Frage an den SZ-Jobcoach:Gilt Kündigungsschutz auch bei künstlicher Befruchtung?

Katja M. denkt über eine künstliche Befruchtung nach. Aber von wann an gilt für sie dann der Kündigungsschutz? In ihrem Unternehmen stehen nämlich Stellenkürzungen bevor.

SZ-Leserin Katja M. fragt:

In unserem Unternehmen stehen Stellenkürzungen an. Ich fürchte, dass die neuerliche Kündigungswelle auch mich treffen könnte. Privat befinde ich mich momentan in einer schwierigen Situation. Mein Mann und ich versuchen seit langer Zeit, ein Kind zu bekommen. Nun möchten wir einen neuen Versuch mit einer In-vitro-Fertilisation wagen. In der Firma habe ich bislang mit niemandem darüber gesprochen. Eine Kündigung käme mir aber gerade in dieser Phase sehr ungelegen und würde mich sicher psychisch belasten. Kann ich mich in irgendeiner Weise vor einer Entlassung schützen? Und ab welchem Zeitpunkt greift der Kündigungsschutz für Schwangere bei einer künstlichen Befruchtung?

Ina Reinsch antwortet:

Liebe Frau M., im Vorfeld Ihrer geplanten Schwangerschaft besteht leider kein Schutz vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, auch wenn die Situation, in der Sie sich befinden, für Sie aus nachvollziehbaren Gründen sehr belastend ist. Sie werden vom Arbeitsrecht hier nicht anders behandelt als andere Frauen mit einem Kinderwunsch auch. Besonderen Kündigungsschutz genießen in Deutschland nur Arbeitnehmergruppen, die der Gesetzgeber für besonders schutzbedürftig hält. Dazu zählen unter anderem Schwangere, Mütter nach der Entbindung und Personen, die Elternzeit in Anspruch nehmen, nicht aber Frauen mit Kinderwunsch.

Der SZ-Jobcoach

Ina Reinsch lebt als Rechtsanwältin, Autorin und Referentin in München und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.

Nach Paragraf 9 des Mutterschutzgesetzes besteht während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ein Kündigungsverbot. Voraussetzung dafür ist, dass der Chef bei Ausspruch der Kündigung von der Schwangerschaft oder Entbindung weiß oder innerhalb von zwei Wochen darüber informiert wird. Kann die Mitarbeiterin aus unverschuldeten Gründen erst später Bescheid geben, etwa weil sie im Krankenhaus liegt oder selbst noch ahnungslos ist, geht das auch in Ordnung, allerdings muss sie den Arbeitgeber dann unverzüglich informieren.

Auf die Größe des Unternehmens kommt es dabei nicht an. Der besondere Kündigungsschutz gilt sowohl in Kleinbetrieben mit bis zu zehn Mitarbeitern als auch in größeren Firmen, für die das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist. Selbst in der Probezeit ist eine Mitarbeiterin bereits geschützt. Trotzdem kann der Arbeitgeber auch einer Schwangeren ganz ausnahmsweise kündigen, beispielsweise dann, wenn sie in die Firmenkasse gegriffen hat. Der Chef benötigt dafür allerdings die Zustimmung des Integrationsamtes.

Der Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes beginnt mit dem ersten Tag der Schwangerschaft. Wann genau das ist, sagt das Gesetz allerdings nicht. Dabei ist die Feststellung des Beginns extrem wichtig. Denn eine erst nach dem Zugang der Kündigung eingetretene Schwangerschaft schützt die Frau nicht, selbst dann nicht, wenn es sich um einen einzigen Tag handeln sollte. Steht der Zeitpunkt der Befruchtung nicht zweifelsfrei fest, wird nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei einer natürlichen Empfängnis die sogenannte Rückrechnungsmethode angewendet und vom ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgezählt.

Medizinisch gesehen landet man damit beim ersten Tag der letzten Menstruation und bezieht somit auch Tage ein, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist. Die Rechtsprechung nimmt diese Ungenauigkeit in Kauf, um zu gewährleisten, dass jede werdende Mutter den Schutz des Mutterschutzgesetzes in Anspruch nehmen kann - es sei denn, es lässt sich tatsächlich darlegen und beweisen, dass die Befruchtung zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden hat.

Bei einer In-vitro-Fertilisation muss man allerdings genauer hinsehen. Beginnt die Schwangerschaft hier bereits mit dem Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle im Labor, mit dem Einsetzen der befruchteten Eizelle oder erst, wenn sich die Eizelle in der Gebärmutter eingenistet hat? Dem frühesten Zeitpunkt, der Befruchtung der Eizelle, hat bereits der Europäische Gerichtshof eine Absage erteilt. Das erscheint plausibel, denn anderenfalls könnte sich eine Frau durch künstliche Befruchtung von Eizellen und deren anschließender Aufbewahrung unter Umständen über mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz berufen.

Das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen klargestellt, dass es im deutschen Recht auf den Zeitpunkt des Einsetzens der befruchteten Eizelle ankommt und nicht erst auf die Einnistung (26.03.2015, Az: 2 AZR 237/14). Spätestens dann ist nämlich ein Zustand erreicht, der demjenigen der natürlichen Empfängnis entspricht. Auch hier beginnt die Schwangerschaft mit der Befruchtung und nicht erst mit der Einnistung der Eizelle. Das deckt sich mit dem Zweck des Mutterschutzgesetzes, das schwangere Frauen vor den psychischen und physischen Folgen einer Kündigung schützen will.

Haben Sie auch eine Frage zu Berufswahl, Bewerbung, Arbeitsrecht, Etikette oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten wählen einzelne Fragen aus und beantworten sie im Wechsel. Ihr Brief wird komplett anonymisiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: