Führungsspitzen:Immer ist der Chef schuld

Natürlich: Schlechte Führung ist der Grund, warum Mitarbeiter lustlos und demotiviert zu Werke gehen. Doch wie sieht es mit der Unfähigkeit der zu Führenden aus?

Dagmar Deckstein

Dieser Montagmorgen hat es mal wieder in sich. Mindernickel ist schon auf 180, als er sein Büro betritt. Nicht nur, dass der Wagen streikte und in die Werkstatt expediert werden musste, sodass sich Mindernickel schon mal mit einer Stunde Verspätung auf seinen Schreibtischstuhl plumpsen lässt. Hat ihm Müller doch auch noch im Fahrstuhl vorhin den Nachverhandlungstermin mit den Japanern aufs Auge gedrückt. Ausgerechnet heute, ausgerechnet um 19 Uhr, wo er doch mit Toni zum Squash verabredet ist. Lustlos fährt er den Computer hoch. Da, E-Mail von Huber: Wo denn das Protokoll der letzten Abteilungsleitersitzung bleibe, das habe ihm Mindernickel doch schon am letzten Freitag vorlegen wollen. Das kannst du dir sonst wohin schieben, murmelt Mindernickel.

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The Boss: Natürlich sind immer die Chefs schuld, wenn Mitarbeiter lustlos zu Werke gehen.

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Die nächsten eineinhalb Stunden verbringt er erst einmal mit der Internetsuche nach einer Ferienwohnung an der Algarve. Hat Elfi versprochen, sich rechtzeitig ums Urlaubsdomizil zu kümmern. Ah, der Bote bringt die Post. Das bestellte Büromaterial ist da; Mindernickel zweigt flugs zwei Großpackungen Filzstifte und fünf Schreibblöcke ab und verstaut sie in seiner Aktentasche. Die Kinder brauchen wieder was zum Malen.

Ein Abgrund von Führungsschwäche

Wir könnten Herrn Mindernickel getrost auch Mister 67 Prozent nennen. Gehört er doch offensichtlich zu jener Überzahl der Arbeitnehmer, die das Gallup-Institut nun schon im neunten Jahr in Folge als lustlose Dienst-nach-Vorschrift-Schieber identifiziert. Die Motivationsumfrage des Berliner Marktforschungsinstituts genießt inzwischen eine Art Kultstatus, gehört zumindest zu den wohl meistzitierten Untersuchungen überhaupt. Warum? Weil sie Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die in deutschen Unternehmen einen Abgrund von Führungsschwäche verorten.

Natürlich sind immer die Chefs schuld, wenn die Mitarbeiter lustlos und demotiviert zu Werke gehen oder gar bereits die innere Kündigung eingereicht haben. Dass es mit der Führungskunst der Chefs nicht flächendeckend zum Besten bestellt ist, darüber wurde nicht zuletzt auch an dieser Stelle wiederholt und beredt Klage geführt. Aber das ist nur ein Teil der ganzen Wahrheit, deren schwer unterbelichtete Seite lautet: Wie sieht es eigentlich mit der Unfähigkeit und dem Unwillen der zu Führenden aus? Dass mit altväterlicher Sitte auf der Basis von Befehl und Gehorsam kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, hat sich herumgesprochen.

Permanente Wertschätzung

Andererseits heißt das noch lange nicht, dass Entscheidungen der Firmenspitze nach dem Motto "Der Chef spinnt mal wieder" der langwierigen Diskussion der Mitarbeiter bedürfen, ob sie nun geneigt sind, sich dafür ins Zeug zu legen. Oder vielleicht doch lieber abtauchen und andere rödeln lassen sollen. Längst haben die Heerscharen von Einzelkindern Einzug ins Arbeitsleben gehalten, denen jahrelang die ungeteilte Aufmerksamkeit zweier Erwachsener zuteil wurde. Also soll ihnen auch der Chef ausdauernd Beachtung und Wertschätzung liefern, sonst fühlen sie sich "irgendwie nicht motiviert."

Führungskräfte können sich kaum noch retten vor Führungskräfteschulungen. Aber wo finden wir Workshops zum Thema: Wie überwinde ich den inneren Schweinehund, der alles, was von oben kommt, erst mal grundsätzlich anzweifelt? Die Kunst eben, sich führen zu lassen. Ach ja: Mindernickel hat sein Feriendomizil gebucht. Jetzt sitzt er schon über eine Stunde beim Mittagessen.

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