Frage an den SZ-Jobcoach:Taugt ein sozial inkompetenter Mitarbeiter zur Führungskraft?

Max G. muss in seinem Unternehmen eine Abteilungsleiterstelle neu besetzen, der erfolgreichste Mitarbeiter hat aber ein ausbaufähiges Sozialverhalten.

SZ-Leser Max G., 48, fragt:

In meinem Unternehmen hat ein engagierter Abteilungsleiter, dessen fachliche Kompetenz und menschliches Einfühlungsvermögen ich sehr schätze, angekündigt, dass er in zwei Jahren das Unternehmen verlassen wird, um sich selbständig zu machen. Ein Mitarbeiter aus seinem Team hat sich auf die Führungsposition beworben. Fachlich bringt er dafür die Voraussetzungen mit, und seine finanzielle Performance ist die beste aller Mitarbeiter. Allerdings ist er ein rein zahlengetriebener Mensch. Gefühle blendet er aus - bei sich und bei anderen. Sein Sozialverhalten erscheint mir - vorsichtig ausgedrückt - ausbaufähig. Deshalb sehe ich ihn nur bedingt geeignet für eine leitende Position. Er ist sehr ehrgeizig, traut sich die Aufgabe zu und will an Weiterbildungen in emotionaler Intelligenz teilnehmen, um "auch im Umgang mit Mitarbeitern den letzten Schliff" zu bekommen, wie er sagt. Einerseits verzichte ich nur ungern auf seine fachlichen Qualitäten, andererseits befürchte ich, dass das Betriebsklima in der Abteilung leiden wird.

Georg Kaiser antwortet:

Lieber Herr G., Ihr Unbehagen kann ich nachvollziehen. Nicht, weil ich bezweifle, dass ein Mensch in Fortbildungen seine emotionale und soziale Kompetenz weiterentwickeln kann, sondern weil das Motiv Ihres Mitarbeiters ungeeignet ist, um in kritischen Situationen Fingerspitzengefühl im Umgang mit Mitarbeitern zu entwickeln. Sein Antrieb fußt auf seinem Ehrgeiz und dem Glauben, sich technische Vorgehensweisen aneignen zu können, die er nur anwenden muss, um persönlich gut rüberzukommen und Mitmenschlichkeit zu erzeugen. Er will seine "Performance" im Umgang mit Menschen mit der gleichen operationalen Haltung optimieren, mit der er finanzielle und fachliche Ziele verfolgt.

Der SZ-Jobcoach

Georg Kaiser arbeitet als Wirtschaftsmediator, Managementtrainer, Coach, Supervisor und Gestalttherapeut in Bremen.

Dabei entgeht ihm, worauf es beim Sozialverhalten ankommt: seine Mitmenschen in ihren Wünschen, Gefühlen und Bedürfnissen wahrzunehmen, gerade auch dann, wenn das den eigenen operationalen Zielen zuwiderläuft. Erst wenn es ihm gelingt, diese beiden Sichtweisen - die mitmenschliche und die zielorientiert-operationale - gleichermaßen im Auge zu behalten und im Rahmen des jeweils vorgegebenen Kontextes nach Lösungen zu suchen, die beides enthalten, wird er als fachlich und menschlich integer wahrgenommen werden. Mitarbeiter haben ein feines Gespür dafür, ob sie über ihre fachlichen Leistungen hinaus auch als Menschen gesehen und wertgeschätzt werden. Ihre Zufriedenheit und ihre langfristige Motivation hängen davon ab.

Ein entwickeltes Sozialverhalten ist keinem Menschen in die Wiege gelegt. Er erlernt es im Laufe seines Lebens. Und deshalb lässt es sich auch gezielt in Seminaren weiter ausbauen. Voraussetzung sind aber ein vitales Interesse, seine Mitmenschen besser zu verstehen, und das Bedürfnis nach gelingenden sozialen Kontakten. Der Fokus liegt auf der Beziehungsgestaltung - und nicht auf der Selbstoptimierung. Primär geht es darum, sich einzulassen, und nicht um die Steuerung von Verhaltensweisen.

Um zu klären, ob Ihr Mitarbeiter in Seminaren sein Sozialverhalten entwickeln kann, sprechen Sie ausführlich mit ihm über seine Motive. Hat er ein echtes Interesse an seinen Mitmenschen? Geht es ihm um Verständnis, Kontakt, Beziehung? Entwickelt er ein Gespür für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und Gefühle? Das ist die Basis, um in der Begegnung mit dem jeweiligen Gegenüber in Resonanz treten zu können zu dessen Bedürfnissen und Gefühlen. In dem Maße, wie er sich für derartige Erfahrungen und Begegnungen öffnet, kann er sein Sozialverhalten entwickeln. Dann kann auch sein Ehrgeiz förderlich sein und er kann - vorausgesetzt, er praktiziert im Alltag, was er im Seminar erfahren hat - Dinge lernen, die ihm vorher kaum jemand zugetraut hätte. Innerhalb von einem Jahr müsste eine solche Entwicklung klar zu erkennen sein.

Wenn Sie in dem klärenden Gespräch den Eindruck bekommen, dass er ernsthaft an der Entwicklung seiner sozialen Kompetenz arbeiten will, können Sie mit ihm vereinbaren, dass Sie in einem Jahr entscheiden werden, wie die Abteilungsleiterstelle besetzt wird. Erreicht er, was er sich vorgenommen hat, ist er die erste Wahl. Lässt sein Sozialverhalten weiter zu wünschen übrig, haben Sie ein weiteres Jahr Zeit, einen guten Abteilungsleiter zu finden.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

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