Führungsspitze:Mein Brieffreund, der Chef

Das gemeine Volk mailt, twittert und telefoniert. Und die Herren und Damen in den Führungsetagen? Wer sich wichtig machen will, beschreibt ein Blatt Papier und steckt es in ein Kuvert.

Alexandra Borchardt

Wenn Post-Chef Frank Appel über das Eine redet, geht er stets behutsam vor. Irgendwann werde die Post womöglich nun doch das Porto erhöhen müssen, sinniert er dann, um zur Beruhigung aller Brieffreunde gleich nachzuschieben, dass dies in den nächsten zwei Jahren oder so ganz sicher nicht durchsetzbar sei. Diese Vorsicht hat ihren Grund. Denn kaum etwas wäre für den obersten Postmann unangenehmer, als eine Nation ehemaliger Briefeschreiber gegen sich aufzubringen, zumal es von diesen vor allem unter Kommentatoren nur so wimmelt.

Brief

Ein Brief ist wichtig - immer. Deshalb verschicken ihn besonders gerne Vorgesetzte und Chefs.

(Foto: iStockphoto)

Tatsächlich hat die Post ihr Porto aus diesem Grund seit 14 Jahren nicht erhöht, ohne jedoch verhindern zu können, dass das Briefeschreiben mittlerweile zu einer recht elitären Angelegenheit geworden ist. Denn während das Volk telefoniert, mailt, twittert und den Briefkasten nur noch leert, um Mitteilungen des Finanzamts oder Werbung für Einbauküchen herauszufischen, greifen Mann oder Frau von Macht gerne zu der vordigitalen Mitteilungsform.

Will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum Beispiel Notenbankchef Jean-Claude Trichet wissen lassen, wie er die Griechenlandkrise bewältigen würde, schreibt er, sicher ist sicher, einen Brief. Beschwert sich RWE-Chef Jürgen Großmann bei der Bundeskanzlerin über den Atomausstieg, wählt er den Brief. Ob sich Grünen-Chefin Claudia Roth an einem CDU-Kollegen ("Lieber Philipp Mißfelder!") abarbeitet oder ob SPD-Mann Lothar Binding Privilegienwirtschaft bei der Entwicklungshilfeorganisation GIZ geißelt - telefonieren bringt's nicht. Wenn einem etwas richtig stinkt, dann muss der DIN-A4-Bogen ins Kuvert.

Der Reiz der modernen Wichtigmann-Korrespondenz steht dabei im Gegensatz zu dem, was den Brief für Generationen so attraktiv machte. Wurde einst - übrigens schon im 17. Jahrhundert - das Briefgeheimnis entwickelt, um Liebesschwüre, Abschiedsworte und persönliche Verwerfungen zwischen Absender und Adressat ohne Mitleser auszutauschen, ist der Elitenbrief heute gerade deshalb interessant, weil er sich so schön über geschicktes Zuspiel auf den mittelgroßen Verteiler setzen lässt und dabei trotzdem noch die Aura des Persönlichen und dabei besonders Wichtigen bewahrt.

Häufig entstehen aus solchen Aufschlägen sogar echte Brieffeindschaften. Wobei die Chancen größer sind, den Schriftwechsel irgendwann mal als Beweismittel vor Gericht vorzufinden, als dass er im Buchladen unter "Gesammelte Briefe" auftaucht, wie es die Korrespondenzen von beispielsweise Walter Benjamin (sechs Bände!), Hermann Hesse oder Rosa Luxemburg geschafft haben.

Schreibt der Chef einem Mitarbeiter einen Brief, vermutet dieser im Umschlag entweder eine Gehaltserhöhung oder eine Abmahnung - beides eher seltene Ereignisse. Für alles andere gibt es schließlich Mail, die zwar manchmal rüder rüberkommt ("da hat die Abteilung mal wieder gepennt"), aber vom Verfasser leichter zu entschuldigen ist ("habe nebenbei noch telefoniert") als das eingetütete Blatt.

Außer natürlich, man arbeitet in einer Behörde. Dort ist der Postweg noch der Weg aller Dinge, wie sich in der Ehec-Krise offenbarte. Ämter hatten übergeordnete Behörden per Brief über Krankheitsfälle informiert, während auf den Intensivstationen die Patienten hereinrollten. Wahrscheinlich muss sich Appel nun auch in diesem Sektor auf Einbußen einstellen.

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