Forschen im Frauen-WC:"Ihr habt mich verdorben"

Schrille Sprüche am stillen Örtchen: Katrin Fischer hat an der Uni WC-Graffiti erforscht. Ein Gespräch über die Diskussionskultur im Klo - und anonyme Bekenntnisse zum Lieblingsthema Sex.

Julia Bönisch

sueddeutsche.de: Frau Fischer, wie kommt man auf die Idee, eine Magisterarbeit über Klosprüche zu schreiben?

Forschen im Frauen-WC: Sprachwissenschaftlerin Katrin Fischer: "Die Geruchsbelästigung war nicht besonders angenehm."

Sprachwissenschaftlerin Katrin Fischer: "Die Geruchsbelästigung war nicht besonders angenehm."

(Foto: Foto: privat)

Katrin Fischer: Ich habe sechs Jahre an der Uni Bonn studiert - und bin also dort auch sechs Jahre lang zur Toilette gegangen. Die Sprüche dort fand ich immer sehr unterhaltsam. Irgendwann kam dann der Geistesblitz mit der Magisterarbeit. Wenn man wie ich Sprachwissenschaften studiert, liegt das Thema ja eigentlich nahe.

sueddeutsche.de: Wie hat Ihr Betreuer reagiert, als Sie ihm das Thema vorgeschlagen haben?

Fischer: Meine Professorin war begeistert und hat mich sofort um ein Konzept gebeten. Da das Phänomen jeder kennt, hielt sie es für ein gutes Forschungsobjekt und fand die Idee sehr witzig. Genau wie meine Kommilitonen.

sueddeutsche.de: Jede Magisterarbeit braucht einen theoretischen Unterbau. Gibt es Sekundärliteratur zu Toiletten - und wie haben Sie Ihre Fragestellung wissenschaftlich eingeordnet?

Fischer: Ich habe die Klo-Graffiti als "Jedermann-Graffiti" zunächst abgegrenzt vom Street-Graffiti. Um Letzteres hat sich eine eigene Subkultur entwickelt: Die Sprayer suchen gezielt nach Orten beziehungsweise Wänden für ihre Kunstwerke. Auf der Toilette dagegen schreibt fast jeder, und zwar ganz spontan und unüberlegt. Auch Sekundärliteratur gab es: aus der Graffitiforschung und der Volkskunde.

sueddeutsche.de: Die Volkskunde hat sich mit Graffiti beschäftigt?

Fischer: Nein, aber mit der Toilette als Taburaum, dem Klo im Wandel der Zeit und städtebaulichen sowie soziologischen Aspekten. Das WC wird ja gern mit Randgruppen assoziiert: mit Drogenabhängigen oder Prostituierten. Ich wurde sogar in der Geschichte fündig: Schon die Römer haben Nachrichten - sogenannte Latrinalia - in die Wände ihrer Klos geritzt. Da ging's richtig deftig zu: Liebhaber wurden bis in die kleinsten Einzelheiten beschrieben. Außerdem gab es eine Göttin namens Cloacina, die für den Schutz der Toilette zuständig war.

sueddeutsche.de: Und wie lautete Ihre Fragestellung genau?

Fischer: Ich wollte wissen, was die Kommunikationsform Klo-Graffiti auszeichnet, welche Sprache gewählt wird und wie sich der Raum auf die Sprache auswirkt - und zwar mit der wissenschaftlichen Methode der qualitativen Diskursanalyse. Insgesamt habe ich etwa 40 Damentoiletten mit 700 Graffiti untersucht.

sueddeutsche.de: Wer auf dem Klo schreibt, benutzt Fäkalsprache, oder?

"Ich bin keine Klofetischistin"

Fischer: Natürlich ist die Sprache oft derb. Es gibt zwei Arten von Autorinnen: Die einen nutzen die Anonymität für Kraftausdrücke, sie schreiben emotional und aggressiv. Die andere Gruppe dagegen bemüht sich um Objektivität und notiert Sachen wie: "Nur weil wir über ein dreckiges Klo kommunizieren, müssen wir uns noch lange nicht beschimpfen." Da gibt es sehr ernsthafte Diskussionen. Eine Bemerkung über veganes Leben etwa hat über 60 Antworten provoziert, die zum Teil sehr fundiert waren. Es ging um Nährwerttabellen, die Schreiberinnen tauschten nützliche Internetadressen aus oder diskutierten die Vitaminzusammensetzung bestimmter Lebensmittel.

sueddeutsche.de: Was sind die beliebtesten Themen an den Klowänden?

Fischer: Erstens die Themen Beziehung, Liebe, Sex in allen Facetten: Die Graffiti reichen von "Wer ist der süßeste Junge im Englisch-Seminar?" bis hin zu "Mein Freund schlägt mich. Was soll ich tun?" Viele Frauen geben auch mit ihren Männern an oder hauen ihren Ex-Freund in die Pfanne und erklären, warum sie Sex mit ihm keinesfalls empfehlen können.

Zweitens geht es um Sprache. Viele Bemerkungen beschäftigen sich nur damit, andere zu korrigieren, Rechtschreib- und Grammatikfehler anzuprangern. Und drittens diskutieren die Frauen viel über die Tätigkeit an sich: Bringt es überhaupt etwas, Klowände zu bekritzeln?

sueddeutsche.de: Haben Sie ein Lieblingsgraffito?

Fischer: Als ich an meiner Magisterarbeit geschrieben habe, war es: "Ihr könnt so viel diskutieren wie ihr wollt - die Welt bleibt so beschissen wie sie ist." Solche Wortspiele sind nämlich typisch für Klo-Graffiti. Jetzt ist an der Uni Bonn aber ein Spruch hinzugekommen, den ich noch lieber mag: "Ich will auch in eine Magisterarbeit!" Das hat mich natürlich persönlich sehr gefreut.

sueddeutsche.de: Wie hält man es aus, sich acht Monate auf verschiedenen Klos herumzutreiben? Hatten Sie nie die Nase voll?

Fischer: Die Geruchsbelästigung war in der Tat nicht so angenehm, doch daran gewöhnt man sich. Erstaunlicherweise denken jetzt viele Menschen, ich hätte ein Faible fürs Fäkale, aber das stimmt natürlich nicht. Ich bin keine Klofetischistin.

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