Pisa-Vergleich:Raus aus dem Sumpf der Mittelmäßigkeit

Der Pisa-Schock aus dem Jahr 2000 war heilsam: Deutsche Schüler haben in den Naturwissenschaften Anschluss zur Spitzengruppe gefunden. Doch in anderen Disziplinen hapert es noch.

Tanjev Schultz

Einmal im Jahr schwärmen Politiker und Prominente aus, um den Kindern in Schulen und Kindergärten vorzulesen. Beim bundesweiten "Vorlesetag" wirkt es dann so, als sei Deutschland ein Land von lauter Bücherwürmern. Vor kurzem war es wieder so weit: Im Saarland zum Beispiel las ein Staatssekretär vor Grundschülern aus dem Buch "King-Kong, das Zirkusschwein". Und Bundesbildungsministerin Annette Schavan bemühte sich redlich, Berliner Oberschüler mit dem Titel "Schiffbruch in der Antarktis - Shakletons blinder Passagier" zu unterhalten. Vielleicht müssten die Politiker noch öfter in die Schulen kommen und Freude am Lesen versprühen. Wie die neue Pisa-Studie zeigt, gehören das Lesen und Verstehen von Texten noch immer nicht zu den Stärken der Jugendlichen in Deutschland.

Pisa-Studie Grafik

Pisa 2009: Die Ergebnisse.

(Foto: Grafik: SZ;sueddeutscheS.Kaiser,Grafik: SZ Grafik / sueddeutsche.de, S.Kaiser)

Seit den ersten Pisa-Tests vor zehn Jahren sind zwar Fortschritte erkennbar; die Ergebnisse bei der Schulstudie haben sich von Mal zu Mal leicht verbessert. Doch im internationalen Vergleich sind die deutschen 15-Jährigen, die bei Pisa getestet werden, im Umgang mit Texten weiterhin nur Mittelmaß. Der Abstand zu Pisa-Spitzenländern wie Finnland, Südkorea und Kanada ist nach wie vor groß. In Deutschland fehlt eine kontinuierliche Leseförderung, die über den Deutschunterricht hinausgeht.

Pisa - der neue "Sputnik-Schock"

Das trübt das Bild für Deutschland, das ansonsten ansehnlicher wird. Die erste Pisa-Studie hatte Politiker und Pädagogen geschockt und das Selbstverständnis der Deutschen, eine große Bildungsnation zu sein, erschüttert. In allen "Pisa-Fächern" - Lesen, Rechnen, Naturwissenschaften - schnitt Deutschland vor zehn Jahren schlechter ab als der Durchschnitt der Industriestaaten. Es war ein Weckruf, so laut, dass der "Pisa-Schock" in künftigen Geschichtsbüchern mindestens so prominent platziert sein wird wie der "Sputnik-Schock" aus der Zeit des Kalten Kriegs.

Und nun erweist sich der Schock tatsächlich als heilsam. Schritt für Schritt arbeitet sich Deutschland bei den Pisa-Studien nach vorne. Seit 2000 ging es in den folgenden drei Untersuchungen stets ein kleines Stück aufwärts. Alle drei Jahre werden zufällig ausgewählte 15-Jährige getestet. Die Schüler, die an der jüngsten Studie (Pisa 2009) teilgenommen haben, sind gerade erst eingeschult worden, als Deutschland den Pisa-Schock aus der ersten Untersuchung erlitt. Sie können also durchaus von den Verbesserungen profitiert haben, um die sich die Schulen seitdem bemühen.

Einige Bundesländer haben die Förderstunden ausgebaut, und bundesweit wurden neue "Bildungsstandards" erlassen, die den Unterricht auch didaktisch ansprechender und effektiver machen sollen. In den Naturwissenschaften und in Mathematik beginnen außerdem Modellprojekte wie "Sinus" zu wirken - ein Programm für Schulen, die bessere, lebensnähere Aufgaben entwickeln wollen.

Die Zugewinne der Deutschen bei den Test sind in den einzelnen Drei-Jahres-Abständen zwar klein. Insgesamt summieren sie sich aber zu einem bedeutsamen Trend: Die Leistungen der Schüler in Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren stetig besser geworden. Mittlerweile liegen sie in zwei Bereichen - in Mathematik und in den Naturwissenschaften - klar über dem OECD-Durchschnittswert.

Vermessene Erwartungen

In den Naturwissenschaften hatten die Deutschen bereits vor drei Jahren Anschluss an die Spitzengruppe gefunden. In der neuen Studie bestätigt und stabilisiert sich diese positive Entwicklung. Es gibt sogar erneut einen leichten Punktgewinn in den Naturwissenschaften. Er ist allerdings zu klein, um statistisch ins Gewicht zu fallen. Erstmals rücken die Deutschen nun aber in Mathematik in die Spitzengruppe der Länder vor, die klar über dem Durchschnittswert der OECD-Länder liegen.

Zeitung: Deutschland wieder nur Mittelmass im PISA-Test

Der Trend zeigt nach oben: Deutschland verbessert sich kontinuierlich beim Pisa-Test - aber beispielsweise beim Umgang mit Texten schneiden die Schüler noch immer mittelmäßig ab.

(Foto: dapd)

Der Vorsprung der Pisa-Siegerstaaten wie Südkorea und Finnland ist zwar noch beträchtlich. Die Entwicklung der deutschen Testwerte seit dem Jahr 2000 halten Bildungsforscher aber für äußerst ermutigend. Es kommt nicht oft vor, dass sich ein Land kontinuierlich verbessert. Wissenschaftler sehen darin auch einen Beleg dafür, dass die deutsche Bildungspolitik zumindest auf dem richtigen Weg ist. Einen noch größeren Sprung ganz an die Spitze innerhalb weniger Jahre zu schaffen - diese Erwartung wäre dann doch zu vermessen und unrealistisch gewesen.

Weiterhin große Mühen

Ein Lob für die Deutschen kam nun vor der offiziellen Veröffentlichung der Daten sogar von der OECD, die sich in den vergangenen Jahren stets sehr kritisch über das deutsche Schulsystem geäußert hatte. Die OECD und ihr Pisa-Experte Andreas Schleicher halten beispielsweise nichts von der im internationalen Vergleich sehr frühen Aufteilung der Kinder auf unterschiedliche Schularten nach der Grundschulzeit.

Deutschland hat auch weiterhin große Mühen, schwächere Schüler und Migranten, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, gut zu fördern. Der Bildungserfolg hängt hierzulande weiterhin sehr stark von der sozialen Herkunft ab. Kinder von Lehrern, Professoren und Ingenieuren haben in der Schule deutlich bessere Aussichten als die Kinder von Facharbeitern oder von ungelernten Kräften.

Dennoch tragen die Anstrengungen der vergangenen Jahren offenbar erste Früchte - sogar im Lesen. Die Verbesserungen bei den jüngsten Pisa-Tests beruhen nämlich nicht zuletzt darauf, dass der Anteil der besonders leistungsschwachen Schüler kleiner wird. Vielleicht bringt es ja etwas, dass nun auch Politiker in die Schulen gehen und aus Geschichten wie "King-Kong, das Zirkusschwein" vorlesen.

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