Frauen in der Architektur:Die Gattin des Genies

Regina Dahmen-Ingenhoven

Regina Dahmen-Ingenhoven in ihrem Garten: "Wenn Sie glauben, man könnte wirklich beides haben, viele Kinder, eine große Familie - und zugleich enorme Ambitionen im Beruf ausleben: Das ist eine Illusion."

(Foto: Sabrina Weniger)

Warum gibt es so absurd wenig berühmte Architektinnen? Davon erzählt die Geschichte von Christoph Ingenhoven und Regina Dahmen-Ingenhoven.

Von Gerhard Matzig

Da ist es, ein kleines Zögern, ein flirrendes Innehalten. Schon ist es weg. "Nein", sagt Regina Dahmen-Ingenhoven mit fester Stimme, "ich bedaure meine Entscheidung nicht." Nämlich die Entscheidung für die Kinder - und gegen die Karriere.

In Düsseldorf arbeitet die Architektin in dem von ihr gegründeten Designstudio mitten im sogenannten Medienhafen. Die Lage fast unmittelbar am Rhein, Kaistraße 12, wo alles fließt, mag einem auch jene Gelassenheit vermitteln, eine Entscheidung eine Entscheidung sein zu lassen. "Klar", sagt sie, "ich habe auch einen gewissen Preis dafür gezahlt. Aber wenn Sie glauben, man könnte wirklich beides haben, viele Kinder, eine große Familie - und zugleich enorme Ambitionen im Beruf ausleben: Das ist eine Illusion." Das stimmt, zumindest für eine Architektin. Für einen Architekten stimmt es nicht.

Es gibt dazu Zahlen. Davon gleich mehr, denn zuvor ist hier die Geschichte der Ingenhovens zu erzählen, weil sie so typisch ist. Vielleicht sollte man schon vorneweg wissen: Regina Dahmen-Ingenhoven, 54 Jahre alt, und der zwei Jahre ältere Christoph Ingenhoven, sind seit drei Jahren geschieden. Beide sind namhafte Architekten. Ein Dream-Team am Bau. Kennengelernt haben sie sich in Aachen im Studium. Er war einer der besten Studenten. Sie war eine der besten Studentinnen. Dann kam die Liebe, dann kamen die fünf Kinder, heute zwischen 15 und 28 Jahre alt, es kam die Karriere, nämlich der Aufbau des heute in aller Welt bekannten, 80 Mitarbeiter umfassenden Büros Ingenhoven Architects. Dann kam die Scheidung.

Sie ist zufrieden. Und doch ...

Heute, im Medienhafen, hat Regina Dahmen-Ingenhoven vier feste Mitarbeiter. Derzeit erarbeitet sie für das Münchner Modeunternehmen Allude ein ganzheitliches Gestaltungskonzept. Sie hat Apotheken eingerichtet, eine Kinderarztpraxis entworfen, Showrooms inszeniert. Doch, ja, die promovierte Architektin, die im Studienfach "Entwurf" nie eine andere Note als "1,0" erzielte, arbeitet erfolgreich und anerkannt als Architektin. Mit einem kleinen Büro, das nur einen männlichen Mitarbeiter und somit eine, wie Regina Dahmen-Ingenhoven nicht ohne Ironie anmerkt, "sagenhafte Frauenquote von 75 Prozent aufweist". Es geht ihr also gut. Sie ist zufrieden. Und doch ...

Wie soll man das jetzt sagen? Das Büro ihres geschiedenen Mannes, auch im Medienhafen gelegen, keinen Steinwurf entfernt vom Designstudio der Frau, ist berühmt. Ingenhoven Architects bauen in Sydney und Helsinki, in Jerusalem und Tokio. Christoph Ingenhoven ist einer der wenigen deutschen Architekten, der sich international durchsetzen konnte. Er ist ein Pionier energieeffizienter, kluger und fortschrittlicher Architektur, die nicht als Jute-statt-Plastik-Tasche rüberkommt, sondern aufregend schön ist. Er ist der Verfasser des berühmten, auch berüchtigten Stuttgart-21-Projekts und der Architekt vieler bekannter Gebäude.

Er hat ein großes Büro, sie eines mit großer Frauenquote

Man darf wohl sagen: Er hat fünf Kinder und ist ein berühmter Architekt - sie hat fünf Kinder und ist, genau: eine Architektin. Er hat sich um das Büro gekümmert (und um die Familie), sie hat sich um die Familie gekümmert (und um das Büro).

Und jetzt? Jetzt sind sie getrennt und haben jeweils ihre Büros. Er ein sehr großes. Sie eines mit großer Frauenquote, das eher klein ist. Und nein, keiner der beiden Ingenhovens würde über den anderen Ingenhoven ein böses Wort sagen. Sie sagt vielmehr: "Wir hatten eine klassische Arbeitsteilung, von Anfang an. Und ich habe das auch so gewollt. Als Mutter habe ich andere Prioritäten gesetzt. Für mich war und ist die Erziehung meiner Kinder eben auch eine sehr schöne und wichtige Form der Selbstverwirklichung." Also alles gut? Fast.

Tatsache ist, dass Frauen in planenden Berufen benachteiligt sind. Nach einer Erhebung der Bundesarchitektenkammer vom Januar 2016 beträgt der Anteil von Frauen im Bereich freischaffender Hochbauarchitekten gerade einmal knapp 22 Prozent. Unter gewerblich tätigen Stadtplanern sind es sogar nur neun Prozent. Das ist absurd, denn es gibt mehr Architekturstudentinnen (2013: 55 Prozent) als Architekturstudenten. Und es ist kein Geheimnis, dass Frauen die insgesamt besseren Zensuren erzielen. Von mehr und besser ausgebildeten Architektinnen bleiben also auf dem Weg durch den Berufsalltag nur sehr wenige Frauen übrig, die es in ihrem Beruf an die Spitze oder zu einem eigenen Büro schaffen.

"Viele Frauen sind gute Teamplayer, aber schlechte Egomanen"

Architektinnen verdienen im Schnitt daher 30 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Und was die Berufspolitik angeht: Unter den 16 Präsidenten der Länderarchitektenkammern befinden sich drei Frauen. Die Lehre? An der ETH Zürich - es ist eine der namhaftesten Architektenausbildungsstätten der Welt - sind nur wenige Lehrstühle von Frauen besetzt. Nicht anders sieht es bei den Designerinnen und Designern aus. Im Juni vergangenen Jahres waren unter den 81 "Best of the Best"-Preisträgern des renommierten Red Dot Awards wie viele Frauen? Eine.

In einer Studie heißt es: "Viele Frauen sind gute Teamplayer, aber schlechte Egomanen." Die im Frühjahr verstorbene britische Architektin Zaha Hadid, eine von zwei Frauen, die je den Pritzker-Preis, eine Art Nobelpreis der Architektur, errungen haben, meinte einmal im Interview: "Es gibt einfach Berufe, in die Frauen nicht so gut reinkommen. Keine Ahnung, was männliche Architekten mit ihren Kunden machen - golfen, segeln, ein paar Drinks an der Bar? Echt, keine Ahnung." Hadid wirkte, als sie das sagte, etwas gelangweilt. Vermutlich, weil die Vorstellung von den Deals an der Bar unter Männern ein langweiliges Klischee ist. Also eines, das stimmt.

Dominanz am Bau

Ist es also die Bar, die den Unterschied macht, siehe Hadid? Oder der Kinderwunsch, siehe Ingenhoven? Ist der Beruf am Ende per se "männlich"? Er ist zumindest nicht besonders familiengerecht. Die 38,5-Stunden-Woche ist nicht die Regel in den Architekturbüros. Nachtschichten dagegen schon.

Es kommt aber wohl noch etwas gravierend anderes hinzu: Architekten sind nach einem klassischen Berufsverständnis immer auch Selbstdarsteller. Schon der französische "Revolutionsarchitekt" Claude-Nicolas Ledoux (1736-1806) meinte, Architekten seien die "Rivalen des Schöpfers" beziehungsweise die "Titanen der Erde". Die ersten "Stararchitekten" der Moderne, Frank Lloyd Wright am Beginn und Le Corbusier Mitte des 20. Jahrhunderts inszenierten sich in dieser Tradition ganz bewusst als geniale Künstler. Als Wright einmal bei einem Prozess als Zeuge befragt wurde und Namen und Beruf angeben sollte, gab er zu Protokoll: "Ich heiße Frank Lloyd Wright und bin der bedeutsamste Architekt aller Zeiten." Später meinte er, er hätte nichts anderes sagen können - denn: "Ich stand ja unter Eid."

Bescheidenheit gehört möglicherweise nicht zu den wichtigsten Tugenden am Bau. Frank Lloyd Wright entwarf ein Hochhaus mit atomgetriebenen Aufzügen. Le Corbusier wollte die halbe Altstadt von Paris abreißen lassen. Und der vor zwei Jahren verstorbene österreichische Architekt Hans Hollein skizzierte ein Hochhaus in Form eines erigierten Phallus.

Auch als Architektin in der Küche am besten aufgehoben

Die Baugeschichte ist voller Frauen, die sich nur sehr mühsam durchsetzen konnten. Margarete Schütte-Lihotzky etwa (1897-2000). Sie war die erste Architektin, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hat. Wofür wurde sie bekannt? Für den Entwurf der "Frankfurter Küche". Man fand wohl, dass auch eine Architektin in der Küche noch am besten aufgehoben wäre. Im Interview erzählte sie einmal, dass es weder eine "männliche" noch eine "weibliche" Form der Architektur gäbe. Es gäbe aber eine männliche Dominanz am Bau und in den Büros. Frauen würden sich da noch weitere 100 Jahre schwertun. "Ich glaube", sagte sie, "die Gleichberechtigung in der Architektur erlebe ich nicht mehr."

Das galt auch für die Designerin Lilly Reich, die die erste Frau im Vorstand des Deutschen Werkbundes wurde. Ab 1926 arbeitete und lebte sie mit Ludwig Mies van der Rohe zusammen. Kongenial war sie sowohl am Barcelona-Pavillon wie am Bau der Villa Tugendhat beteiligt. Beides sind Ikonen der Moderne. Und beide Bauten schreibt man eindeutig Mies zu. Übrigens hieß er ursprünglich Ludwig Mies. Aus Gründen des Images schmückte er sich später mit dem Geburtsnamen der Mutter (Rohe) und adelte sich gleich mal selbst. Was ihn aber auch nicht daran hinderte, die bedeutsamste Sentenz der Architekturgeschichte zu definieren: "Weniger ist mehr".

"Du kannst nicht alles haben"

Was die Karriere in der Architektur angeht: Da ist mehr Selbstbewusstsein mehr. Man könnte jetzt noch erzählen, wie überaus erbärmlich sich Le Corbusier gegenüber seiner Kollegin Eileen Gray verhielt, deren Haus er während ihrer Abwesenheit und ausdrücklich gegen ihren Willen mit fünf großen Wandgemälden ausmalte, und das auch noch nackt - als müsste er sein Revier markieren.

Am Ende ist es so, wie das Regina Dahmen-Ingenhoven formuliert: "Du kannst nicht alles haben." Viele großartig begabte Architektinnen verzichten auf die ganz großen Erfolge, auf die kühnsten Hochhäuser und spektakulärsten Museen. Sie kümmern sich nicht um ihr Image, sondern um die Familie. Und andere Architektinnen und Designerinnen, die sich durchgesetzt haben und heute namhafte Büros führen, es gibt sie natürlich, konnten zwar viele wunderbare Häuser, aber keine Familie aufbauen. In Liza Marklunds Kriminalroman "Olympisches Feuer" arbeitet eine begabte Architektin am Bau des Olympiastadions. Sie kann sich in der Männerwelt am Bau nicht durchsetzen, daher ist sie frustriert - und bringt ein paar Kollegen um, bevor sie das Stadion in die Luft jagt. Das sollte einem eine Lehre sein.

Regina Dahmen-Ingenhoven übrigens träumt von einer Welt, in der Männer und Frauen in vollkommener Harmonie ein Ganzes bilden. Auch in der Architektur. Alles andere sei zu wenig. Vielleicht sind Frauen ja doch die radikaleren Utopisten.

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