Frage an den SZ-Jobcoach:Darf die Chefin kranke Mitarbeiter anrufen?

Chefin Anna B. ärgert sich über eine Mitarbeiterin, weil diese sie nicht persönlich über eine Krankheit informiert hat. Auf dringende Mails reagiert die Mitarbeiterin nicht - ist die Vorgesetzte jetzt berechtigt, ihre private Telefonnummer zu erfragen? Der SZ-Jobcoach weiß Rat.

SZ-Leserin Anna B. fragt:

Ich bin Abteilungsleiterin im öffentlichen Dienst. Einer meiner Mitarbeiter reichte zweimal hintereinander Krankmeldungen für insgesamt fünf Wochen ein, ohne mir persönlich Bescheid zu geben oder mich über die Hintergründe in Kenntnis zu setzen. In dieser Zeit trat in seinem Aufgabenbereich ein ernstes Problem auf, weswegen ich wissen wollte, ob er nach Ablauf der fünf Wochen wieder arbeitsfähig sein würde. Auf eine Mail erhielt ich keine Antwort. Auf die Frage nach seiner privaten Telefonnummer wurde mir gesagt, dass ich als Chefin nicht das Recht hätte, einen krankgeschriebenen Mitarbeiter zu Hause anzurufen. Ist das richtig?

Ina Reinsch antwortet:

Liebe Frau B., Sie sind verärgert, dass Ihr Mitarbeiter Sie nicht persönlich informiert hat. Vielleicht werten Sie es als mangelndes Vertrauen oder gar als eine Art Verweigerungshaltung. Doch der Mitarbeiter hat möglicherweise Gründe dafür. Schwere Krankheiten, psychische Probleme oder familiäre Schicksalsschläge können eine Krankschreibung bedingen. Aber auch eine Grippe oder ein komplizierter Bruch können zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit führen. Nicht jeder möchte darüber sprechen. Das ist nicht nur menschlich nachvollziehbar, sondern auch juristisch korrekt.

Ist der Mitarbeiter krank, muss er dem Arbeitgeber natürlich unverzüglich Bescheid geben, möglichst noch vor Arbeitsbeginn. In vielen Fällen regeln interne Richtlinien, ob die Krankmeldung an die Personalabteilung oder direkt an den Vorgesetzten gehen soll. Auch in vielen Arbeitsverträgen sind entsprechende Vorgaben enthalten. Eine spezielle Form ist in der Regel nicht vorgeschrieben; der Mitarbeiter kann frei wählen, ob er anruft, ein Fax oder eine E-Mail schickt. Wer schon am Morgen des ersten Krankheitstages eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Händen hält, darf auch diese gleich einreichen. Wichtig ist nur, dass der Arbeitgeber rechtzeitig informiert ist.

Persönlich anrufen muss also niemand. Auch den Grund der Erkrankung muss der Mitarbeiter nicht nennen. Der Chef hat in der Regel keinen Anspruch auf Offenlegung der ärztlichen Diagnose. Die ist auch in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht enthalten.

Wann Sie einen Arbeitnehmer zu Hause anrufen dürfen, hängt von der Regelung im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ab. Dort kann festlegt sein, in welchem Umfang ein Beschäftigter auch außerhalb der Arbeitszeit telefonisch oder per Mail erreichbar sein muss. Macht der Chef davon Gebrauch, fallen für Mitarbeiter allerdings Überstunden an, die in der Regel bezahlt oder ausgeglichen werden müssen. Die Grenzen der außerdienstlichen Erreichbarkeit liegen im geltenden Arbeitszeitrecht. Darüber hinaus ist ein Anruf des Chefs natürlich in Notfällen erlaubt.

Im Ihrem Fall müssen Sie aber bedenken, dass Ihr Mitarbeiter nicht arbeitsfähig ist. Da der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten hat, halte ich es nicht für angebracht, bei Krankheit fachliche Fragen zu erörtern oder gar Arbeitseinsatz zu verlangen. Allerdings sind Situationen denkbar, in denen trotz Krankheit berufliche Anrufe legitim sind. Zum Beispiel dann, wenn Sie dringend Informationen brauchen, über die nur der Mitarbeiter verfügt und ohne die der Betrieb nicht weiter laufen kann.

Es liegt zudem in der Natur der Sache, dass der Genesungsprozess nur eine Prognose zulässt. Deshalb ist in § 5 Absatz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes geregelt, dass der Arbeitnehmer nur die "voraussichtliche" Dauer seiner Erkrankung mitteilen muss. Auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spricht von "voraussichtlich". Diese Prognose kann zutreffen - oder auch nicht. Mehr muss Ihnen der Mitarbeiter nicht mitteilen.

Natürlich ist es Ihnen als Chef nicht verwehrt, sich per Telefon oder Mail nach dem Befinden des Mitarbeiters zu erkundigen und ihm gute Besserung zu wünschen. Aber bitte ohne Ausforschungsfragen.

Ina Reinsch hat Rechtswissenschaft in München und Zürich studiert. Heute lebt sie als Rechtsanwältin, freie Journalistin, Buchautorin und Referentin in München und befasst sich mit dem Thema Arbeitsrecht.

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