Frage an den SZ-Jobcoach:Wie riskant ist eine akademische Karriere?

SZ-Leser Andreas J. hat großes Interesse an Politikwissenschaft und Soziologie. Dennoch ist er sich unsicher, ob er sich ganz auf eine Karriere in der Wissenschaft konzentrieren soll.

SZ-Leser Andreas J. fragt:

Ich studiere Politikwissenschaft und Soziologie mit großem Interesse an theoretischen Zugängen und bin in diesem Bereich gut aufgehoben, so jedenfalls die Rückmeldung meiner Professoren. Das Verfolgen einer akademischen Karriere bietet sich also an. Doch das bedeutet jahrelange Forschungsarbeit, bevor man irgendwann im Alter zwischen 35 und 50 Jahren erahnen kann, ob man aufs richtige Pferd gesetzt hat. Ich frage mich, wie es späteren potenziellen Arbeitgebern zu vermitteln ist, wenn man dann doch den Absprung aus der Wissenschaft versucht? Und hält man dann überhaupt etwas in den Händen, was die Chancen auf einen Arbeitsplatz steigert?

Christine Demmer antwortet:

Lieber Herr J., in einer Hinsicht können Sie ganz beruhigt sein: Wenn Sie nicht soeben erst die dreißig überschritten haben, dann werden Sie unter Garantie vor Ihrem 35. Lebensjahr wissen, ob Sie mit der Hochschullaufbahn aufs falsche Pferd gesetzt haben. Je nachdem, was Sie darunter verstehen, könnten Sie die Höhe Ihres Einkommens, das Tempo Ihres Fortkommens oder die Schwierigkeit des Entkommens aus dem Wissenschaftsbetrieb beklagen. Eines aber ganz sicher nicht: dass Sie bis dahin alle Ihnen zur Verfügung stehenden Bildungsoptionen ausgeschöpft haben.

Der SZ-Jobcoach

Christine Demmer arbeitet als Wirtschaftsjournalistin. Sie ist Managementberaterin, Coach und Autorin zahlreicher Sachbücher.

Im Wissenschaftsbetrieb können Sie Ihre persönliche Leistungsgrenze und Ihre eventuelle Schmerzgrenze erkunden. Damit ist nicht gesagt, dass Sie an die eine oder andere stoßen müssen. Aber wenn, dann ziehen Sie bitte frühzeitig die Reißleine und sitzen den Frust nicht auf einem Lehrstuhl aus. Das wäre unfair gegenüber den Studierenden, dem Fachbereich und dem Steuerzahler.

Wann "frühzeitig" ist? Das kommt darauf an. Für die Promotion sollten Sie nicht mehr als fünf Jahre veranschlagen. Grübeln Sie dann noch über der Struktur der Doktorarbeit, dann machen Sie ihr ein schnelles Ende und sagen dem potenziellen Arbeitgeber aus dem nichtuniversitären Bereich schlicht die Wahrheit: Sie haben sich verzettelt, vergaloppiert, tot recherchiert, sind vom Hundertsten aufs Tausendste gekommen und deshalb, aber das wissen Sie erst jetzt, kein Mann der Wissenschaft. Im Falle des Falles verhilft Ihnen Ihr Doktorvater hoffentlich zu einer früheren Einsicht.

Für die Phase bis zur abgeschlossenen Habilitation gilt sinngemäß das Gleiche. Aber angenommen, alles klappt bestens, Sie sind eines nahen Tages ein ordentlicher Professor und Ihnen fällt dann erst ein, dass Sie keine Lust mehr auf Forschung und Lehre haben. Sagen wir: mit Ende vierzig. Bis dahin sollten Sie längst ein solides Netzwerk aus Kontakten in Wissenschaft und Wirtschaft geknüpft und interessante Absprungmöglichkeiten eruiert haben.

Behörden, Verbände und Konzerne haben gern den einen oder anderen echten Professor in ihren Reihen. Selbst wenn der ein Emeritus ist. Was Sie dann in Händen halten? Ihre Ausbildung, profunde Kenntnisse der aktuellen Forschung, Erfahrung in der Lehre und eventuell in der Führung eines Lehrstuhls sowie zwei akademische Titel. Das wird reichen.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

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