Frage an den SZ-Jobcoach:Bin ich nicht skrupellos genug für meine Arbeit?

Lesezeit: 2 min

In der Pharmabranche gilt: Produktverkauf vor Patientenwohl. (Symbolbild) (Foto: Matthias Hiekel/dpa)

Anne-Kathrin S. arbeitet als Pharmaberaterin. Weil für sie das Wohl der Patienten vor dem Geschäftsabschluss kommt, gehört sie nicht zu den Topverkäufern im Außendienst. Soll sie deshalb den Job wechseln?

SZ-Leserin Anne-Kathrin S. fragt:

Ich bin Diplom-Biologin und arbeite als Pharmaberaterin im Bereich multiple Sklerose. Vor sechs Jahren habe ich meine Doktorarbeit abgebrochen, weil ich seit dem Tod meines Vaters die Familie finanziell unterstützen muss. Die Arbeit gefällt mir, ich knüpfe gerne Kontakte, organisiere Veranstaltungen und versuche, die Probleme der Kunden zu lösen. Aber ich gehöre nicht zu den Topverkäufern im Außendienst. Denn leider spielt in meinem Job das Wohl des Patienten nicht die erste Rolle, sondern der Verkauf. Eine Entwicklung, die mir nicht gefällt. Soll ich umschulen?

Christine Demmer antwortet:

Liebe Frau S., um mit der Tür ins Haus zu fallen: Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Sie umschulen sollen oder nicht. Ich weiß ja nicht, wie sehr Sie unter dem Verkaufsdruck leiden, der Ihnen und Ihren Kollegen auferlegt wird. Ursprünglich haben Sie den Job offenbar vor allem wegen des hohen erzielbaren Einkommens angenommen. Heute macht er Ihnen sogar Spaß, was als Antwort "Nein" auf die Frage nach einem Berufswechsel nahelegt. Für ein "Ja" sprechen ethisch-moralische Bedenken. Sie allein wissen, auf welcher Seite sich die Waage stärker neigt.

Achten Sie auf körperliche Symptome. Gehen Ihnen die Schicksale der Patienten allzu sehr ans Herz? Können Sie nicht mehr ruhig schlafen? Fühlen Sie sich gestresst, wenn Sie etwas empfehlen sollen, hinter dem Sie selbst nicht stehen können? Solche Beeinträchtigungen legten einen Berufswechsel nahe.

Oder spricht aus Ihnen eher eine abstrakt-moralische Empörung, für die Sie als Biologin hieb- und stichfeste Argumente ins Feld führen können? Dann tun Sie es doch. Reden Sie mit dem Management über Ihre Bedenken und versuchen Sie, etwas zu verändern. Am größten sind Ihre Chancen, wenn Sie gemeinsam mit anderen Kollegen den Finger heben.

Es soll vorgekommen sein, dass protestierende Mitarbeiter die Firmenpolitik gedreht haben. Weitaus öfter allerdings waren sie nach dem Aufstand ihren Job los.

Machen Sie sich nichts vor: Bei jeder Vertriebstätigkeit, ob Medikamente, Mietwagen oder Matratzen, geht es zuallererst um die Ergebnisse. Schließlich leben Unternehmen vom Absatz ihrer Produkte oder Dienstleistungen, und nur daran werden die damit beauftragten Mitarbeiter gemessen.

Ob Sie Kunden gut, sehr gut oder hervorragend beraten, spielt nur in einer Beziehung eine Rolle: Der Theorie zufolge kaufen zufriedene und inhaltlich überzeugte Kunden mehr als solche, die sich nicht gut betreut fühlen. Wenn Sie wirklich Probleme Ihrer Kunden lösen, müssten Ihre Umsatzzahlen folglich durch die Decke schießen. Das tun sie aber nicht. Also stimmt die Theorie nicht oder Sie machen irgendetwas anders als Topverkäufer.

Beobachten Sie doch mal Ihre umsatzstarken Kollegen: Wie gehen die vor? Schwatzen sie Kunden hemmungslos die teuersten Produkte auf? Machen sie sich weniger Gedanken über den Sinn der Arbeit als Sie? Sehen sich die zuerst als Verkäufer und danach als Mediziner, Biologen oder Apotheker? Wenn Sie den Unterschied herausgefunden haben, überlegen Sie, ob Sie eine pragmatische Sichtweise an den Tag legen und mit etwas weniger Skrupel auch so sein könnten. Ja, ich weiß, dass Sie nicht so sein wollen. Aber könnten Sie es?

Wenn Sie es nicht können, sind Sie vielleicht eine gute Biologin, aber keine gute Verkäuferin. Suchen Sie sich ein anderes Berufsfeld. Andernfalls gehen Sie in sich und entscheiden sich: entweder für den gut bezahlten Job oder für die Wahrung Ihrer moralischen Integrität. Bertolt Brecht hat Ihre Frage in der "Dreigroschenoper " so beantwortet: Erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten ausgewählte Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

© SZ vom 23.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Körpersprache beim Reden
:Vermeiden Sie den "Knuddelbären"!

Beim Vorstellungsgespräch, bei Vorträgen oder beim Verhandeln mit Kunden: Wer Erfolg haben will, muss glaubhaft und überzeugend auftreten können. Welche Rednertypen es von vornherein schwer haben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: