Frust im Beruf:Der nächste Chef ist auch nicht besser

85 Prozent der Deutschen sind unglücklich im Job - und wollen einen neuen. "Dabei ist es egal, wo wir arbeiten", sagt Autor Volker Kitz. Genervt sind wir überall.

Julia Bönisch

sueddeutsche.de: Herr Kitz, Sie sagen, es sei völlig egal, für wen und wo wir arbeiten. Heißt das, wir sollen uns mit all dem abfinden, was uns im Job nicht passt?

Chef, iStock

Der Vorgesetzte: Auch in einem neuen Job wird man Probleme mit ihm haben, sagt Volker Kitz.

(Foto: Foto: iStock)

Volker Kitz: Nein, das wäre übertrieben. Natürlich gibt es gewisse Dinge, mit denen man sich nicht abfinden sollte. Aber wir plädieren für mehr Gelassenheit: Bestimmte Probleme lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen, auch nicht durch einen Arbeitsplatzwechsel. Wir müssen deshalb unsere Erwartungen mehr der Realität anpassen.

sueddeutsche.de: Wir regen uns also zu Unrecht über unsere Arbeit auf - nicht sie ist schlecht, sondern unsere Ansprüche sind zu hoch?

Kitz: Meistens. Wenn wir kündigen und uns einen neuen Job suchen, werden wir früher oder später wieder die gleichen Sorgen haben wie zuvor. Nehmen Sie das Gehalt: Die meisten Menschen glauben, sie verdienten zu wenig - egal, wo sie arbeiten. Wir haben für unser Buch mit unzähligen Leuten gesprochen, die völlig verschiedene Jobs haben. Der Fließbandarbeiter beschwert sich genauso über seine niedrige Bezahlung wie das Vorstandsmitglied in einem Großunternehmen. Sie klagen über dieselbe Sache - nur auf einem anderen Niveau.

sueddeutsche.de: Ein Vorstandsmitglied hat doch keinen Grund, sich über schlechte Bezahlung aufzuregen.

Kitz: Aus seiner subjektiven Sicht schon, denn er kennt immer jemanden, der noch mehr verdient - der Nachbar, der Konkurrent oder die Managerkollegen in den USA. Das Problem ist, dass wir uns permanent vergleichen und Menschen finden, die es noch besser haben als wir. Ein Konzernchef beklagte sich bei uns sogar darüber, sein Job sei monoton. "Alles langweilig, kennst du ein Unternehmen, kennst du alle", sagte er.

sueddeutsche.de: Was frustriert die Deutschen denn am meisten im Beruf?

Kitz: Der Hauptgrund für Unzufriedenheit ist in der Tat Geld. Daneben gibt es aber noch andere Faktoren. In der Regel klingt der Dreiklang so: "Ich verdiene zu wenig, alle quatschen mir rein, der Chef schätzt meine Arbeit nicht." Natürlich spielen auch anstrengende Kollegen und eine unausgewogene Work-Life-Balance eine Rolle. Doch es ist eine Illusion zu glauben, in einer anderen Firma werde man mit seinem Chef plötzlich wunschlos glücklich.

sueddeutsche.de: Warum regen sich so viele Menschen über ihren Chef auf?

Kitz: Weil er all das verkörpert, was sie an ihrem Job nicht mögen: Er lobt zu wenig, gibt kein Feedback und verlangt zu viel. Viele Mitarbeiter erwarten, dass der Chef sie zu jeder gelungenen Tat beglückwünscht - und legen es als persönliche Boshaftigkeit aus, wenn das Lob ausbleibt. Doch es ist im Alltag schlicht nicht praktikabel, dass der Chef ihnen für jeden Handgriff ein Denkmal setzt. Wir selbst können ja auch nicht allen Menschen, mit denen wir jeden Tag zu tun haben, ein individuelles Feedback geben, obwohl sie sich das genauso wünschen wie wir. Oder wann haben Sie Ihren Postboten zuletzt gelobt?

sueddeutsche.de: Das klingt wie eine Rechtfertigung für alle Vorgesetzten.

Kitz: Natürlich liegt in der Führungsebene vieles im Argen, besonders was die Motivations- und Feedbackkultur angeht. Doch den perfekten Chef gibt es genauso wenig wie den perfekten Mitarbeiter. Nach ihm zu suchen ist daher Zeitverschwendung.

sueddeutsche.de: Vor 20 Jahren war es noch üblich, bis zur Rente im gleichen Unternehmen zu arbeiten, heute wechseln Berufseinsteiger spätestens nach drei Jahren das erste Mal den Job. Warum jagen wir dem perfekten Job nach?

Der nächste Chef ist auch nicht besser

Kitz: Erstens predigen die Medien gegen den Stillstand. Uns wird eingeredet, wir müssten flexibel sein. Arbeitet jemand lange in der gleichen Firma, heißt es schnell: "Du findest wohl nichts anderes." Zweitens führt das Internet als Zufluchtsort für alle Frustrierten lauter neue Möglichkeiten vor Augen. Die Menschen klicken sich durch Business-Netzwerke und sehen dort, wie der Schulkamerad Karriere macht oder dass der Kommilitone beim Branchenführer kreativ sein darf. Da beschleicht viele der Verdacht, sie seien dort, wo sie sind, fehl am Platz und woanders besser aufgehoben. Und drittens geht es heute im Beruf nicht mehr um den schlichten Austausch von Arbeitsleistung gegen Geld. Wir wollen uns selbstverwirklichen.

Volker Kitz

Volker Kitz: "Der Job, den Sie haben, ist der beste, den Sie kriegen können."

(Foto: Foto: Mareike Foecking)

sueddeutsche.de: Wenn jemand 50 oder 60 Stunden im Büro verbringt, ist es doch nicht zu viel verlangt, wenn er Freude am Beruf haben will?

Kitz: Richtig. Er sollte sein Glück aber nicht nur vom Beruf abhängig machen. Viele engagierte Mitarbeiter suchen ihren Lebenssinn allein im Job. Das kann nicht gutgehen.

sueddeutsche.de: In welchen Berufen ist der Frust denn besonders groß?

Kitz: Vor allem in den sinnstiftenden Berufen, in denen die Menschen angetreten sind, um zu helfen. Ein gutes Beispiel sind Ärzte und Lehrer. Sie starten mit großen Erwartungen - "Ich kann andere heilen" etwa - und stellen nach ein paar Jahren fest, dass die Rahmenbedingungen hart sind und der eigene Einfluss gering ist. Sie haben ihre Träume aus dem Studium nie an der Realität gemessen.

sueddeutsche.de: Woran erkenne ich, ob mein Jobfrust "normal" ist oder ob ich wirklich nach einer neuen Stelle suchen sollte?

Kitz: Ein Wechsel ist dann angezeigt, wenn jemand ein echtes Einzelfallproblem hat, wenn zum Beispiel aus normalen Reibereien mit Kollegen Mobbing wird. Ansonsten sollte man mit den Problemen umgehen lernen.

sueddeutsche.de: Wie funktioniert das?

Kitz: Es gibt psychologische Übungen, die die Zufriedenheit steigern. Wir raten zum Beispiel dazu, sich bewusst vor Augen zu führen, was man bereits erreicht hat. Das muss man schätzen lernen, ohne sich permanent zu fragen, ob das schon alles war. Das gelingt etwa dadurch, dass wir unser Unterbewusstsein mit Affirmationen, also mit positiven Aussagen programmieren.

sueddeutsche.de: Sind Sie zufrieden mit Ihrem Beruf?

Kitz: Jetzt ja. Ich habe schon manches ausprobiert und dabei gelernt, dass es überall die gleichen Sachen sind, die einen stören.

Volker Kitz, Jahrgang 1975, hat Jura und Psychologie studiert und danach Erfahrung in unterschiedlichen Jobs gesammelt, unter anderem als Lobbyist, Wissenschaftler, TV-Journalist, Drehbuchautor und Musiker. Heute arbeitet er als Anwalt und forscht am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München. Das "Frustjobkillerbuch - Warum es egal ist, für wen Sie arbeiten" (Campus Verlag 2008) verfasste er gemeinsam mit Manuel Tusch.

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