Führungsspitzen:Karl May statt Karl Marx

Dem scheidenden Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller ist seine Lieblingslektüre ein bisschen peinlich. Doch wer das Heranpirschen an fremde Lagerfeuer schon zu Hause übt, kann sich im Betrieb gelassen verhalten.

Hermann Unterstöger

Karl Mays alias Old Shatterhands alias Kara Ben Nemsis Pferde hörten gern auf Namen, in denen sich ihre phänomenale Geschwindigkeit widerspiegelte. Im Wilden Westen hieß der Gaul, ein Geschenk von Blutsbruder Winnetou, "Hatatitla", also "Blitz", im Nahen Osten dagegen "Rih", was so viel wie "Wind" bedeutet. Den Rih hatte der sächsische Schwadroneur von Mohammed Emin, dem Scheich der Haddedihn, und wenn man diesem (dem Pferd, nicht dem Scheich) die Hand zwischen die Ohren legte und "Rih!" rief, legte er noch einen gehörigen Zahn zu.

Karl-May-Festspiele, dpa

Karl-May-Festspiele: Der Autor zeigt sich Macher und Held, wobei hinter all dem Auftrumpfen unschwer ein ziemlich schwacher Mensch zu erkennen ist.

(Foto: Foto: dpa)

Bei der Commerzbank haben sie nicht nur ein 258,70 Meter hohes Bürogebäude, das höchste Europas übrigens, sondern darin auch ein paar sehr leistungsfähige Aufzüge. Mit sechs Metern pro Sekunde sind die Lifts im Südkern die schnellsten. Trotzdem kann man sich vorstellen, dass Vorstandssprecher Klaus-Peter Müller, wenn er in so einem Lift allein und sehr in Eile ist, dem Aufzug die heiße Managerhand auf die kühle Innenwand legt und "Rih!" sagt - laut genug, um den Aufzug anzutreiben, aber doch so leise, dass allfällige Überwachungsgeräte nichts mitbekommen. Wäre ja irgendwie peinlich.

Ein Textberg mit 90 Bänden

Aber was heißt schon peinlich! Klaus-Peter Müller hat jetzt, da er aus seinem Amt zu scheiden und in den Aufsichtsrat zu wechseln gedenkt, ein Geständnis abgelegt, das ihm selbst "ein klein bisschen peinlich" war, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Mehr als alles andere, sagte er der dpa, habe er in seinem Leben Karl May gelesen. Das klingt zunächst klar und schlüssig, in Wahrheit ist es jedoch ziemlich vertrackt. Was bedeutet "mehr als alles andere"? Hat er, was verständlich wäre, Karl May nur lieber gelesen als beispielsweise die Fachbücher, die man ihm als Lehrling im Bankhaus Friedrich Simon KGaA vorlegte?

Sollte es indessen um die schiere Menge des Lesestoffs gehen, ergäbe sich die nicht uninteressante Frage, was dies "alles andere" denn war. Karl Mays gesammelte Werke umfassen beiläufig 90 Bände, und selbst wenn man Müller unterstellt, dass er "Abdahn Effendi" und ähnlich Abseitiges nicht gelesen hat, bleibt ein Textberg, neben dem sich Goethes oder Schillers gängige Sachen bescheiden ausnehmen.

Heranpirschen an fremde Lagerfeuer

Woher die Peinlichkeit rührt, die Müller gefühlt hat, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht daher, dass Karl May nicht als die einer Führungskraft angemessene Lektüre gilt. In seinen vielfältigen Rollen zeigt sich dieser Autor ja als äußerlich überaus selbstsicherer Mann, als Macher und Held, wobei hinter all dem Auftrumpfen unschwer ein ziemlich schwacher Mensch zu erkennen ist, der sich aus einem zugegebenermaßen harten und unglücklichen Leben in derlei Illusionen flüchtete.

Andererseits kann man Managern nur raten, gelegentlich einen Karl May zu lesen und sich eine Weile wie dessen Heroen zu fühlen. Wer dies ewig gleiche Heranpirschen an fremde Lagerfeuer, dies ewig gleiche Belauschen entscheidender Gespräche, dies ewig gleiche Niederschlagen des Gegners mittels eines "Jagdhiebs" schon zu Hause im Liegestuhl absolviert, der kann sich im Betrieb gelassen verhalten. Apropos ewig gleich: Wenn's genehm ist, sei unsererseits der alte Kalauer aufgewärmt, wonach "Das Kapital" nicht von Karl May stammt, sondern von Karl Marx. Zwingende Reaktion hierauf: "Ach so! Deswegen kommen da drin kaum Indianer vor."

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