern aus? Schlecht.

Da bietet die anstehende Sommerfrische - wie immer mit Laptop und Handy im Reisegepäck - eine schöne Gelegenheit zu Reflexionen über Leben und Arbeiten in Hamsterrädern. Langsamer laufen lässt sich in ihnen nicht - höchstens herausspringen.

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