Führungsspitzen:Der Chef: Körperlich anwesend, geistig im Urlaub

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Die Fortbildungen sind gestrichen, Gehaltserhöhungen gibt es nicht: Die Motivation der Belegschaft sinkt - und der Chef hat schon lange keine Lust mehr. Wer kann die Belegschaft da noch retten?

Nicola Holzapfel

Eine neue Studie verrät ein Geheimnis, das sonst hinter den geschlossenen Türen der Chefzimmer verborgen bleibt: Unter den Vorgesetzten grassiert die Unlust. Jeder dritte Manager schiebt Frust oder ist demotiviert, wie die Personalberatung Hay Group herausgefunden hat. Für die Mitarbeiter hat diese Nachricht eine gute und eine schlechte Seite. Die gute: Sie sind nicht mehr allein mit ihrem Frust. Bislang wurde vor allem unter ihnen Null-Bock-Stimmung diagnostiziert, etwa vom Marktforschungsunternehmen Gallup, nach dem zwei Drittel der Mitarbeiter nur Dienst nach Vorschrift machen. Das Schlechte daran ist: Viele haben einen frustrierten Chef.

Die Motivation viele Führungskräfte ist schon weg, bevor sie überhaupt im Büro sind. George Clooney scheint es im Film "Up in the Air" nicht anders zu gehen. (Foto: ddp)

Als wären die Arbeitnehmer nicht schon genug geplagt. Da war zum Beispiel mal so etwas wie eine Krise, die zwar unerwartet schnell wieder vorbei war, aber dennoch nicht ganz überwunden ist. Weltweit leiden die Mitarbeiter unter den Folgen, stellte die Personalberatung Towers Perrin in einer Umfrage fest. Sie haben die Einstellungsstopps, Nullrunden bei Gehältern und die gestrichenen Weiterbildungen schlecht verkraftet. Heute sind sie weniger stressresistent, weniger engagiert und weniger loyal.

Nimmt man all diese Studienergebnisse für wahr, so eröffnet sich ein düsteres Szenario: Ein Heer lustloser Abteilungsleiter, Assistenten und Projektmanager macht sich morgens missmutig auf den Weg zur Arbeit, um dort als Erstes auf die Uhr zu sehen, wann die Quälerei endlich wieder vorbei ist. Am Arbeitsplatz surfen sie im Internet, statt ihr Bestes zu geben und jammern sich gegenseitig vor, wie schlecht ihre Arbeitsbedingungen sind ("Ich kann so nicht arbeiten!").

Die Arbeitgeber reagieren mit mehr oder weniger bewährten Mitteln auf die miese Stimmung (soweit sie diese bemerken). Sie schicken zum Beispiel bevorzugt Führungskräfte auf Motivationsseminare.

Recht verbreitet ist auch der Glaube, Motivation kaufen zu können - in der Hoffnung, dass sich mit ein bisschen mehr Gehalt der Mitarbeiter schon wieder fangen wird. Oder man tut gar nichts. Immerhin kommen die Leute ja zur Arbeit, und zu tun ist auch genug.

Besonders einfühlsame Arbeitgeber machen sich jedoch ernste Sorgen. Sie ahnen, dass sie mit einer zufriedenen Belegschaft bessere Ergebnisse erzielen könnten. Und sie fragen sich, wie sie gute Mitarbeiter halten und fähige Nachwuchskräfte für sich gewinnen können. Selbst nach den Umfragen mit den verheerendsten Motivationsergebnissen scheint es ja immerhin noch ein paar Prozent Engagierte zu geben. Womöglich kommen sie dann auf die Idee, Strategien für die Mitarbeiterführung zu entwickeln oder gar auf die Vorstellungen der Arbeitnehmer einzugehen, die über ein "Mehr Geld, bitte" hinausgehen. Familienkompatible Arbeitszeiten gehören dazu. Ebenso der Wunsch, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und nicht allein als Kostenfaktor behandelt zu werden.

All das setzt jedoch voraus, dass der angestaute Frust dem Top-Management überhaupt bekannt ist. Und das scheint selten der Fall zu sein. Die obersten Chefs haben keine Ahnung, wie es um die Motivation der Belegschaft wirklich steht, glauben die meisten der von Hay befragten Führungskräfte. Vielleicht sollte man den Bossen auch lieber nicht raten, sich ein Bild von der Verbreitung des Null-Bock-Virus zu machen und sich bei ihren Mitarbeitern nach deren Seelenzustand zu erkundigen. Sie könnten sich womöglich anstecken.

© SZ vom 13.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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