Fremdsprachen:Wie Sie im Akkord Vokabeln lernen können

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Im Vokabelkurs sitzen nur 40 Teilnehmer, mit seinen Gedächtnistrainings füllt Geisselhart auch schon mal Säle. Erschöpfte Zuhörer gibt es in beiden Fällen.

(Foto: Wolfgang List)

Jeder kann 400 Wörter am Tag lernen, behauptet Gedächtnistrainer Oliver Geisselhart. In seinen Seminaren erklärt er, wie es funktioniert.

Von Miriam Hoffmeyer

Ein Brathähnchen mit Griff. "Na, was ist das?" Oliver Geisselhart weist auf die Powerpoint-Folie. Ratloses Glotzen im Raum. "Das ist ein Hendl!", ruft Geisselhart. Während es in unseren Köpfen rattert (aha, Griff heißt handle), klickt er weiter zum nächsten Bild und verkündet: "Der Adler fängt den Igel!" Klick, weiter: "Auf der Bahre steht ein Bier!" Die Zeit drängt, denn das Versprechen dieses Seminars ist, dass man sich an einem einzigen Tag mehr als 400 Vokabeln merken soll. Mindestens jedenfalls 300 - sonst gibt es das Geld zurück. Nach den ersten 25 Bildern erscheinen zwei Listen mit den englischen Wörtern (eagle, bier) und der deutschen Übersetzung. "Meeegaaaa", ruft Geisselhart.

Gute Laune verbreiten, Aufmerksamkeit herbeizaubern, die Blicke auf sich ziehen - das ist die Kunst, die Oliver Geisselhart bis zur Perfektion beherrscht. Mit seiner schlagfertigen, leicht rotzigen Art könnte er Autos verkaufen (hat er auch mal) oder Fernsehshows moderieren. Stattdessen gibt er Seminare und schreibt Bücher über Gedächtnistraining.

An diesem Tag hält er in einem Hotel in Bad Vilbel sein erstes Vokabelseminar. Erschienen sind etwa 40 Teilnehmer, die meisten im mittleren Alter, ein paar Mütter haben ihre genervten Teenager mitgebracht. Viele Anwesende haben schon am Vortag Geisselharts "Brain Day" besucht und erzählen beim Mittagessen, was sie dort gelernt haben. Etwa wie man sich seine Geheimzahl bei der Bank merken kann: Zahlen werden mit Bildern verbunden, die Null ist ein Ei, die Eins eine Kerze und so weiter. Aus den Bildern bastelt man sich eine Geschichte, die im Gedächtnis bleibt.

"Am Abend war ich fix und fertig!", sagt Kerstin Reis, eine IT-Analytikerin aus Düsseldorf. Warum sie nun auch noch das Vokabelseminar macht? "Ich will mein Hirn einfach besser nutzen, meine Fantasie ein bisschen ankurbeln. Vielleicht ist es auch gut als Vorbeugung gegen Alzheimer."

Die Merktechnik mithilfe von Assoziationen hat ihren Ursprung im antiken Griechenland, populär wurde sie in der Nachkriegszeit in den USA. Oliver Geisselharts Onkel brachte sie dann nach Deutschland, schon 1983 - mit 16 Jahren - sprang sein Neffe als Seminarleiter für ihn ein, um schließlich nach einigen beruflichen Umwegen das Geschäft zu übernehmen.

Etwa 3000 Seminartage hat der Gedächtniskünstler nach eigener Schätzung auf dem Buckel. Mit dem Lernen von Vokabeln befasst er sich erst seit 2012. Damals begann er, gemeinsam mit dem Co-Autor Helmut Lange Bücher mit Titeln wie "Schieb das Schaf" oder "Wasch die Kuh" zu veröffentlichen. Im englischsprachigen Raum ist das Vokabellernen durch Assoziation mit ähnlich klingenden Wörtern der Muttersprache - die sogenannte Schlüsselwortmethode - schon viel länger verbreitet.

"Das war jetz' aber doch mal echt richtig cool!"

"Je bescheuerter die Assoziationen, die Bilder und Verknüpfungen sind, desto besser bleiben sie haften", versichert Geisselhart, ein bisschen "Schweinkram" dürfe ruhig dabei sei. Viel später am Tag will er uns die Vokabel "nude" denn auch mit dem Merksatz "Am Nackten sieht man die Nudel" einprägen, ein erschöpfter Zwölfjähriger in der ersten Reihe bricht in haltloses Kichern aus. Noch mal 25 Vokabeln. Und noch mal. Die nachmittägliche Kaffeepause muss verschoben werden, als wir gegen halb vier Uhr erst bei Nummer 297 angelangt sind ("hutch - die Kuh im Stall macht hatschi!"). Auch wenn man viele der Vokabeln schon kennt, brummt der Kopf, kein Bild will mehr hinein.

Vielen Teilnehmern geht es wie Kerstin Reis nicht so sehr darum, ihr Englisch zu verbessern, sondern um Gedächtnistraining allgemein. Das ist auch besser so, denn hier werden auch viele Basiswörter wie four, five, blue, little oder woman verbildert, deren Bedeutung sowieso jeder weiß. "Ich kannte schon vor dem Seminar mehr als die Hälfte der Vokabeln", schätzt der 16 Jahre alte Gymnasiast Tim aus Darmstadt. Beim Abfragen von zehn etwas schwierigeren Vokabeln ein paar Tage nach dem Seminar muss er passen. Nur drei davon kann er noch übersetzen. "Ich kann mich noch an viele Bilder erinnern, aber nicht mehr an die Wörter", sagt Tim.

Überhaupt hat das Memorieren über Bilder so seine Tücken: Auch wer noch einen "Ho ho ho" rufenden Weihnachtsmann im Kopf hat, kann leicht vergessen, was genau dieser auf dem Bild in der Hand hält (eine Hacke, englisch "hoe"). Auf diese Details aber kommt es an. Tim meint, insgesamt habe er im Seminar "vielleicht 50 bis 70" neue Wörter gelernt.

Werner Frank, Weiterbildungsfachmann in der Personalabteilung von BASF, hat sich die Hälfte der zehn abgefragten Vokabeln gemerkt, auch ihm fehlen die Wörter zu einigen Bildern. Er findet Geisselharts Mnemotechnik aber gut: "Ich wende die Methode schon länger an und kann mir damit die Namen meiner eigenen Seminarteilnehmer gut merken." Allerdings brauche man Übung, um sich zu jeder neuen Vokabel eigene Bilder und Assoziationen auszudenken, meint Frank: "Und man muss öfter wiederholen, sonst ist es weg. Aber das gilt wohl für jede Lernmethode."

Der Fremdsprachendidaktiker Professor Ludger Schiffler von der Freien Universität Berlin hält die Schlüsselwortmethode für einen sinnvollen Baustein beim Fremdsprachenlernen, seiner Ansicht nach sollte sie auch in der Schule verwendet werden. "Das Gedächtnis besteht aus Vernetzungen. Je mehr Gefühle, Assoziationen oder Erinnerungen wir mit einem Wort verbinden, desto leichter fällt dem Gehirn der Zugriff darauf", sagt Schiffler. Zugleich gibt er zu bedenken: "Es kommt nicht nur darauf an, Wörter zu behalten, sondern auch darauf, sie in verschiedenen Situationen anzuwenden." Ein Wort müsse immer in diversen Kontexten kennengelernt werden, ein einziges Bild genüge dafür nicht.

Außerdem müsse man berücksichtigen, dass es unterschiedliche Lerntypen gebe, die auf unterschiedliche Lerntechniken ansprächen: "Man muss sehr viel anbieten, damit sich jeder die Methode heraussuchen kann, die für ihn am besten ist." Deshalb hat Schiffler gerade eine Langzeitstudie mit Schülern gemacht, bei der Methoden kombiniert wurden: Zunächst wurden die Vokabeln mit dazu passenden Bewegungen wiederholt. Im zweiten Schritt sollten sich die Schüler entspannen und sich Situationen bildlich vorstellen, der Lehrer gab - ähnlich wie Geisselhart - ähnlich klingende Schlüsselwörter vor. Im dritten Schritt sagten sich die Schüler in Partnerarbeit die Vokabeln schnell vor. Auch nach zehn Monaten hatten die Schüler noch drei Viertel der Wörter behalten. Abwechslung auch in den Lernmethoden sei unerlässlich, meint Schiffler.

Wie wahr dieser Ausspruch ist, zeigt das Vokabelseminar in Bad Vilbel am besten. Als er sich zu Vokabel Nummer 411 durchgearbeitet hat, hat selbst der begnadete Alleinunterhalter Geisselhart einiges an Energie eingebüßt. "Das war jetz' aber doch mal echt richtig cool!", steht auf der letzten Folie. Und auf der allerletzten: "Das empfehl' ich weiter, versprochen!" Na ja - mit Einschränkungen.

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