Führungsspitzen:Einfach mal die Klappe halten

Business-Bullshitting schon in der Roll-off-Phase: Manager sollten endlich auf ihr Kauderwelsch verzichten - und nicht mehr von Herausforderungen sprechen, wenn es Probleme gibt.

D. Deckstein

Wäre der Philosoph Ludwig Wittgenstein als zeitgenössischer Business Leader wiedergeboren worden, würde er heute wahrscheinlich sagen: "Jedes Mindset, das sich schon in der Roll-off-Phase für eine adressatengerechte Power-Point-Präsentation befindet, kann auch ohne Challenge für die Zielgruppe kommuniziert werden."

Anglizismus Sprache Manager Führungsspitzen

Ein Blick in den deutschen Duden täte manchen Managern im Kampf gegen anglizistische Worthülsen ganz gut.

(Foto: dpa)

Abgesehen davon, dass der Sohn des Wiener Großindustriellen Karl Wittgenstein den Titel seines Werkes mit dem berühmten Schlusssatz nun auch nicht ohne Challenge für Nicht-Lateiner gewählt hat - Tractatus Logico-Philosophicus -, so möchte man doch gerne eben diesen Schlusssatz den Funeral-Managern alias Bestattungsunternehmern der deutschen Sprache massiv um die Ohren schlagen: "Was sich überhaupt sagen lässt, das kann man klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."

Dauerbrenner für Sprachkritiker

Ja, geschenkt, ist ja nun seit Jahren ein Dauerbrenner für Sprachkritiker, dieses Business-Bullshitting, in dessen anglizistisch angereicherter Floskel-Faselei sich immer häufiger selbst die kauderwelschenden Kommunikatoren verheddern. Die können sich - Wittgenstein hin oder her - nicht mal auf den alten Goethe hinausreden. Der, nicht ahnend, zu welch sinistren Sprachschöpfungen er 200 Jahre Industriegeschichte später ermuntert hat, dereinst forderte, "fremde Wörter zu verschlingen, um so die deutsche Sprache zu bereichern."

Es wäre in diesem Zusammenhang eine echte Herausforderung für die noch nicht bachelorisierte Linguistenzunft, ihren eigenen wissenschaftlichen Erklärungsansatz zur Genese der großen Krise beizusteuern. Die Überflutung der Finanzmärkte mit nahezu zinslosem Geld dürfte ihre Entsprechung finden in der ebenso wohlfeilen wie inflationären Vermehrung nebulöser Worthülsen und Sprechblasen.

Worthülsen-Schälarbeit

Der Abkoppelung der Finanz- von der Realwirtschaft entspricht die Abkoppelung des Gesagten vom Gemeinten. Und mit der vermeintlichen Abschaffung der Haftung und des Risikos für windigste Subprime-Kredite korreliert aufs Harmonischste die Abschaffung des Festgenagelt-werden-Könnens auf eine substanzielle Botschaft. Wann hätten wir zum Beispiel zuletzt gehört, dass sich in einem Unternehmen "Probleme" aufgetan hätten, die es nun mit vereinten Kräften zu lösen gälte? Wer Probleme hat, kann gleich einpacken und etikettiert das Problem lieber zur "Herausforderung" um. Da schwingt wenigstens noch ein wenig Robin Hood mit.

Richtung für die linguistische Worthülsen-Schälarbeit bietet nun eine so interessante wie in sich paradoxe Langzeitstudie der Strategieberatung Keylens. Zehn Jahre lang wurden 209 Unternehmen aus 25 Branchen daraufhin beobachtet, in welchem "semantischen Umfeld" sie sich mit ihren Wortbotschaften bewegten. Nun muss die deutsche Beratungsfirma irgendwie auch zwanghaft diese Botschaften "tag clouds" nennen, um sie sogleich in "Wortwolken" zu übersetzen.

Was Wittgenstein gesagt hätte

Aber die Dekaden-Erkenntnis ist bemerkenswert: "Spricht ein Unternehmen häufiger von 'Kostensenkung' als von 'Kundenorientierung', ist der Abwärtstrend bei Marktanteil und Umsatz oftmals nur noch eine Frage der Zeit." Das heißt ja nichts anderes, als dass das Reden über das, was ist, eher weniger angeraten ist als das Reden über das, was sein soll. Mit Wittgenstein könnte man aber auch sagen: Im Zweifelsfall einfach mal Klappe halten.

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