Flugsicherung:Herrscher über Rollfeld und Luftraum

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Alles im Blick: Fluglotsen im Dienst. Lange kann man diesen Beruf nicht ausüben, mit 55 ist Schluss.

(Foto: DFS Deutsche Flugsicherung GmbH)
  • Fluglotsen haben einen spannenden und höchst anspruchsvollen Job.
  • Doch obwohl bereits in der Ausbildung hohe Löhne gezahlt werden, gibt es Nachwuchsprobleme.

Von Steve Przybilla

Holger Kieseleit hat es irgendwann einfach nicht mehr ertragen. Er ging nach vorne, tippte dem jungen Kollegen auf die Schulter und schaltete den Radar-Bildschirm aus: klick, einfach so. Danach drückte er ihm ein Fernglas in die Hand, zeigte in Richtung Landebahn und sprach jene einprägsamen Sätze, die nur aus dem Mund eines Lehrers stammen können: "Die Rundum-Verglasung im Tower hat schon ihren Sinn. Fluglotsen sollten sich auf ihre Augen verlassen, niemals nur auf die Technik."

So jedenfalls erzählt Kieseleit die Geschichte heute. 20 Jahre lang hat er als Fluglotse und Fluglotsen-Ausbilder gearbeitet, davor als Flugberater bei der Bundeswehr. Heute, mit 65 Jahren, steht er noch immer im Tower, wenngleich in einem nachgebauten. Die Deutsche Arbeitsweltausstellung (DASA) in Dortmund heuert den Luftfahrt-Experten regelmäßig an, um ihr neuestes Exponat mit Leben zu füllen: den Nachbau des Dortmunder Flughafen-Towers, ausgestattet mit einer 180-Grad-Projektionsfläche, fünf Laserbeamern und einer vier Meter hohen Rundwand. Aus Glas ist die zwar nicht, dafür hält sie allerlei Spielereien parat. Ein Knopfdruck, und es schneit. Ein weiterer, und schon scheint die Sonne.

Zwangspension mit 55

Kieseleit ist froh, endlich mal wieder im Tower zu stehen. Der Blick aufs Vorfeld, der Griff zum Funkgerät, der alltägliche Nervenkitzel: All das ist schon eine Weile her bei ihm. Mit 55 Jahren werden Fluglotsen in Deutschland zwangspensioniert. Der Stress, die Anspannung, die große Verantwortung - vielen macht das mit der Zeit zu schaffen. Doch hier, im Museum, wirkt der Luftraum-Veteran überhaupt nicht ausgebrannt.

Ein kurzer Blick genügt, um sich einen Überblick zu verschaffen. Luftdruck: 1026 Hektopascal, Luftfeuchtigkeit 76 Prozent. Leichter Regen. Eine Cessna will möglichst schnell landen, da muss der eigentlich terminierte Airbus warten. Planen. Koordinieren. Vorausschauen. So sieht es aus, das Leben der "Regisseure der Lüfte", wie die Deutsche Flugsicherung ihre Mitarbeiter liebevoll nennt.

Viel vorführen muss Kieseleit an diesem Nachmittag nicht. Noch bevor er die Funktionen der nachgebauten Computer erklären kann, prasseln die ersten Fragen auf ihn ein. Wie war das doch gleich mit Flug MH370, der Passagiermaschine, die ohne Vorwarnung vom Radar verschwand? Hat da jemand nicht genau hingeschaut? Möchte ein Lotse so etwas erleben? Wie groß ist die Gefahr, etwas falsch zu machen? Kann man nach einem solchen Arbeitstag überhaupt ruhig schlafen?

"Sie müssen immer ruhig bleiben - auch wenn der Pilot schreit"

Kieseleit überlegt. Er schnauft durch, dann beantwortet er alle Fragen der Reihe nach, geordnet und durchdacht, so wie er es auch im Tower jeden Tag getan hat. "Sie müssen immer ruhig bleiben", sagt er, "auch wenn der Pilot schreit, weil er im Gewitter jegliche Orientierung verloren hat." Wie oft das passiert? "Manchmal", sagt Kieseleit, und genau das mache den Beruf so stressig.

"Den ganzen Tag scheint die Sonne und es passiert nichts. Doch plötzlich schlägt das Wetter um, und alle wollen gleichzeitig landen, kommerzielle Maschinen und Hobbypiloten. Da schießt das Adrenalin von null auf hundert nach oben." Andererseits mache gerade diese Abwechslung den Beruf so spannend.

Das Flugzeug zählt nach wie vor zu den sichersten Verkehrsmitteln der Welt. Allein über Deutschland werden jedes Jahr mehr als drei Millionen Flugbewegungen abgewickelt. Täglich starten, landen oder überqueren rund 10 000 Flugzeuge das Land. Zwischenfälle gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen, auch wenn sie meist tragisch enden. Im Alltag aber gilt nach wie vor das alte Sprichwort: Der Weg zum Flughafen ist das Gefährlichste der ganzen Reise - nicht zuletzt, weil Fluglotsen ununterbrochen den Luftraum überwachen.

"Wenn Sie etwas falsch machen, landen Sie auf der Titelseite"

Gleichzeitig nimmt der Verkehr in der Luft zu, doch auch die Technik wird immer besser. Bordcomputer, die vor Zusammenstößen warnen, sind heute Standard. Moderne Flugzeuge können vollautomatisch landen. Was bleibt, ist die Verantwortung der Fluglotsen. "Wenn Sie etwas falsch machen, landen Sie auf der Titelseite", sagt Kieseleit. Er lächelt, doch der Satz ist ernst gemeint. Eine Unachtsamkeit kann in diesem Beruf tödlich enden.

Natürlich gebe es auch viele positive Erlebnisse, sagt Kieseleit und berichtet von Hobbypiloten, die nach einer geglückten Landung persönlich im Tower vorbeischauten, um sich zu bedanken. Oder von einem französischen Kapitän, zu dem er über Funk nur kurz "Merci" gesagt hatte. "Da war's geschehen und er hörte nicht mehr auf, Französisch zu sprechen", erinnert sich Kieseleit - obwohl doch eigentlich Englisch gesprochen werden muss.

Plaudert man auch mal über private Dinge? "Nein", entgegnet Kieseleit. "Man sollte die Frequenz nicht unnötig belasten." Zumal der gesamte Funkverkehr aus Sicherheitsgründen aufgezeichnet wird.

Die Konzentrations-, Hör- und Sehfähigkeit sollte exzellent sein

Momentan stellt die Deutsche Flugsicherung etwa 50 neue Fluglotsen-Azubis pro Jahr ein. Sie zu rekrutieren, ist aus zwei Gründen nicht einfach. Zum einen haben viele Jugendliche noch nie etwas von diesem Beruf gehört. Zum anderen sind die Auswahlkriterien so streng, dass nur fünf Prozent aller Bewerber den Eignungstest bestehen.

Wer Fluglotse werden will, darf höchstens 24 Jahre alt sein, muss gut Englisch sprechen und das Abitur in der Tasche haben. Das räumliche Vorstellungsvermögen sollte ausgeprägt, die Konzentrations-, Hör- und Sehfähigkeit exzellent sein. Hinzu kommen: hohe Belastbarkeit, Teamfähigkeit und eine gute gesundheitliche Verfassung. All das wird bei einem einwöchigen Auswahlverfahren getestet; hinzu kommt eine Sicherheitsüberprüfung durch die Polizei.

Schon in der Ausbildung gibt es bis zu 5100 Euro

Der Lohn der Mühe: Noch während der Ausbildung verdienen Fluglotsen je nach Standort zwischen 3400 und 5100 Euro brutto; im ersten Berufsjahr zwischen 6000 und 7000 Euro. "Trotzdem müssen wir viel Werbung für unseren Beruf machen", sagt Axel Raab, Sprecher der Deutschen Flugsicherung. Die Bewerberzahlen stiegen immer dann, wenn Fluglotsen in den Medien vorkämen - paradoxerweise auch bei negativer Berichterstattung.

"Nach dem letzten Fluglotsenstreik oder dem Unglück von Überlingen im Jahre 2002 hatten wir plötzlich mehr Kandidaten als sonst", erzählt Raab. Damals waren zwei Maschinen in der Luft kollidiert, weil ein Schweizer Fluglotse einen Fehler gemacht hatte - eines der schwersten Unglücke im deutschen Luftraum. Der leitende Fluglotse wurde später von einem Russen erstochen, dessen Ehefrau und Kinder bei dem Unfall ums Leben gekommen waren.

Holger Kieseleit ist froh, in seinen 20 Dienstjahren keine annähernd brenzliche Situation erlebt zu haben. Die große Verantwortung sei ihm stets bewusst gewesen, habe ihn aber nicht belastet. "Auch das wird irgendwann Routine", sagt Kieseleit. Warum er überhaupt Fluglotse geworden ist? "Weil der Beruf so vielfältig ist. Jeden Tag passiert etwas anderes."

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