Forderung nach Mindestlohn:Schuften im Callcenter - für 5,77 Euro pro Stunde

Sie arbeiten 40 Stunden in der Woche und bekommen dafür monatlich oft nicht mehr als 1000 Euro brutto. Weil viele Callcenter ihre Mitarbeiter schlecht bezahlen, will eine Gewerkschaft auf neuen Wegen einen Mindestlohn durchsetzen.

Detlef Esslinger

Das Unternehmen ist ein Arbeitgeber von eher mäßigem Ruf. Auf einem Job-Portal im Internet schreiben Arbeitnehmer, wie es dort zugeht. Einer beklagt, dass ihm nur 20 Tage Urlaub zustehen und er in Wirklichkeit nicht einmal die bekommt. Ein anderer stellt fest, dass die Mitarbeiter unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, wie sympathisch sie dem Chef sind, ein dritter gibt an, ständig müsse er den Arbeitsbereich wechseln.

Forderung nach Mindestlohn: Viele Callcenter bezahlen ihre Mitarbeiter schlecht - das soll sich ändern.

Viele Callcenter bezahlen ihre Mitarbeiter schlecht - das soll sich ändern.

(Foto: AP)

Sie alle arbeiten 40 Stunden in der Woche, sie alle haben einen Arbeitsvertrag mit demselben Paragrafen vier: "Der Arbeitnehmer erhält ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1000 Euro." Kann der Staat solchen Beschäftigten helfen? Um diese Frage geht es an diesem Montag im Bundesarbeitsministerium in Berlin.

Die "DBB Tarifunion", die für Angestellte zuständige Organisation des Beamtenbundes, hat den Antrag gestellt, einen Mindestlohn für die Branche der Callcenter zu erlassen. Der Branche gehört das oben beschriebene Unternehmen an. Die Tarifunion versucht einen Weg, der bisher von keiner Gewerkschaft beschritten worden ist. Normalerweise versuchen Gewerkschaften, Tarifverträge auszuhandeln; manchmal stellen sie beim Arbeitsministerium anschließend den Antrag, diese Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Stimmt das Ministerium zu, gelten sie auch für Firmen, die nicht unterschrieben haben.

In der Callcenter-Branche aber gibt es keine Tarifverträge, die Bezahlung ist mies - und deshalb ruft die Tarifunion nun ein Gremium an, das vor zwei Jahren vom damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eingerichtet worden war, aber noch nie zum Einsatz kam. Scholz schuf auf Grundlage des "Mindestarbeitsbedingungengesetzes" den so genannten "Hauptausschuss".

Vorsitzender ist der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD), darüberhinaus gehören dem Gremium zwei Wissenschaftler sowie je zwei Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) an. Der Ausschuss kann "soziale Verwerfungen" in einer Branche feststellen. Auf dieser Grundlage darf das Ministerium einen Mindestlohn erlassen.

Wird es das tun? Dohnanyi erwartet für diesen Montag keine Beschlüsse, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte, sondern nur die Prüfung von Fakten. Der Chef der Tarifunion, Frank Stöhr, wird eine Analyse der Callcenter-Branche vorlegen, in der knapp 100.000 Menschen arbeiten. Dort soll die Zahl der Beschäftigten, die zusätzlich zum Lohn auf Hartz IV angewiesen sind, dreimal so hoch sein wie in der Wirtschaft insgesamt.

Keine verhandlungsunwilligen Ausbeuter

Der Tarifunion liegen Arbeitsverträge mit Stundenlöhnen zwischen 5,77 und 6,50 Euro vor. "Das sind Bedingungen, die nicht hinnehmbar sind", sagt Stöhr. Der Mindestlohn, den er fordert, soll 9,50 Euro betragen.

Bei der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), aber auch beim DGB hält man wenig von dem Vorstoß. Bei der BDA heißt es, man sehe grundsätzlich keine Fälle, in denen dieser Hauptausschuss aktiv werden müsste, "auch hier nicht". Die Arbeitgeber haben die Scholz-Erfindung schon immer für unsinnig gehalten - sie wollen nicht rütteln am Prinzip, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Löhne ohne Einmischung des Staates aushandeln. Davon scheint auch der DGB in diesem Fall keine Ausnahme machen zu wollen. Vorstandsmitglied Claus Matecki sagte der SZ, es sei hier weiterhin richtig, dass "Lohngrenzen tarifpolitisch verankert werden".

Ein Grund für die Zurückhaltung des DGB könnte sein: Die Betreiber der Callcenter gelten nicht als verhandlungsunwillige Ausbeuter. Erstens werden für die miesen Arbeitsbedingungen vor allem die Auftraggeber verantwortlich gemacht. Viele Unternehmen nehmen die Dienstleistung von Callcentern zwar gern in Anspruch. Sie ist ihnen aber nicht viel Geld wert.

Zweitens hat eine Umfrage des Call-Center-Verbands Deutschland (CCVD) ergeben, dass 76 Prozent seiner Mitglieder für einen Mindestlohn sind, dies aber auf Basis eines Tarifvertrags. Dann könnten sie dem Geiz der Auftraggeber etwas entgegenhalten.

Deswegen plant der Verband, im Herbst eine Unterorganisation zu gründen, die auch Tarifverhandlungen führen kann; bisher ist der CCVD nur ein Lobbyverband. Die Arbeitgeber werten die Initiative der Tarifunion daher eher als politisches Manöver: "Die wollen Handlungsdruck erzeugen", heißt es bei ihnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: