Frage an den Jobcoach:Kann ich mit 28 Jahren noch ein Medizinstudium beginnen?

Julius F. hat BWL studiert, doch sein Job macht ihn nicht glücklich. Nun bittet er den SZ-Jobcoach um Rat.

SZ-Leser Julius F. fragt:

Ich bin 28 Jahre alt und habe nach dem BWL-Abschluss an einer Privatuni eine ziemlich steile Karriere hingelegt. Ich war mir aber nie sicher, ob mein Studium wirklich das richtige ist. Vor Kurzem habe ich eine Bekannte getroffen, die voller Begeisterung von ihrer Arbeit als Ärztin sprach. Prompt meldeten sich die alten Zweifel wieder. Ich überlege jetzt, ob ich meinen Job hinschmeißen und noch einmal Medizin studieren soll. Was meinen Sie?

Madeleine Leitner antwortet:

Lieber Herr F., der Arztberuf gilt als der Traumjob schlechthin. Für die Attraktivität des Berufs sprechen die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, das damit verbundene gesellschaftliche Ansehen und (je nach Fachrichtung) auch ein gewisser Wohlstand. Manche Kinder wollen von klein an nichts anderes werden als Arzt. In einigen Arztfamilien ist der Beruf seit Generationen so stark verwurzelt, dass sich die Frage des Studienfachs bei den Sprösslingen gar nicht ernsthaft stellt. Man geht davon aus, dass sie in die Fußstapfen der Vorfahren treten und ebenfalls Medizin studieren.

Der SZ-Jobcoach

Madeleine Leitner ist Diplom-Psychologin und hat als Therapeutin in Kliniken, als Gerichtsgutachterin und Personalberaterin für große Konzerne gearbeitet. Heute ist sie selbständige Karriereberaterin in München und Berlin.

Es gibt aber auch typische Hindernisse und Bedenken. Viele scheitern bereits am Numerus clausus. Einige versuchen ihr Glück dann im Ausland oder reihen sich in die Warteschlange auf einen Studienplatz ein. Dafür benötigen manche einen sehr langen Atem: Den ersehnten Studienplatz bekam ein junger Mann aus meinem Bekanntenkreis erst nach acht Jahren Wartezeit. Viele geben auf oder haben schon von Vorneherein resigniert. Es gibt mittlerweile auch Ärzte, die ihren Kindern explizit davon abraten, Medizin zu studieren. Aus ihrer Sicht gestaltet sich ihr beruflicher Alltag nämlich alles andere als rosig. Sie leiden unter der zunehmenden Ökonomisierung und Bürokratie, sie fühlen sich wie Sklaven der Kassen und beklagen sich über Honorarmodelle, die ihrem Anspruch an die Versorgung der Patienten nicht gerecht werden. Oder sie ächzen unter der hohen Belastung durch Dienste.

Ich habe in den letzten Jahren einige Klienten betreut, die gewisse Ähnlichkeiten zu Ihrem Werdegang aufwiesen. Ihre wohlmeinenden Ärzte-Eltern hatten ihnen ein Wirtschaftsstudium an einer Privatuni finanziert, dem idealen Sprungbrett für einen gut dotierten Job bei einer Unternehmensberatung oder einem bekannten Konzern. Irgendwann hatten meine Klienten allerdings ernüchtert festgestellt, dass auch dort nicht alles zum Besten steht. Sie klagten über extreme Arbeitsbedingungen und fühlten sich wie Sklaven ihrer Verpflichtungen. Auch erschien ihnen ihr Job oft im Vergleich zu der Tätigkeit ihrer Eltern sinnlos zu sein.

Manchmal reichte es aus, sich eine passende Aufgabe in einer passenderen Branche zu suchen, zum Beispiel einer Klinik, einem Medizintechnikunternehmen oder in der Pharmabranche. Bei manchen saß das Problem aber tiefer. Sie gelangten zur Überzeugung, dass sie im Grunde ihres Herzens geborene Ärzte seien. Für diese Berufenen war die Vorstellung, tagtäglich mit echten Ärzten zu arbeiten, geradezu unerträglich, weil das ihren Schmerz sogar noch vergrößert hätte.

Sie sollten zunächst ganz genau überlegen, was Sie auf die Idee gebracht hat, noch einmal Medizin zu studieren. Haben Sie schon früh mit der Idee geliebäugelt? Haben Sie eine grundsätzliche Sinnkrise in Ihrer jetzigen Tätigkeit? Könnte es auch nur eine Art Übersprungshandlung sein? Es macht einen Unterschied, ob Sie schon immer Arzt werden wollten oder ob Sie jetzt das erste Mal daran denken, weil Sie sich über etwas Bestimmtes in Ihrem Job geärgert haben.

Zweifel sollte man generell besser früh ernstnehmen. Psychologisch gesehen tendieren Menschen dazu, Zweifel zu unterdrücken und einfach weiterzumachen, "weil man ja schon einmal angefangen hat". Statt den Kopf in den Sand zu stecken und auf bessere Zeiten zu hoffen, sollten Sie besser mit sich ins Reine kommen. Dazu gehört auch, sich mit einigen Medizinern über ihre Tätigkeit zu unterhalten, um eine realistische Vorstellung zu bekommen, was es heißt, als Arzt zu arbeiten. Dann sollten Sie aber eine bewusste Grundsatzentscheidung treffen. Vielleicht verabschieden Sie sich endgültig von Ihrem vermeintlichen Traum. Vielleicht fangen sie aber tatsächlich noch einmal von vorne an.

Immer wieder studieren Menschen auch im höheren Alter noch Medizin. Ein bekanntes Beispiel ist Marianne Koch, die nach Beendigung ihrer Schauspielkarriere erfolgreiche Ärztin wurde. Der älteste mir bekannte Medizinstudent war zu Beginn seines Studiums über 50 Jahre alt. Er nahm es in Kauf, sich dafür extrem finanziell einzuschränken. Am schlimmsten sind meiner Erfahrung nach nämlich die Menschen dran, die ein Leben lang einem unerfüllten Traum nachtrauern.

Ihre Frage an den SZ-Jobcoach

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