Führungsspitzen:Büromensch mit zerrissener Seele

Der Durchschnittsbeschäftigte scheint es gut zu haben: Wenige Überstunden, viel Urlaub und gar nicht mal so wenig Gehalt. Dennoch will er immer mehr und immer das, was er gerade nicht hat. Da geht es ihm wie der bekannten Kuh Yvonne, die kürzlich einem bayerischen Bauern ausbüxte.

Nicola Holzapfel

Kürzlich sorgten die Durchschnittsbeschäftigten für einen Aufreger im Sommerloch. Sie erhalten überraschenderweise nur elf Mails pro Tag, wie eine Umfrage ergab. So einen übersichtlichen E-Mail-Account hätten viele gerne. Anscheinend ist es gar nicht so schlecht, im Büro zu den Durchschnittstypen zu zählen. Mal sehen, was das noch für Vorteile bringt: Sie arbeiten 38,24 Stunden die Woche, und ihre Überstunden summieren sich auf 43 - im ganzen Jahr.

Kuh Yvonne bleibt vorerst im Stall

Dem Durchschnitts-Büromenschen geht es wie der Kuh Yvonne: Er leidet an einer zerrissenen Seele. Immer will er woanders sein, als er gerade ist.

(Foto: dapd)

Außerdem haben sie 30 Tage bezahlten Urlaub, dazu noch zehn Feiertage. Damit geht es ihnen viel besser als den europäischen Beschäftigten, die nur 24 Tage in die Ferien fahren können. Leider sind sie trotzdem acht Tage im Jahr krank. (Wobei das Arbeiten in Berlin besonders ungesund sein muss, hier sind es sogar zehn Tage, in Bayern dagegen nur sechs). In Rente gehen sie mit 63 Jahren. Der monatliche Bruttoverdienst für dieses herrliche Leben liegt bei 3264 Euro.

Noch viel toller ist es, zu den Durchschnittsfrauen zu gehören. Die verdienen zwar 23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Aber dafür schaffen sie es, ihre Kinder gestückelt auf die Welt zu bringen, genau gerechnet sind es 1,36 Stück pro Frau. Das soll ihnen mal einer nachmachen. Angesichts solcher Leistungen ist es kein Wunder, dass die Frau an sich derzeit so gefragt ist. Sie gilt sogar als Lösung für den Fachkräftemangel. Dafür muss sie nur noch mehr arbeiten. Ist all das kein Grund zufrieden zu sein?

Doch der und die Durchschnittsbeschäftigte sind unverbesserlich. Ständig hoffen sie auf Lohnerhöhungen. Und dann wünschen sie sich mehr Aufstiegschancen und mehr Ansehen, fähigere Chefs und am besten gleich für sich selbst einen Führungsjob. Und wenn der Aufstieg endlich geschafft ist, wollen sie Familie und Beruf besser vereinbaren können.

Wie schwierig das nun wieder ist, zeigt sich am Urlaub, der zu den letzten wirklich großen Herausforderungen zählt. An ganz gewöhnlichen Arbeitstagen wünschen sich Angestellte nichts lieber als Ferien. Am liebsten wären sie am Strand oder in den Bergen, aber bloß nicht hinterm Schreibtisch.

Doch ist endlich Urlaub, hält es kaum einer ohne Arbeit aus. Statt sich zu erholen, verbringen die Urlaubenden ihre Zeit damit, mit Vorgesetzten und dem Team zu telefonieren und geschäftliche E-Mails zu schreiben. 61 Prozent der Arbeitnehmer gehen in den Ferien bereitwillig ans Handy, sobald der Chef klingelt. Das hat die Jobbörse Stepstone herausgefunden. Die Befragten gaben sogar an, dass sie das ganz und gar nicht stört, weil sie ihren Job so leidenschaftlich lieben. Wie passt das zusammen? Liest man nicht ständig darüber, wie unmotiviert die deutschen Beschäftigten sind?

Der arme Büromensch, er leidet an einer zerrissenen Seele. Immer will er woanders und etwas anderes sein als er ist. Damit geht es ihm wie der Kuh Yvonne, die kürzlich ihrem bayerischen Bauern davongelaufen ist und dann das Leben einer Einsiedlerin in einem Waldstück führte. Ihr Besitzer, der tagelang erfolglos auf der Lauer lag und mit Sicherheit nicht die Probleme eines Durchschnittslandwirts hat, sprach von ihr nur noch als der "Kuh, die ein Reh sein will".

Angesichts solcher Sehnsüchte ist es gut, dass es noch keine Umfrage dazu gibt, wo und was Durchschnittsleser und -leserinnen in Wirklichkeit sein wollen. Das Ergebnis könnte ein Sommeraufreger werden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: